Frage an Renate Künast von Bernd K. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Künast,
zuerst möchte ich Ihnen danken, dass sie im Streit zwischen Bischöfen der kathol. Kirche und Vertretern Ihrer Partei auch um Mäßigung bei Ihren Parteifreunden gebeten haben. Zwar sind die Grünen nicht meine politische Richtung, aber Sie und Herr Kuhn verkörpern für mich innerhalb der Grünen den verstehbareren Flügel.
Nun haben Sie ja im Zusammenhang mit Ihrem Aufruf zur Mäßigung dennoch Kritik an den Positionen Meisners und Mixas geäußert und dabei den Satz gesagt:
Eigentlich muss die Katholische Kirche für jeden dankbar sein, der im 21. Jahrhundert Verantwortung für andere Erwachsene oder für Kinder übernimmt (Tagesspiegel online vom 28.10.07, 16.26 Uhr).
Dieser Satz hat mich umgehauen. Er ist ja ein Stück berechtigt. Da Sie auf das 21.Jahrhundert anspielen, machen Sie deutlich, dass Verantwortung nicht mehr so selbstverständlich zu sein scheint, wie in vergangenen Zeiten.
Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass den Bischöfen (die sich ja für Familie, Treue, Werte, Verantwortung einsetzen) oft Rückwärtsgewandtheit und veraltetes Denken vorgeworfen werden? Gerade die Liberalen, die 68er und seit einigen Jahrzehnten die Grünen haben doch sehr mitgewirkt an der neuen, modernen Gesellschaft. Wenn das Ergebnis nun das ist, was Sie andeuten, bedeutet das doch ein großes Armutszeugnis - nicht für Sie (die Sie ja nur analysieren), sondern für eben diese moderne Gesellschaft.
Wie bekommen Sie diese Beobachtung zusammen mit Ihrem Stolz auf die moderne Gesellschaft und Ihrer Kritik an einer angeblich rückständigen Kirche? Wobei ich den Satz wohl in der Analyse richtig finde, aber auch Bauchschmerzen habe, weil er auf mich so wirkt, als ob ein Kaufhaus am
Ausgang jedem Besucher eine Rose schenkt mit einem Briefchen: Wir danken ihnen, dass sie sich im Warenhaus ordentlich verhalten haben und nicht randalierten oder stahlen.
Kurz: Mich würden ein paar erklärende Sätze zu Ihrer Feststellung
interessieren. Mit freundlichen Grüßen Bernd Katzschner
Sehr geehrter Herr Katzschner,
für Ihre Email vom 31. Oktober 2007 danke ich Ihnen. Frau Künast hat mich gebeten, Ihnen zu antworten. Bitte habe Sie dafür Verständnis, dass ich - aufgrund der Fülle von Zuschriften an das Büro von Renate Künast - erst heute dazu kommen.
Nun aber zu Ihrem Anliegen:
Leider haben sich der Augsburger Bischof Mixa und der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner in einer derart provokanten Weise öffentlich eingelassen, dass sich aus Sicht von Frau Künast die Frage stellt, wie es eigentlich passieren kann, dass katholische Christenmenschen über Frauen als Gebärmaschinen reden bzw. davon sprechen, dass Menschen mit bestimmten sexuellen Orientierungen geradezu? (Hat er das gesagt? Lieber wörtlich zitieren) der Untergang der Menschheit wären. Frau Künast kann nicht glauben, dass derartige Positionen (und eine zum Teil Menschen verächtliche Wortwahl) plötzlich katholisch gelebte Werte sein sollen.
Im Hinblick auf Ihre Frage glaube ich, dass es sich um ein Missverständnis handelt.
Die deutsche Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten eine atemberaubende Modernisierung durchlebt. Diese erlaubt es Menschen heute einfacher und selbstverständlicher als zuvor, nach ihren unterschiedlichen individuellen Lebensentwürfen zu leben. Daran haben "die 68er" - aber auch wir Grünen - einen gehörigen Anteil. Schließlich ist die Wertschätzung und Förderung gesellschaftlicher Vielfalt eines der grünen Kernanliegen.
Wir erleben diese Entwicklung als Bereicherung - und als Erweiterung individueller Handlungsmöglichkeiten. Aber wir sagen auch: Freiheit und Selbstbestimmung müssen mit Verantwortung gepaart sein. Wir Grüne haben diese Werte im gesellschaftlichen Kontext immer zusammen gedacht - bei der Verantwortung für die Umwelt oder für nachfolgende Generationen. Gleichwohl bringt so ein Prozess - z. B. im Zuge der Wandlung der Erscheinungsformen und des Zusammenhalts von Familien in Deutschland - neuartige und eigene Probleme mit sich. Diese Herausforderungen werden wir nur meistern, wenn wir uns den vielfältigen Lebensrealitäten z. B. von Familien in Deutschland stellen, Menschen mit ihren Lebensentwürfen annehmen, und Lösungen finden, die der jeweiligen Lebenspraxis dieser Menschen entspricht.
In diesem Sinne laufen auch die vielfältigen Kontakte der Grünen mit den großen Religionsgemeinschaften in Deutschland. Beim letzten Gespräch etwa mit Kardinal Lehmann hat Frau Künast sinngemäß die Frage gestellt: Wie entwickelt sich eigentlich das Familienbild der katholischen Kirche angesichts der Tatsache, dass das traditionelle alte Bild immer weniger gelebt wird, es aber zu den zentralen christlichen Werten gehört, Nächstenliebe und Sorge für die anderen zu leben, in welcher Form auch immer?
Die katholische Kirche steht - wie andere zivilgesellschaftliche Akteure auch - vor der Herausforderung zu klären, was eigentlich das jeweilige Bild von Gesellschaft ist und wie man mit den modernen Lebensformen umgeht - wenn Menschen (wie in Berlin und anderen deutschen Großstädten) immer öfter allein leben; wenn es immer mehr Alleinerziehende gibt und Patchworkfamilien entstehen.
Nehmen wir z. B. die Wohlfahrtsverbände der beiden großen christlichen Kirchen. Diese helfen diesen Familien Tag für Tag. Denen ist nicht mit der Ausgrenzung von nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geholfen. Vielmehr brauchen sie ein klares Signal, dass die Lebensform, die sie gewählt haben, anerkannt wird und Wertschätzung dafür, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. . Die Politik ist aufgefordert, soziale Handlungskonzepte zu entwerfen, die allen Familien in Deutschland nützen..
Im Hinblick auf das von Ihnen angeführte Zitat heißt dies:
* Jeder von uns (und damit auch die Katholische Kirche) sollten für jeden dankbar sein, der im 21. Jahrhundert Verantwortung für andere Erwachsene oder für Kinder übernimmt - egal ob es sich um nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder um alleinerziehende Eltern handelt.
* Die katholische Kirche ist jedoch - nicht zuletzt aufgrund derart prononcierten Äußerungen aus dem Bischofskollegium - besonders gefordert, ihr Bild von Ehe und Familie der Lebensrealität in unserem Land anzupassen
In diesem Sinne verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Mark Holzberger
Vorstandsreferent Renate Künast MdB