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Renate Künast
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Anton H. •

Frage an Renate Künast von Anton H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Künast,

mich bewegt die Frage zu unserem sogenannten "Rechtsstaat", und zwar ob dieser Begriff derzeit zurecht auf Deutschland angewandt wird.

M.E. gehört es zu einem Rechtsstaat, dass die dritte Staatsgewalt, die Jurisdiktion, kritisch auf die blickt, die als sog. "Repräsentanten" des Souveräns Gesetze verabschieden und und selbständig eingreift und ermittelt, ob sich Repräsentanten beim Verabschieden von Gesetzen strafbar verhalten

Ist es nicht eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz, die ja grundgesetzwidrig ist, wenn nur einem gewissen Kreis von Personen und Firmen Steuerbetrug mit Scheinfirmen, Mietbriefkästen, Lizenz-Tricksereien etc. (siehe z.B. Focus-Artikel zu Briefkastenfirmen v. 26.02.2015 und den Artikel "Geld für den Fiskus im Manager-Magazin vom 22.05.2013) von Seiten des Gesetzgebers ermöglicht wird.

Kann evtl. Untreue, Beihilfe zu Unterschlagung o.ä vorliegen, wenn Repräsentanten, die ein Gesetz zum Schaden des größten Teils des Souveräns verabschieden, und wenn Repräsentanten solche gesetzlichen Regelungen nicht abschaffen?

Und könnte Rechtsbeugung vorliegen, wenn Staatsanwälte nicht gegen Gesetzesverabschieder, die eine solche Ungleichbehandlung vor dem Steuer- und Strafgesetz mit verabschieden, ermitteln?

Wenn hingegen von den Repräsentanten allen Personen und Firmen, die Steuern zahlen, eine vergleichbare Möglichkeit gegeben würde, Steuern zu "optimieren", indem man allen neben "Ausgaben und Verrechnungen" mit Scheinfirmen "Ausgaben und Verrechnungen" mit "Scheinpersonen" (die könnten ja auch in Delaware oder Luxemburg registriert werden) ermöglicht. Dann wären ja alle vor dem Steuer- und Straf-Gesetz gleich, was das Grundgesetz nun mal fordert.

Wäre es nicht sinnvoll, bis zu der Abschaffung dieser grundgesetzwidrigen Privilegierung von gleicheren Steuerzahlern oder bis zu einer Zueerkennung vergleichbarer Steueroptimierungsmöglichkeiten für alle, den Begriff "Rechtsstaat" für Deutschland zu vermeiden?

Vielen Dank!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Huber,

vielen Dank für Ihre Frage.

In einem Rechtsstaat sind die verfassungsmäßigen Gewalten rechtlich gebunden – die Legislative an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht (vgl. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz).

Durch diese Inbezugnahme ist es, wie auch Sie schrieben, Aufgabe der Judikative, das Entstehen von Gesetzen kritisch zu begleiten. So können Gesetze insbesondere vom Bundesverfassungsgericht für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt werden. Diesen Mechanismus halten wir für Grüne für wichtig und richtig.

Bezüglich der von Ihnen beschriebenen „Ungleichbehandlung vor dem Gesetz“, verweise ich gerne auf unsere grüne Position ( http://www.gruene-bundestag.de/themen/steuern/hunde-die-bellen_ID_4390716.html ):
„Wer Steuern hinterzieht, betrügt die Allgemeinheit. Die Mehrheit der ehrlichen Steuerzahler muss dadurch entweder höhere Steuern zahlen oder bekommt weniger öffentliche Leistungen für ihr Geld. Deswegen muss es oberste Priorität haben, Steuern einzutreiben und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.

Unser wichtigster Vorschlag im Kampf gegen Steuerhinterziehung ist die uneingeschränkte Transparenz von privaten Kapitalerträgen. Während es für Lohnempfänger selbstverständlich ist, dass ihr Gehalt vom Arbeitgeber ans Finanzamt gemeldet wird, ist dies bei Konten und den anfallenden Zinsen noch immer nicht der Fall. Diesen automatischen Informationsaustausch zwischen Banken und Finanzämtern herzustellen, würde der Steuerhinterziehung den Boden entziehen. Der Staat müsste dann auch nicht mehr zu Mitteln wie dem Ankauf von CDs greifen.

Und es gäbe noch weitere Ansatzpunkte, wie Deutschland gegen Steuerhinterziehung vorgehen könnte. Deutsche Banken unterhalten zahlreiche Tochtergesellschaften und Niederlassungen in Staaten, deren Geschäftsmodell Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist. Dort werden sicher nicht die Kredite für deutsche Mittelständler vergeben. Deutschland könnte den Banken Niederlassungen in diesen Ländern schlicht verbieten. Aber auch zu einem solchen Schritt ist die Regierung nicht willens. Die SPD wollte in der vergangenen Wahlperiode nicht einmal die Deutsche Bank zu einer Stellungnahme zu diesen Praktiken zwingen.

Und auch mehr internationaler Druck auf Staaten wie die Schweiz ist möglich. Die Amerikaner haben dies bewiesen. Sie haben die Schweiz zur Herausgabe aller relevanter Informationen gezwungen, indem sie damit drohten Schweizer Banken die Lizenz für das Geschäft in den USA gänzlich zu entziehen. Und was tat die Bundesregierung. Sie hat 2011 ein Abkommen mit Liechtenstein ohne den automatischen Informationsaustausch verhandelt und unterzeichnet. Und die Botschafterin von Liechtenstein erklärte dann auch im Finanzausschuss ganz direkt, dass man den USA auch automatisch Informationen liefere, weil diese das Land schlicht dazu zwingen würden. Deutschland scheint dies nicht so wichtig zu sein.“

Wie Sie sehen, sind auch wir mit den derzeitigen Regelungen zu Steuerhinterziehung nicht zufrieden.
Anstatt aber allen, wie von Ihnen vorgeschlagen, eine vergleichbare Möglichkeit zu geben, Steuern zu hinterziehen, stehen wir Grüne für einen anderen Ansatz: Nämlich faire Regeln für alle und, dass sich alle daran halten.

In diesem Sinne möchte ich auch noch einmal auf die Funktion von Steuern hinweisen:
Es ist eben nicht so, dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen Geld „wegnehmen“ möchte. Vielmehr wird durch Steuern der Allgemeinheit Gutes getan. Durch Steuern werden gemeinschaftliche Lasten getragen, z.B. Infrastruktur, Schulen, ein Gesundheitssystem, Wissenschaft, Forschung ermöglicht, öffentliche Sicherheit gewährleistet und versucht, sozialen Ausgleich zu gestalten. Von Steuern profitieren schlussendlich wir alle, weshalb sie auch eine so wichtige Funktion in unserem Sozialstaat haben.

Weitere Informationen finden Sie auch auf der Website von der Bundestagsfraktion Bündnis 90 /Die Grünen, insbesondere unter http://www.gruene-bundestag.de/themen/steuern/steuervermeidung-multinationaler-unternehmen-eindaemmen_ID_4393380.html .

Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Renate Künast

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