Frage an Renate Künast von Norbert G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Künast,
die Kosten für das Gesundheitswesen laufen zunehmend aus dem Ruder. Nach meiner Meinung ist zwar genügend Geld im System - es wird nur falsch ausgegeben. Meine Fragen:
1. Warum werden keine Festpreise für Medikamente eingeführt, wie dies in anderen Ländern schon längst geschieht?
2. Warum müssen wir über 200 Krankenkassen im Land haben - mit einem Wust von Verwaltungs-, Lohn- und Pensionskosten? Von den horrenden Vorstandsbezügen gar nicht zu reden.
3. Warum werden Ärzte nicht kontrolliert - etwa mithilfe von Patientenrechnungen? Die Ärzteschaft ist der einzige Berufszweig, der völlig unkontrolliert arbeiten kann - ein Skandal!
Ich freue mich auf Ihre Antwort und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Norbert Geßner
Sehr geehrter Herr Geßner,
vielen Dank für Ihre Frage zur Kostenentwicklung im Gesundheitswesen. Auf Ihre Fragen will ich gerne antworten.
1.
In vielen anderen Ländern werden die Gesundheitssysteme stark vom Staat gesteuert. Das gilt dann auch für die Arzneimittelpreise. Allerdings werden auch in diesen Ländern die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Regelfall nicht einseitig vom Staat festgelegt. Wesentlich häufiger sind Preisverhandlungen zwischen Staat und Arzneimittelherstellern. In Deutschland funktioniert das Gesundheitswesen etwas anders. Die Steuerung des Systems erfolgt vor allem über die Krankenkassen und die Ärzteschaft. Der Staat ist für die gesetzlichen Rahmenbedingungen zuständig, greift aber nur in Ausnahmefällen direkt in das Geschehen ein. Das hat Nachteile – weil Kassen und Ärzteschaft sich oft gegenseitig blockieren – das hat aber auch Vorzüge. So ist das deutsche Gesundheitssystem wesentlich patientenorientierter und finanziell besser aufgestellt als zum Beispiel das Gesundheitswesen in Großbritannien, das zu den staatsgesteuerten Systemen gehört. Dort gehören monatelange Wartezeiten auch für lebenswichtige Operationen zum Alltag. In einem „selbstverwalteten“ System, wie dem deutschen, wären staatlich vorgegebene Arzneimittelpreise ein Fremdkörper. Wir haben deshalb einen anderen Vorschlag: Heute ist es so, dass jedes zugelassene Arzneimittel von den Ärztinnen und Ärzten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann. Und zwar völlig unabhängig davon, ob es seinen Preis auch wert ist. Das hat dazu geführt, dass die Pharmaunternehmen dem Arzneimittelmarkt mit einer Vielzahl von sogenannten „Scheininnovationen“ überschwemmen. Die sind dann zwar teurer, aber nicht besser als die bereits erhältlichen Medikamente. Um diesen Kostentreibern etwas entgegenzusetzen, wollen wir, dass Arzneimittel im Rahmen ihres Zulassungsverfahrens nicht nur auf ihre Qualität, Wirksamkeit und pharmazeutische Unbedenklichkeit hin getestet werden, sondern auch unter Beweis stellen müssen, ob sie wirksamer als die bereits eingeführten Medikamente sind. Von der Krankenversicherung finanziert werden sollen dann nur solche Arzneimittel, die tatsächlich einen therapeutischen Fortschritt mit sich bringen. Damit ließen sich unnötige Mehrausgaben vermeiden. Außerdem würde für die Pharmaunternehmen ein Anreiz gesetzt, in den Fortschritt zu investieren und für Ärzte und Patienten würde der kaum durchschaubare Dschungel auf dem Arzneimittelmarkt etwas gelichtet.
2.
Von den rund 1.200 Kassen zu Beginn der 1990er Jahre sind heute noch rund 190 übrig. Dieser Konzentrationsprozess ist weiter im vollen Gange. So wird es zum Jahresende voraussichtlich noch 186 Kassen geben. Gleichzeitig ist trotz gestiegener Anforderungen in den letzten 15 Jahren der Verwaltungskostenanteil an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung mit rund 5,7 Prozent konstant geblieben. Dass er mit einer Einheitskasse oder wenigen Großkassen deutlich gesunken wäre, ist nicht zwingend so. Denn: Gerade sehr große Apparate neigen zum Bürokratie-Wachstum.
3.
Ihre Forderung nach Patientenrechnungen können wir nachvollziehen. Auch wir wollen mehr Transparenz. Behandlungsquittungen könnten dafür ein Mittel sein. Allerdings ist es auch heute nicht so, dass Ärztinnen und Ärzte völlig unkontrolliert arbeiten könnten. Sie haben bestimmte Verordnungsmengen – sogenannte Regelleistungsvolumina – einzuhalten. Gelingt ihnen das nicht, führen Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durch. Kommt man in dieser Prüfung zu dem Ergebnis, dass ein Arzt zuviel verordnet hat, ohne dafür gute Gründe angeben zu können, muss er Geld an die Krankenkassen zurück erstatten. Allerdings ist es so, dass diese Prüfungen vielfach nur stichprobenartig durchgeführt werden können. Um mehr Transparenz in diesem Bereich zu schaffen, würden wir deshalb gerne das ärztliche Honorarsystem weiterentwickeln. Ärztinnen und Ärzte sollten künftig stärker danach bezahlt werden, ob sie bestimmte Qualitätsstandards und Leitlinien einhalten. Das könnte dann auch in Zeitungen und im Internet veröffentlicht werden, so dass die Patientinnen und Patienten besser als bisher die Qualität eines Arztes einschätzen können.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Künast