Frage an Renate Künast von Christina B. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Frau Künast,
Meine Frage ist wie es mit dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Thema Elternunterhalt erst ab 100000 euro einkommen weiter geht. Wird es denn umgesetzt? Es gibt keinerlei Informationen wie der Stand ist. Ist es denn überhaupt im Gespräch?
Vielen Dank für Ihre Antwort
Sehr geehrte Frau B.,
vielen Dank für Ihre Frage. Wir können Ihre Frage jedoch nur aus unserer Perspektive, also der einer Oppositionsfraktion, beantworten. Spezifische Informationen zu Zeitplänen, Gesprächen usw. erfragen Sie bitte bei den Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU oder beim Ministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend direkt.
Wenn ein Elternteil im Alter weder mit der eigenen noch mit der Rente des Ehepartners und auch nicht durch eigenes Vermögen in der Lage ist, die Kosten für ein Pflegeheim aufzubringen, das Kind oder die Kinder jedoch gut genug verdienen, um einen Beitrag leisten zu können – dann sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass sie das auch tun. Man könnte z.B. damit argumentieren, dass die Eltern einiges dazu getan haben, dass es ihrem Kind oder ihren Kindern jetzt so gut geht – auch unter Verzicht auf eigenen Komfort.
Wir Bündnisgrüne halten die Beteiligung der Ehegatten oder der Kinder an den Gesamtkosten der Pflege deshalb grundsätzlich für vertretbar, da es sich bei den Kosten die für Unterkunft und Verpflegung zu zahlen sind um einen Bereich handelt, der der individuellen und privaten Lebensgestaltung zuzuordnen ist. Bezüglich des Teils, der auf die Pflege selbst entfällt, verfolgen wir einen anderen Ansatz. Dieser Ansatz soll die Pflege-Eigenbeteiligung deutlich senken und somit den Betrag des Rückgriffs auf Angehörige ebenso deutlich reduzieren. Mehr zu diesem Konzept finden Sie am Ende dieser Antwort.
Berücksichtigt werden muss auch, dass bei der Grundlage für den Elternunterhalt umfassend Kosten abgezogen und Selbstbehalte berücksichtigt werden. Vom Nettolohn werden Unterhalt für eigene Kinder und sogenannte Werbungskosten abgezogen (z. B. Krankenversicherungen, Kreditraten, Aufwendungen zur Altersvorsorge aber auch geplante Anschaffungen und Urlaube). Von diesem „bereinigten“ Einkommen wird dann ein Selbstbehalt abgezogen. Er beträgt bei Singles zur Zeit mindestens 1.800 Euro, bei Verheirateten mindestens 3.240 Euro für beide zusammen. Der Selbstbehalt muss für Miete, Lebenshaltungskosten, Versicherungen etc. ausreichen. Auf den Betrag der nach diesen Abzügen übrig bleibt, müssen Kinder maximal 50 Prozent für die Eltern zur Verfügung stellen.
Das kann zwar in Einzelfällen, z.B. bei sehr gut verdienenden unverheirateten Paaren oder Singles zu hohen Unterhaltszahlungen führen, in Wirklichkeit kommt das aber selten vor. Das ganze Konzept steht und fällt natürlich mit der Höhe der Freibeträge bzw. dem anzurechnenden Einkommen und Vermögen. Wir wollen nicht, dass Menschen, deren Ehepartner pflegebedürftig wird, plötzlich mit weniger als dem Regelsatz auskommen müssen, oder dass Menschen mit Familie unter den Zahlungen, die sie vielleicht gleichzeitig für die Ausbildung ihrer Kinder und für ihre Eltern leisten müssen, finanziell zusammenbrechen. Doch beim Elternunterhalt gibt es diverse Möglichkeiten, Belastungen anzurechnen.
Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen beschäftigt sich bereits seit vielen Monaten mit dem Ansatz des Sockel-Spitze-Tauschs, der für den Pflege-Eigenanteil ein neues Konzept und die Deckelung/Begrenzung vorsieht. Bereits im Juni 2018 hatten wir Professor Rothgang zu einem öffentlichen Fachgespräch eingeladen um dieses Modell vorzustellen und zu diskutieren. Den Bericht über diese Veranstaltung finden Sie unter: https://www.gruene-bundestag.de/pflege/pflegeversicherung-der-zukunft.html
Bis Sommer 2019 ist geplant in der grünen Bundestagsfraktion ein Positionspapier zum Thema zu verabschieden. Am 10.4.19 ist im Handelsblatt ein Artikel von Katrin Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion) und Manne Lucha (Minister in Baden-Württemberg) zum Thema erschienen:
„Fast 25 Jahre nach der Einführung der Pflegeversicherung denken wir das Verhältnis zwischen Eigenverantwortung, verpflichtender Vorsorge via Pflegeversicherung und gesamtgesellschaftlicher Solidarität neu. Pflegebedürftigkeit darf nicht zur Armut führen. Darum brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Wir wollen das System umdrehen hin zur doppelten Pflegegarantie: Die Summe, die Pflegebedürftige selbst für die Pflege zahlen, wird künftig festgeschrieben. Alle anderen Pflegekosten übernimmt die Versicherung. Die Pflegebedürftigen bekommen die finanzielle Planbarkeit der Kosten und die Qualität der Leistung garantiert. ... Wir wollen, dass Pflegebedürftige einen festen Betrag für die Pflege zahlen – bestenfalls deutlich unter den aktuellen 600 Euro. Alles darüber hinaus übernimmt die Versicherung. Mit diesem Sockel-Spitze-Tausch wären die Kosten für die Pflegebedürftigen überschaubar gedeckelt. Kurzfristig kann der Pflegeeigenanteil um ein Drittel gesenkt werden, wenn auch im Heim die Krankenversicherung die aus medizinischen Gründen notwendige Pflege übernimmt. … Eigenverantwortung besteht weiter bei Wohnen und Essen. Für uns ist unstrittig, dass diese Kosten – egal ob zu Hause oder im Heim – weiter selbst zu zahlen sind.“
Diese Idee hört sich einfach an, sie ist in der Umsetzung aber sehr komplex. Daher setzen wir uns für eine breite politische und gesellschaftliche Debatte und einen hoffentlich daraus folgenden Konsens ein. Dafür werden wir uns als bündnisgrüne Bundestagsfraktion einsetzen und begrüßen daher, dass sich inzwischen viele – aus Wissenschaft, Wohlfahrtsverbände, Kassen - aber auch der Bundesrat auf Initiative des rot-grün-regierten Stadtstaats Hamburg dem Thema widmen.
Mit freundlichen Grüßen
Team Renate Künast