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Renate Künast
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Michael B. •

Frage an Renate Künast von Michael B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Künast,
sie hatten 2003 die Frage im Bundestag gestellt, wie mit dem Alliierten Besatzungsrecht umgegangen wird bzw. wie Studenten in diese Materie unterwiesen werden.
Meine Frage:
Es gilt doch in der BRD noch immer das Besatzungsrecht. Wir haben weder einen Friedensvertrag, noch haben wir eine Verfassung nach Artikel 146 des GG.
Wir haben keinen ständigen Sitz in der UNO - das verbietet die Feindstaatenklausel.
Die Kanzlerin spricht in der Welt von Menschenrechten - wo bleiben diese in der BRD?
Wie gedenken sie dieses Thema im Bundestag salonfähig zu machen, damit endlich klar Schiff gemacht werden kann.

MfG
M.B.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Buchweitz,

Sie wissen, dass die Grünen in Bürgerrechts- und Menschenrechtsfragen sehr engagiert sind, auch wenn es darum geht, Frau Merkel oder die Bundesregierung wo nötig für ihre halbherzige Menschenrechtspolitik zu kritisieren. Zunächst sollten wir feststellen: Deutschland hat mit dem Grundgesetz die beste Verfassung seiner Geschichte. Auch im Bereich der Bürger- und Menschenrechte bewegen wir uns weltweit auf hohem Niveau. Das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen und zusehen dürfen, wie – z.B. im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Grund- und Menschenrechte verletzt oder weiter eingeschränkt werden. Aber wir müssen auch wachsam sein, dass die Freiheitsrechte, die wir in Deutschland haben, nicht missbraucht werden, den demokratischen Rechtsstaat und die Freiheitsrechte zu demontieren.

Wir kennen natürlich auch die Diskussionen im Internet oder in bestimmten politischen Kreisen über vermeintlich weiter geltendes Besatzungsrecht oder die Feindstaaten-Klausel der VN-Charta. Auch hier sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Unseres Erachtens sind das politische Gespenster-Debatten. In der Praxis ist Deutschland völkerrechtlich so souverän wie jeder andere Partner in der NATO, EU oder den Vereinten Nationen.

§ Im 2+4-Vertrag (genauer: „Vertrag über die abschließenden Regelungen in Bezug auf Deutschland“) gaben die vier Siegermächte ihre Besatzungsrechte abschließend auf. Durch den Vertrag wird die volle Souveränität Deutschlands wiederhergestellt. Die Außengrenzen Deutschlands (z.B. die Oder-Neiße-Linie) werden unter Verzicht auf deutsche Gebietsansprüche als endgültig betrachtet. Deutschland verzichtet auf den Besitz atomarer, chemischer und biologischer Waffen und begrenzt seine Truppenstärke auf 370 000 Mann. Einzelne Bestimmungen des Besatzungsrechts wurden nach 1949 nach und nach aufgehoben oder in Bundes- oder Landesrecht überführt. Besatzungsrecht, das nicht in deutsches Bundes- oder Landesrecht überführt wurde, ist 2007 durch ein Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht aufgehoben worden ( http://www.bgblportal.de/BGBL/bgbl1f/bgbl107s2614.pdf )

§ Die Feindstaaten-Artikel sind nicht der Grund, warum Deutschland bislang noch keinen ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat hat. Im Übrigen verabschiedete die Generalversammlung 1995 eine Resolution zu Charta-Fragen (Res. 50/52), in der die Feindstaatenklausel aus den Artikeln 53, 77 und 107 als obsolet bezeichnet wurde. (http://www.un.org/documents/ga/res/50/a50r052.htm) Eine endgültige Streichung der Klausel soll im Zuge einer umfangreicheren Überarbeitung der Charta erfolgen. Das Auswärtige Amt vertritt darüber hinaus die Ansicht, Artikel 53 und 107 seien obsolet, weil die Alliierten im 2+4-Vertrag auf das Weiterwirken ihrer Besatzungsrechte verzichtet hätten (§ 7, Abs. 1). Die „Feindstaaten-Artikel“ beschränken bzw. benachteiligen die Stellung der Bundesrepublik Deutschland in keiner Form.

Abgesehen davon, dass sich die Frage der nationalen Souveränität in Zeiten der Globalisierung ganz anders stellt, sehe ich daher überhaupt keinen Anlass und keinen Bedarf dafür, dieses Thema in der von Ihnen aufgegriffenen Form im Bundestag „salonfähig“ zu machen. Und ich würde es auch sehr begrüßen, wenn andere Parteien oder freie Wählervereinigungen davon absehen würden, mit diesen Themen politische Stimmungsmache zu betreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Rahe

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