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Renate Künast
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Frage von Bernd R. •

Frage an Renate Künast von Bernd R. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Renate Künast,

auf "Eurosport" wurde im September dafür geworben, bei Bundesliga-Spielen den Videobeweis einzuführen, um die Fehlerhäufigkeit von (Schieds-) Richterentscheidungen zu vermindern.
Die Einführung der Videodokumentation zu Beweiszwecken wäre nicht (wie von dem nun in´s Gerede gekommenen Michel Platini behauptet) "das Ende" für den Fußball (Link 1).
Sie sind stellvertretendes Mitglied im Innenausschuß und Juristin und haben eine Vorstellung davon, wo überall heute Kameras herumhängen und unsere Dauer-Beobachtung ermöglichen.
Daher frage ich Sie: Was spricht denn aus Ihrer Sicht noch gegen den - Schiedsrichter ja womöglich auch vor Beschimpfungen und Schlimmerem schützenden - Videobeweis in der Bundesliga?

Da Sie auch im Rechts-Ausschuß sitzen:
Nach Jordan und Gresser (Dtsch Arztebl 2014; 111(6): A-210 / B-180 / C-176) wird bei medizinischen/psychiatrischen Begutachtungen oft (von Richtern!) "eine Tendenz vorgegeben" (Link 2)
Was genau spricht nun gegen die Einführung einer gesetzlichen Video-Dokumentationspflicht für Psychiater (und ebenso für Psychologen) im Rahmen von Begutachtungen in Straf- und zivilrechtlichen Verfahren (vgl. auch die von Ihnen noch nicht beantworteten Fragen vom 12. November, Link 3)?

Wollen Richter und Regierungsleute womöglich "Ihre" (Gefälligkeits-) Gutachter vor Fachkritik aus den Reihen der Psycho- Fachvertreter schützen, welche im konkreten Einzelfall effektiv doch nur anhand einer Videodokumentation möglich wäre?

Ich bitte höflichst um vollständige und wahrheitsgemäße Antworten.

Mit freundlichen Grüßen
aus Rheinland-Pfalz
Bernd Rieder
Kupferschmiedemeister und Obmann der Feldgeschworenen

Link 1 http://www.eurosport.de/fussball/es-fuhrt-kein-weg-am-videobeweis-in-der-bundesliga-vorbei_sto4912429/story.shtml
Link 2 http://www.aerzteblatt.de/archiv/154014/Gerichtsgutachten-Oft-wird-die-Tendenz-vorgegeben
Link 3) http://www.abgeordnetenwatch.de/renate_kuenast-778-78280--f445757.html#q445757

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Rieder,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Die Einordnung oder Forderung nach einem Videobeweis im Fußball ist nicht primär eine Frage der Sportpolitik. Vielmehr obliegt diese Regelfrage in erster Linie den Gremien des Fußballs. Das liegt an der historischen Tradition und den Kompetenzverteilungen im Weltfußball, nach der Grundsatzentscheidungen bei Regelfragen vom „International Football Association Board“ der FIFA beschlossen werden. Die Umsetzung wiederum liegt dann bei den Kontinental- bzw. Nationalverbänden sowie den Profiligen. Bei Unsportlichkeiten, die der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin im Spiel nicht bemerkt, gilt im Profifußball bereits der nachträgliche Videobeweis durch ein Fußballschiedsgericht.

Auf die Vorteile eines ausgeweiteten Videobeweises um eine bestmögliche Regelanwendung gerade bei der derzeitigen Kommerzialisierung des Fußballs zu gewährleisten und um der Überforderung von Schiedsrichter*innen entgegenzuwirken, werde ich Ihrer Fragestellung entsprechend nicht vertieft eingehen. Ein vorherrschendes Kriterium bei Regelsetzungen oder Veränderungen ist jedoch das Einheitlichkeitsbedürfnis im Profi- und Amateurfußball. Hierbei geht es darum, dass keinem Amateurverein die aufwändige Torlinientechnik oder das Aufstellen von Kameras zur Führung eines Videobeweises finanziell zuzumuten ist. Durch eine uneinheitliche Regelsetzung würde aber die Differenz zwischen Profi- und Amateurfußball vergrößert.

Foulspiele und Abseitsstellungen sind zudem auch durch den Videobeweis häufig nicht einwandfrei feststellbar. Auch würde es im Zweifel zu zahlreichen Spielunterbrechungen kommen, die einem Spiel, das wie Fußball von dynamischen Aktionen und Emotionen lebt, schwer zumutbar sind.
Bei psychiatrischen Begutachtungen hingegen geht es um Dinge aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich, die einen hohen Schutz verlangen. Allein das Wissen um die Aufnahme kann die Äußerungen oder Äußerungsweisen verändern und verfälschen. Gegen den Willen des Betroffenen aufzunehmen wäre höchst problematisch.

Zudem wird häufig mit einer Aufnahme der Vernehmungen des Beschuldigten oder von Zeug*innen auch verbunden, den „Videobeweis“ in die Hauptverhandlung einzuführen. Das aber ist eine Aushebelung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. In der StPO gibt es aus gutem Grund bisher nur wenige Ausnahmen (§§250 ff.) davon, wann statt der Vernehmung in der Hauptverhandlung das Protokoll einer früheren Vernehmung verlesen werden darf. Das hat mit den unmittelbaren Eindruck des Gerichts zu tun, aber auch mit den Konfrontations- und anderen Vereidigungsrechten. Dementsprechend gibt es auch großen Widerstand aus der Strafverteiger*innenszene gegen den geplanten sog. „Transfer“.
Ein wirksamerer Schutz gegen Polizeigewalt bzw. ein Nachweis dieser durch Videoüberwachung ist auch nicht indiziert und lässt sich zudem umgehen.

Sie sehen, es geht hier nicht um den Schutz der Gutachter oder von Gefälligkeiten, sondern vielmehr auch um den Schutz von Persönlichkeitsrechten und um die Ermöglichung eines rechtsstaatlichen Prozesses. Die Vorschläge zur Reform der Strafprozessordnung scheinen bewusst keine Änderung der Vernehmung oder Begutachtung vorzusehen.

Wir Grüne sind gerade dabei, die Vorschläge zu prüfen.
Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Team Renate Künast

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