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Renate Künast
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Frage von Wilfried M. •

Frage an Renate Künast von Wilfried M. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Künast,

kürzlich hat sich auch der bekannte BGH- Richter (und Kommentator des Strafgesetzbuches) Prof. Dr. iur. Thomas FISCHER für die Einführung des Wortprotokolls - und sogar der Videoaufzeichnung - bei der Verhandlung in der Tatsacheninstanz ausgesprochen (1).

Hierzu wüßte ich gern:
1. Wie stehen Sie dazu?
2. Gibt es entsprechende -nachlesbare- Vorschläge Ihrer Partei zur Änderung der Strafprozeßordnung, vielleicht auch der ZPO?
3. Falls nicht: Was spricht gegen solche Initiativen?
Und zuletzt:
4. Wem nützt der Verzicht auf die Möglichkeiten der Videodokumentationen?

Hochachtungsvoll

Dipl. med. W. Meißner
Facharzt für Anatomie, Psychiatrie und Psychotherapie a.D.
Anti-Korruption . Reformation 2014 e.V.

1) Auf Nachfrage des Berliner Strafverteidigers SEYDEL bei Zeit online,
h 1:15: 35 hier:
http://www.zeit.de/video/2015-10/4568815641001/bundesrichter-ich-bin-kein-wutbuerger

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Meißner,

eine Einführung audiovisueller Dokumentation von Vernehmungen im Vorverfahren, jedenfalls bei gravierenden Tatvorwürfen oder schwieriger Sach-und Rechtslage, sehe ich positiv.

Auch die Aufzeichnung der Hauptverhandlung sehe ich positiv, allerdings gibt es dazu unterschiedliche Einschätzungen. Aus anwaltlicher Sicht ist die Dokumentation der Hauptverhandlung ein zentraler, längst überfälliger Reformpunkt. Nur so könne der Beweisstoff umfassend gesichert und Streit z.B. über den Inhalt von Aussagen vermieden werden. Bei langen Hauptverhandlungen seien die Einzelheiten auch für noch so professionelle Prozessbeteiligte schwer präsent zu behalten; auf Mitschriften etwa der Tatrichter sollte man als Dokumentation nicht beschränkt sein. Tatsächlich ist es derzeit so, dass nur entsprechend situierte Angeklagte sich eine durch professionelle Stenographen unterstützte Verteidigung leisten könnten.

Ein allseits gesehenes Problem bei voller Dokumentation der Hauptverhandlung ist, dass dann der gesamte Inhalt Dokumentation zum Revisionsgegenstand und damit die Revisionsinstanz sozusagen zu einer zweiten Tatsacheninstanz werden könnte. Dem ließe sich aber zumindest perspektivische durch entsprechende Gestaltung des Revisionsrechts entgegenwirken. Neben diesem Punkt und den Kosten für die Landesjustizverwaltungen, müssten mögliche Auswirkungen einer audiovisuellen Aufzeichnung auf das Zeugenverhalten und der sichere Umgang mit den Daten im Hinblick insbesondere auf den Persönlichkeitsschutz geklärt und gewährleistet sein. Kritisch anzumerken ist auch, dass die in den USA traditionelle Wortprotokollierung bei Strafverfahren keineswegs eine Garantie für Wahrheitsfindung und gegen Fehlurteile ist und Technik nicht vor allen Fehlern bewahrt.

Mit freundlichen Grüßen
Team Renate Künast

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