Frage an Renate Künast von Laurids L.
Sehr geehrte Frau Künast,
wieso dürfen Flüchtlinge Asyl in Deutschland beantragen, obwohl sie aus einem sicheren Drittstaat kommen? Im Grundgesetz steht: "(1)Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." "(2)Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist." Das ist ein Gesetzesverstoß!!! Das Dubliner Abkommen besagt, dass Asylbewerber in dem Land registriert werden, in dem sie die EU betreten. In den Nachrichten höre ich aber, dass die Asylbewerber ohne Registrierung weiter geschickt werden. Dies ist wieder ein Verstoß! Das bedeutet, dass sich die Verfassungsorgane nicht an geltendes Recht halten. Welche Konsequenz hat es, wenn Sie und andere Verfassungsorgane sich nicht an geltendes Recht halten? Ich wäre ihnen sehr verbunden, wenn sie mir meine Fragen beantworten könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Laurids Lohr
Sehr geehrter Herr Lohr,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Jede Person darf in Deutschland Asyl beantragen. Artikel 16a Absatz 2 GG bezieht sich lediglich auf die Erfolgsaussichten dieses Antrags, die trotzdem im Einzelfall gegeben sein können.
Was den Inhalt des Dublin-Abkommens angeht, haben sie Recht. Jedoch halten viele Expert*innen und Politiker*innen dieses Abkommen für deutlich überholt. Es ist unsolidarisch, da es direkte Einreisewege nur in wenige EU-Staaten gibt, welche sich dann alleine um die Geflüchteten kümmern sollen, aber nicht die Kapazitäten haben und kaum Unterstützung seitens der EU und anderen Mitgliedsstaaten bekommen. Es ist unpraktisch und schwer handhabbar, weil an manchen Orten gleichzeitig sehr viele Flüchtende ankommen, die von den dortigen Stellen nicht alle registriert werden können. Die Zustände in vielen südöstlichen EU-Ländern in „Camps“ sind für die Flüchtenden schrecklich.
Aus humanitären Gründen hat die Bundesrepublik Geflüchtete aus Syrien nicht zurück in andere EU-Mitgliedsstaaten geschickt. Das ist kein Gesetzesverstoß, da die Bundesregierung sehr wohl Leitlinien zu temporären Ausnahmen von dieser Regel erlassen kann. Es braucht jedoch eine langfristige Lösung und ein gemeinsames, gerechtes und solidarisches Handeln der EU.
Die Konsequenzen für mich, wenn ich mich nicht an geltendes Recht halte, sind dieselben wie für jede*n andere*n Bürger*in auch. Wenn ein Verfassungsorgan wie der Bundestag sich nicht an geltendes Recht hält, gibt es in unserem Rechtsstaat die von der Verfassung und weiteren Gesetzen vorgegebenen Verfahren wie insbesondere das Organstreitverfahren, Normenkontrollen, Bund-Länder-Streitigkeiten und Verfassungsbeschwerden.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Künast