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Renate Künast
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Frage von Zaneta B. •

Frage an Renate Künast von Zaneta B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Hallo,

als Freiberufler in der Physiotherapie halte ich mich in meiner Arbeit an die Verträge mit den Krankenkassen fest. Und trotzdem ab und wieder mache ich Fehler bei den AOK Nord Versicherten mit einem Rezept "Verordnung außerhalb des Regelfalles", weil die AOK Nord als einzige Kasse vor dem Beginn der 1. Behandlung eine Genehmigung verlangt d.h. Patient geht zur Kasse und bekommt auf seinem Rezept einen Stempel. Erst danach darf die Therapie beginnen. Und leider vergesse ich das zu prüfen, weil ich an einem Arbeitstag auch bis 25 Patienten behandle und unter Zeitdruck stehe. Ich verstehe das nicht, weil ein Arzt sich doch dabei etwas ausgedacht hat als er ein Rezept "außerhalb des Regelfalles" ausgestellt hat! Meine Patienten, die zu mir mit dem Rezept kommen, haben alle eine neurologische Krankheit mit wenig Chancen auf eine Verbesserung. Das ist auch der Kasse klar. In den letzten Monaten habe ich fast 800,- € verloren, weil die Kasse das Geld nicht ausgezahlt hat. Das Geld wurde von meinem Monatslohn abgezogen. Die AOK Nord behält die Rezepte und zahlt, die von mir erbracht Leistung an den Praxisbesitzer nicht. Ich habe schrifftlich nach einer Lösung nachgefragt, aber es wurde abgelehnt. Die AOK Nord hat jeden Monat hunderte solche Fälle und "spart" damit viel Geld! Und ich weine. Wieso stellt man hier die Entscheidung des Arztes in Frage? Wieso werden die Patienten nicht von der Kasse aufgeklärt, dass sie eine Genehmigung benötigen? Wieso erschwert man uns, Physiotherapeuten das Leben? Ich arbeite nach Anweisung des Arztes trage aber volle Verantwortung für seine Entscheidung. Solche Fälle nehmen mir die Motivation und Spaß an meiner Arbeit weg! Die AOK Nord meint, es gibt zu viel Betrug, aber da sie die einzige Kasse mit der Regelung ist, kann ich es kaum glauben. Was meinen Sie?
MfG

Zaneta Badulski
Berlin, 9.4.2015

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Sehr geehrte Frau Badulski,

die sogenannten „Verordnungen außerhalb des Regelfalls“ sind in der Heilmittelrichtlinie geregelt. Sie gelten für Fälle, in denen sich das Therapieziel mit der im Katalog vorgegebenen Gesamtverordnungsmenge an Heilmitteln nicht erreichen ließ. So sind weitere Verordnungen möglich.

Eine solche Verordnung außerhalb des Regelfalls ist vom Patienten bzw. Versicherten der zuständigen Krankenkasse zur Genehmigung vorzulegen. Krankenkassen können jedoch auf die Genehmigung im Einzelfall verzichten und pauschal genehmigen. Offenbar gehört die AOK Nordost zu den Kassen, die nicht auf das Genehmigungsverfahren verzichten.

Damit eine Behandlung nicht lange unterbrochen werden muss, kann die Therapie aufgenommen werden, sobald der Versicherte die Verordnung bei seiner Krankenkasse vorgelegt hat. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung über den Genehmigungsantrag, längstens jedoch bis zum Zugang einer Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung. Eine Rückforderung der Kosten bereits erbrachter Leistungen ist unzulässig.

Mit seinem Urteil B 1 KR 4/09 R vom 27.10.09 hat das Bundessozialgericht die Heilmittelerbringer, also auch die Physiotherapeuten, verpflichtet, die Vollständigkeit und Richtigkeit der vertragsärztlichen Heilmittelverordnungen zu prüfen. Sämtliche Angaben auf den Rezepten müssen den Heilmittelrichtlinien sowie dem Heilmittelkatalog nicht nur formell sondern auch inhaltlich entsprechen. Dies umfasst alles, was erkennbar falsch ist – also auch eine nicht bei der Kasse vorgelegte Verordnung außerhalb des Regelfalls.

Hintergrund dieses Urteils ist das Wirtschaftlichkeitsgebot im SGB V, das letztendlich die notwendige Versorgung mit Heilmitteln für alle Versicherten sicherstellen soll. Dazu bedarf es einer gewissen Steuerung, und die erfolgt – neben anderen Mechanismen wie etwa dem Heilmittelbudget, innerhalb dessen Ärzte Verordnungen ausstellen können – eben auch über die Prüfung der Verordnungen durch die Heilmittelerbringer.

Sicher sollte zunächst der verordnende Arzt den Versicherten darüber aufklären, dass sein Rezept der Kasse zur Genehmigung vorgelegt werden muss. Das liegt auch im Interesse des Patienten, da ohne diese Genehmigung die Therapie nicht begonnen werden kann.

Wir können auch gut verstehen, dass die Prüfung der Verordnung für Sie nicht einfacher wird, wenn die Kassen unterschiedliche Regelungen haben. Und dass Sie durch die Ausnahme, die die AOK Nordost bei den Verordnungen außerhalb des Regelfalls macht, so viel Geld verloren haben, tut uns aufrichtig leid. Dennoch halten wir grundsätzlich Steuerungsmechanismen in diesem Bereich für notwendig. Dabei geht es weniger um Betrug, wie die AOK behauptet – den sehen wir nicht –, sondern vor allem darum, mit den begrenzten Mitteln, die der Krankenversicherung nun mal zur Verfügung stehen, eine möglichst bedarfsgerechte und gute Versorgung sicherzustellen.

Unter Umständen ist es Ihnen ja vor dem Hintergrund dieser Informationen möglich, nochmals mit der AOK Nordost ins Gespräch zu kommen und über eine ausnahmsweise rückwirkende Erstattung der Kosten auf dem Kulanzwege zu verhandeln.

Mit freundlichen Grüßen
Team Renate Künast

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