Frage an Reinhold Hemker von Martin W. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Hemker,
ich habe mit großem Interesse Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Kerssen zum Thema "Kindergeld" gelesen. Leider ist Ihre Antwort in meinen Augen nicht ausreichend, das Sie auf einen wichtigen Aspekt dieses Themas nicht eingehen.
Sie schreiben:
"In der Zahlung des Kindergeldes drückt sich eine gleiche Wertschätzung jedes einzelnen Kindes durch den Staat aus."
Soweit ich das Thema Kindergeld verstanden habe, kann ich alternativ zum direkt ausgezahlten Kindergeld auch einen steuerlich absetzbaren Steuer-Freibetrag geltend machen. Dieser Freibetrag "lohnt" sich jedoch erst ab einem bestimmten Jahreseinkommen.
Aus meiner Sicht zeigt sich hier eben keine Gleichbehandlung, da ja die Eltern mit höherem Jahreseinkommen mehr Kindergeld (in Form von nicht zu zahlenden Steuern) bekommen als andere.
Warum wird das Kindergeld nicht für alle Eltern unabhänig vom Einkommen ausgezahlt? Dieses würde ja einerseits kleine Ersparnis beim Kindergeld ergeben, da die Steuererleichterungen für Eltern mit hohem Einkommen wegfallen würden und es würde zusätzlich eine Steuerklausel entfallen können.
MfG
Martin Werthmöller
Sehr geehrter Herr Werthmöller,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Grundsätzlich besteht keine Wahlmöglichkeit zwischen Kindergeld und steuerlichem Freibetrag. Vielmehr prüft das Finanzamt am Jahresende mit einer sogenannten "Günstigerprüfung", ob sich die Zahlung des Kindergeldes oder die Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen finanziell günstiger für die Eltern auswirkt und wendet die jeweils günstigere Variante an. Nachfolgend möchte ich Ihnen kurz den komplexen steuerrechtlichen Hintergrund des Kinderfreibetrages/Kindergeldes erläutern, der zum Verständnis der von Ihnen skizzierten "Gerechtigkeitslücke" notwendig ist:
Nach vielen Jahren familienpolitischer Untätigkeit der Regierung Kohl hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom November 1998 den Gesetzgeber aufgefordert, Familien steuerrechtlich besserzustellen. Ein Kind, so das Verfassungsgericht, mindert dadurch, dass es betreut, erzogen und ausgebildet werden muss, die sogenannte steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern. Die rot-grüne Regierung war nach der Bundestagswahl gezwungen, die Versäumnisse der Vorgängerregierung zu beseitigen und hat allen Familien einen entsprechenden steuerlichen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung in Höhe von 5.808 Euro pro Kind gewährt.
Wie von Ihnen richtig angemerkt, wirken sich die Steuerfreibeträge bei gut- und besserverdienenden Eltern in stärkerem Maße aus, als bei Eltern mit niedrigen Bezügen. Gutverdiener zahlen höhere Steuern, was ich für gerecht halte, und können im logischen Umkehrschluss auch stärker steuerlich entlastet werden, was oft als ungerecht empfunden wird, aber nicht vermeidbar ist.
Um nun auch diejenigen Kinder in Familien zu fördern, die aufgrund ihrer geringen Steuerbelastung nicht oder kaum über Steuerfreibeträge entlastet werden können, zahlt der Staat Kindergeld. Das Kindergeld ist eine Geldleistung, die Familien als steuerliche Vorauszahlung gewährt wird. Die rot-grüne Regierung hatte das Kindergeld erheblich angehoben, um die Gerechtigkeitslücke möglichst weit zu schließen. Es beträgt heute monatlich 154 Euro für das 1. bis 3. und ab dem vierten Kind 179 Euro. Ein Spitzenverdiener mit Reichensteuer von 45% kann maximal auf eine monatliche Steuerentlastung pro Kind von 217,80 Euro kommen (5808 x 45% geteilt durch 12 Monate). Die Differenz zum Kindergeld (1.-3. Kind) beträgt 63,80 Euro.
Die SPD hat sich immer schon zum Ziel gesetzt, diese Differenz auszugleichen. Dieses Ziel hat weiterhin Bestand. Allerdings sind Kindergelderhöhungen sehr teuer (10 Euro kosten ca. 2 Mrd. Euro). Angesichts der Notwendigkeit, Kinderbetreuung, Ganztagsschulen etc. auszubauen und gleichzeitig den Haushalt zu sanieren, gibt es derzeit keine finanziellen Spielräume, die unstrittig gerechte Anpassung des Kindergeldes vorzunehmen.
Im Herbst diesen Jahres wird das Thema Kindergelderhöhung/steuerliche Freibeträge wegen des im Oktober erscheinenden Existenzminimumsberichts wieder auf die politische Tagesordnung kommen. Im Gespräch sind Kindergelderhöhungen um 10 Euro und eine deutliche Erhöhung der Kinderfreibeträge. Durch letzteres würde sich die "Gerechtigkeitslücke" weiter öffnen.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück lässt daher zurzeit prüfen, ob es möglich ist, anstelle des Kinderfreibetrages einen Kindergrundfreibetrag zu gewähren. Ein solcher grundlegender Systemwechsel würde auch Familien mit niedrigeren/durchschnittlichem Einkommen gleichermaßen zu Gute kommen und die progressionsbedingten Entlastungen von Gutverdienern erheblich dämpfen. In diese Richtung möchten auch ich und die SPD-Bundestagsfraktion das System ändern.
Ich möchte aber nicht verhehlen, dass es vermutlich sehr schwierig wird, mit unserem Koalitionspartner zu einer Einigung zu kommen. Familienministerin von der Leyen hat sich bereits ablehnend geäußert. Hinzu kommen verfassungsrechtliche Hürden. Ein Systemwechsel von Kinderfreibetrag zum Kindergrundfreibetrag verletze, so Kritiker, das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung in horizontaler Sicht: sprich Familien mit Kindern dürfen gegenüber kinderlosen Familien steuerlich nicht benachteiligt werden.
Wir werden - und dafür bringe ich mich gerne ein - auch weiterhin für eine Gleichbehandlung aller Kinder eintreten. Ich konnte Ihnen hoffentlich aber anschaulich machen, dass es keine einfachen Lösungen des Problems geben kann und wird und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Dr. Reinhold Hemker