Frage an Reinhold Bocklet von Dietmar M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Bocklet,
mit großer Besorgnis sehe ich die Entwicklung bei dem neuen "Beitragsservice" der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wie stellen Sie sich dazu? Hier die einzelnen Kritikpunkte:
1. Der neue Beitrag wird ja jetzt auf Haushalte erhoben, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um einen Rentner am Existenzminimum oder um eine Luxusvilla handelt.
2. Zwar gibt es eine Härtefall-Regelung, der aber nur sehr bedingt Folge geleistet wird. Inzwischen wurden Fälle bekannt, daß sogar Hartz-4-Empfänger bezahlen sollen. Und zwar dann, wenn diese keine zusätzlichen Sozialleistungen beantragt haben. Tun sie dies aber, so wird jede zusätzliche Leistung erst mal mit dem Beitrag verrechnet. - Studenten, die Bafög beziehen, müssen trotzdem bezahlen, wenn der diesbezügliche Bescheid zu spät erstellt wird.
3. Bürger, die keinerlei Leistungen der Sender abfordern, sollen im Rahmen dieser "Demokratie-Abgabe" dennoch bezahlen. Mein Verständnis für Demokratie ist ein anderes.
4. Wenn ich mir anschaue, wofür diese immensen Gelder - die Rede ist von mindestens 7,5 Milliarden - verwendet werden, stellt sich mir doch die Frage, ob hier von einer "Grundversorgung" gesprochen werden kann. Gehört zu einer solchen Grundversorgung der Ankauf extrem teurer Fußballübertragungsrechte? Oder die Finanzierung völlig überzogener Moderatoren- und Intendantengehälter? Oder die Berentung der Mitarbeiter in Höhe von € 1.500,00 - zusätzlich zur gesetzlichen Rente? Nur drei Beispiele von vielen anderen.
5. Der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag führt nur noch ein Nischendasein.
6. Mit am schlimmsten finde ich das Einsammeln der privaten Daten bei den Meldämtern. Hier wird eine parallele Meldedatei aufgebaut. Ja, parlamentarisch abgesegnet, das macht die Sache aber nicht besser.
Mich interessiert Ihre persönliche Meinung dazu. Die offiziellen Verlautbarungen kenne ich alle, benötige also keine weiteren Textbausteine.
Mit freundlichem Gruß
Unterschrift
Dietmar Mothes
Sehr geehrter Herr Mothes,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich wie folgt beantworte:
1. Der neue Beitrag wird ja jetzt auf Haushalte erhoben, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um einen Rentner am Existenzminimum oder um eine Luxusvilla handelt.
Früher wurde die Rundfunkgebühr gerätebezogen erhoben, seit diesem Jahr gibt es die sogenannte Haushaltsabgabe. Grund dieser Änderung: Während das Erheben einer gerätebezogenen Gebühr früher sehr einfach war - entweder gab es einen Fernseher oder ein Radiogerät - ist der Empfang von Radio und Fernsehen heute mit Computern, Handys und vielen anderen Geräten möglich. Immer wieder neue Geräte für die Rundfunkgebühr zu erfassen ist deshalb sehr aufwändig und führt auch zu großen Protesten bei den Betroffenen – wegen des Aufwands und dem Ärger, den die GEZ bei der Ermittlung der vorhandenen Geräte in den Haushalten verursacht hat. Das neue Modell eines geräteunabhängigen Beitrags versucht diese Nachteile des bisherigen Systems zu vermeiden. Grundsätzlich leistet jeder den gleichen Beitrag. Wer jedoch wenig Geld hat und bestimmte staatliche Sozialleistungen wie zum Beispiel Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter erhält, kann sich auf Antrag vom Rundfunkbeitrag befreien lassen.
