Frage an Renate Künast von Wilfried M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Künast,
an mich wenden sich weiterhin Bürger, welche aufgrund unterschiedlichster - schlechter- Erfahrungen mit real existierenden Juristen (in Justiz, Verwaltung, Wirtschft und Politik) denen glauben, welche selber vom Glauben an die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsstaat abgekommen sind oder vielleicht die Nichtexistenz der Bundesrepublik wider bessere Einsicht aus nicht genannten Beweggründen bestreiten (um z.B. Ausweise für Phantasiestaaten austellen zu können oder/und um Phantasieposten in Traumreichen zu besetzen und Anhänger um sich zu scharen?).
Gerade wurde ich aus einem Kreis von Zweifelnden und zugleich mir Vertrauenden darauf hingewiesen, daß die Eingangsformel für das Gesetz, welches die Einführung der Zivilprozeßordnun betrifft, tatsächlich wie folgt lautet:
"Wir ...
verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:" (1)
Meine Fragen an Sie:
1) Was spricht dagegen, diese Eingangsformel durch die Legislative recht bald abzuändern, sodaß Zweifler darin keine geistige (bzw. irreführende/ungeistige) Nahrung mehr finden für die Annahme, das Deutsche Reich entfalte noch irgend eine Gestaltungsmacht?
2) Könnte es sein, daß die Menschen schlicht durch falschen Glauben und Mangel an staatlicher Aufklärung bzw. Unterlassen der Klärung von Unklarem in Gruppen zu Anhängern von Ideen des Fortbestehens eines Deutschen Reiches -und der Nichtexistenz der BRD als Staat- werden?
3) Finden Sie es -ethisch- in Ordnung, sogenannte "Reichsbürger" als "verrückt" abzustempeln, ohne sich zu fragen, wie sie "verrückt" (gemacht?) wurden (2)?
Mit frdl. Gruß
Dipl. med. W. M.
Facharzt f. Anatomie, Psychiatrie,Psychotherapie a.D.
Anti-Korruption . Reformtion 2014 e.V.
1) http://www.gesetze-im-internet.de/zpoeg/eingangsformel.html
2) vgl unbeantwortete Fragem an MdL König (LINKE): https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/katharina-konig/question/2016-10-21/23635
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und die Fragen.
In der Weltanschauung vieler sogenannter „Reichsbürger“ existiert die Bundesrepublik Deutschland nicht. Sie stellen das Gewaltmonopol des Staates und damit auch den Rechtsstaat grundsätzlich infrage. Rund 10.000 Personen sollen den sogenannten Reichsbürgern, Germaniten oder angeblichen „Selbstverwaltern“ angehören. Das merken seit einigen Jahren zahlreiche Behörden und Gerichte, deren Arbeit zum Teil systematisch blockiert wird. Die Nähe der Bewegung zu rechtsextremer Ideologie und Affinität zu Waffen ist ebenso auffällig.
Die Gründe, die Menschen, die sich dem „Reichsbürger“-Spektrum zugehörig fühlen, für ihre Denkweise hervorbringen, sind häufig haltlos und ihnen kann mit rechtsstaatlichen Argumenten begegnet werden. So ist es z.B. schlicht nicht nachvollziehbar, wenn als Reaktion auf schlechte Erfahrungen mit Jurist*innen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland abgesprochen wird. So lässt sich auch die Eingangsformel des Einführungsgesetzes der Zivilprozessordnung (ZPOEG) einfach begründen: Das Gesetz wurde bereits 1877 ausgefertigt und regelt schlicht die Einführung der 1879 in Kraft getretenen Zivilprozessordnung (ZPO). Wie der Antwort der Bundesregierung vom 30.06.2015 auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE zu entnehmen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass das Völkerrechtssubjekt „Deutsches Reich“ nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch ist ( http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/051/1805178.pdf ). Somit bestehen keine Zweifel über das Fortwirken der ZPO sowie ähnlich gelagerter Gesetze.
Spätestens seitdem ein Reichsbürger am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd auf einen Polizisten schoss und dieser daraufhin verstarb, ist klar: Die Bewegung stellt ein Gefahrenpotential für die innere Sicherheit dar. Es ist selbstverständlich wichtig, zu hinterfragen, weshalb sich Menschen der Reichsbürgerbewegung anschließen. Bisher gibt es nur wenige Erkenntnisse und konkrete Zahlen darüber, denn sogenannte „Reichsbürger“ und Selbstverwalter werden erst seit Ende 2016 konsequent durch den Verfassungsschutz beobachtet. Jahrelang haben wir als Grüne Bundestagsfraktion gefordert, diese rechtsextreme Bewegung, die die Bundesrepublik nicht anerkennt und für einen deutschen Staat in den Grenzen vor 1945 agitiert, in den Fokus zu nehmen. Die ideologische Nähe der Reichsbürger zum Rechtsextremismus, die hohe Waffenaffinität und das vielmals aggressive Vorgehen gegen Hoheitsträgerinnen und Hoheitsträger finden wir äußerst besorgniserregend. Deshalb haben wir als Grüne Bundestagsfraktion kürzlich eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, um mehr Licht ins Dunkel rund um die Reichsbürgerbewegung zu bringen. Sie können unsere Fragen sowie die Antwort der Bundesregierung hier nachlesen: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/005/1900539.pdf . Durch unsere Anfrage kam heraus: Die Bundesregierung schätzt, dass rund 1000 Reichsbürger über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügen und sie schätzt das Personenpotential der Reichsbürgerbewegung auf 16.500 Menschen.
Politik und Sicherheitsbehörden brauchen mit Blick auf die rechtsextreme Reichsbürgerbewegung nicht weniger sondern mehr Problembewusstsein. Wenn wir uns der sehr stark bewaffneten Reichsbürgerszene nicht ernsthafter annehmen ist die Gefahr der Bildung von Terrorzellen ähnlich dem NSU sehr groß. Einer solchen Entwicklung müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.
Als Grüne fordern wir deshalb eine regelmäßige Analyse, die die Bedrohungen durch die Reichsbürgerszene klar benennt, statt sie zu verharmlosen. Außerdem fordern wir Änderungen des Waffenrechts, damit Menschen mit dieser Weltsicht nicht so leicht an Waffen kommen. Reichsbürger sollten nicht als harmlos oder verrückt abgestempelt werden, sondern ihre Gefahr für den Rechtsstaat und die innere Sicherheit in unserem Land ernst genommen werden.
Freundliche Grüße
Team Renate Künast