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Renate Künast
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Frage von Julie E. •

Frage an Renate Künast von Julie E. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Künast

In den vergangenen drei Jahren wurde die Arbeitsgelegenheit MAE als Fördermaßnahme zur Integration in den Arbeitsmarkt massenhaft "verordnet" (etwa 1,2 Millionen EEJ in 2007).

Selbst das agentureigene Institut für Arbeitsmarktforschung IAB hat die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme festgestellt und bezeichnet sie höchstens als Ultima ratio. Das Institut weist darauf hin, dass die Vermittlungschancen auch zwei Jahre nach Maßnahmeeintritt etwa zwei bis drei Prozentpunkte niedriger liegen als bei Arbeitslosen, die keinen Ein-Euro-Job annehmen mussten.
( http://doku.iab.de/kurzber/2008/kb0208.pdf )

Nach den bisherigen realen Erfahrungen wird die Arbeitsgelegenheit MAE willkürlich, massenhaft und ohne Einwilligung des Betroffenen angeordnet. Das Hauptziel der Integration in den Arbeitsmarkt oder eine Qualifikation des Betroffenen wird in der Regel nicht erreicht. An der Diskussion fällt auf, dass diese Maßnahme bis heute nicht wegen ihres Zwangscharakters grundsätzlich in Frage gestellt wird. Für kompetente Fachleute steht inzwischen fest: die Arbeitsgelegenheit MAE ist vielfach Zwangsarbeit, die dem Charakter nach weder vom Grundgesetz der BRD (Artikel 12 u. 25), noch von vielen anderen internationalen Abkommen gedeckt ist. Sie widerspricht diesen Abkommen. Ich verweise hierzu z.B. auf das Verbot zur Zwangs- und Pflichtarbeit der Menschenrechtskonvention Art. 23 u. III Art. 8 oder Artikel 2, 1 des ILO-Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit, 1930.
( http://www.forced-labour.de/die-ilo )

Wie ist es unter diesem Aspekt möglich, dass viele Mitglieder des Bundestages einem Gesetz (SGB II) zustimmen konnten, in dem sich ein so gravierender Verstoß gegen die anerkannte Menschenwürde und die international anerkannten Menschenrechte befindet? Ist es möglich das viele Abgeordnete diese Vereinbarungen gar nicht kennen?

Mit freundlichen Grüßen
Julie Engel

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Engel,

vielen Dank für Ihre Mail, in der Sie sich gegen den massenhaften Einsatz von 1-Euro-Jobs wenden.

Wir teilen Ihre Kritik. Die 1-Euro-Jobs sind kein taugliches
Massen-Standard-Instrument und waren auch in der Konzeptionsphase nie als solche gedacht. Wir wollen, dass 1-Euro-Jobs nur dort zum Einsatz kommen, wo es wirklich sinnvoll ist. Der Nutzen für eine Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt muss in den meisten Fällen stark bezweifelt werden. Notwendig ist deshalb eine drastische Reduzierung der Zahl der 1-Euro-Jobs und eine echte Beschränkung auf die Zielgruppe arbeitsmarktferner Personen.
Da unsere Meinung nicht von wissenschaftliche Seite, sondern auch von
Untersuchungen des Bundesrechnungshofs unterstützt wird, erhoffen wir uns hier einen Richtungswechsel, zumal das SGB II eine Vielzahl von weiteren Instrumenten und Möglichkeiten bietet. Neben den 1-Euro-Jobs
(Mehraufwandsvariante) sieht es zum Beispiel auch die so genannte
Entgeltvariante als Beschäftigungsmöglichkeit für Arbeitslose vor. Anders als bei den 1-Euro-Jobs handelt es sich dabei um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, bei denen die Hilfeempfänger ein übliches Arbeitsentgelt anstelle des ALG II erhalten und damit eine spürbare Wertschätzung für ihre Arbeit erfahren. Diese Form führt ein Schattendasein unter den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen des SGB II, obwohl diese Beschäftigungsform arbeitsmarktnäher und damit integrativer wirkt als die Ein-Euro-Jobs.
Das Umschwenken auf diese zweite Variante scheitert in vielen Fällen an den Finanzen, denn für die dafür wäre es notwendig, den Transfer passiver Leistungen für aktive Maßnahmen zu ermöglichen. Dieser Forderung, die wir bereits 2006 aufgestellt haben, hat sich die schwarz-rote Koalition bisher jedoch immer verweigert.
Zusätzlich wollen wir die Entgeltvariante mit leichten Modifikationen auch für die Schaffung von dauerhaften sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen tauglich machen und damit ein verlässliches
Segment sozialer Beschäftigung schaffen. Wir wollen damit ein Angebot für absehbar nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt integrierbare
Langzeitarbeitslose unterbreiten. Ca. 400.000 Menschen in Deutschland könnten davon profitieren.
Grundsätzlich wollen wir Grünen eine Arbeitsverwaltung, die nicht nach
"Schema F" handelt, sondern gemeinsam mit den Arbeitsuchenden an Lösungen arbeitet. Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik samt einer klaren Verantwortung der Kommunen sind dafür erforderlich. Die Bundesarbeitsagentur muss gegenüber den Kommunen zur Dienstleisterin werden. Dabei soll die Integration in den ersten Arbeitsmarkt Vorrang haben, Menschen mit hohen Integrationshindernissen müssen eine Chance auf existenzsichernde Beschäftigung in einem dauerhaft öffentlich geförderten Beschäftigungsbereich erhalten. Statt Arbeitslose zu gängeln und zu bestrafen, müssen ihnen die VermittlerInnen auf gleicher Augenhöhe begegnen. Jede und jeder ist so zu fördern, dass eine reelle Chance auf Integration in den Arbeitsmarkt besteht.
Die FallmanagerInnen müssen dabei so ausgebildet sein, dass sie dieser
Aufgabe gewachsen sind. Sozialpädagogische Qualitätsstandards bezogen auf Beratung und Begleitung von Integrationsprozessen müssen gewährleistet sein.

Mit freundlichen Grüßen

Andreas Rade
(Büroleiter)

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