2. Zwar gibt es eine Härtefall-Regelung, der aber nur sehr bedingt Folge geleistet wird. Inzwischen wurden Fälle bekannt, daß sogar Hartz-4-Empfänger bezahlen sollen. Und zwar dann, wenn diese keine zusätzlichen Sozialleistungen beantragt haben. Tun sie dies aber, so wird jede zusätzliche Leistung erst mal mit dem Beitrag verrechnet. - Studenten, die Bafög beziehen, müssen trotzdem bezahlen, wenn der diesbezügliche Bescheid zu spät erstellt wird.
In der Tat haben sich CSU-Fraktion und Bayerische Staatsregierung bei den Verhandlungen zum neuen Rundfunkbeitrag für die Berücksichtigung einer Härtefallregelung eingesetzt: Wer keine der im § 4 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag genannten Sozialleistungen erhält, weil seine Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze überschreiten, kann eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als besonderer Härtefall nach § 4 Abs. 6 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag beantragen. Voraussetzung ist, dass die Überschreitung geringer als die Höhe des Rundfunkbeitrags (17,98 Euro) ist. Unterschreiten die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze, besteht grundsätzlich Anspruch auf die in § 4 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag genannten Sozialleistungen. Entscheidet sich der Betroffene aber aus persönlichen Gründen bewusst dagegen, diese Sozialleistungen auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, kann ebenfalls die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als besonderer Härtefall beantragt werden. Voraussetzung für eine Befreiung ist in diesem Fall, dass ein Bescheid der Sozialbehörde vorgelegt wird, aus dem hervorgeht, dass dem Betroffenen aufgrund seiner Bedürftigkeit eigentlich Sozialleistungen zustünden, er jedoch auf eine tatsächliche Inanspruchnahme bewusst verzichtet.
Studierende, die BAföG erhalten und nicht bei den Eltern wohnen, können sich auf Antrag befreien lassen. Wenn es das Verschulden der BAföG-Stelle ist, dass ein Bescheid zu spät erstellt wird, darf dies nicht zum Nachteil des Antragsstellers sein, d.h. der Antragssteller müsste auch für den durch das Verschulden der BAföG-Stelle verstrichenen Zeitraum befreit werden.
3. Bürger, die keinerlei Leistungen der Sender abfordern, sollen im Rahmen dieser "Demokratie-Abgabe" dennoch bezahlen. Mein Verständnis für Demokratie ist ein anderes.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in mehreren Urteilen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auseinandergesetzt. Laut dem Bundesverfassungsgericht hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wesentliche Funktion für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Daher sichert das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Bestands- und Entwicklungsgarantie zu. Das neue Rundfunkbeitragssystem ist auf der Grundlage eines Gutachtens des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht und Experten für Finanzverfassungsfragen Professor Dr. Paul Kirchhof entwickelt worden. Der Rundfunkbeitrag wird für die Möglichkeit der Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben, unabhängig von den vorhandenen Rundfunkempfangsgeräten. Das neue Modell, das an den Haushalt oder die Betriebsstätte anknüpft, ist einfacher und durch die Verteilung des Finanzvolumens auf alle Nutzer auch gerechter. Das neue Modell wurde von den Ministerpräsidenten beschlossen und in allen 16 deutschen Landesparlamenten über alle Parteigrenzen hinweg ratifiziert.
4. Wenn ich mir anschaue, wofür diese immensen Gelder - die Rede ist von mindestens 7,5 Milliarden - verwendet werden, stellt sich mir doch die Frage, ob hier von einer "Grundversorgung" gesprochen werden kann. Gehört zu einer solchen Grundversorgung der Ankauf extrem teurer Fußballübertragungsrechte? Oder die Finanzierung völlig überzogener
Moderatoren- und Intendantengehälter? Oder die Berentung der Mitarbeiter in Höhe von € 1.500,00 - zusätzlich zur gesetzlichen Rente? Nur drei Beispiele von vielen anderen.
5. Der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag führt nur noch ein Nischendasein.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet Grundversorgung nicht Minimalversorgung. Der Programmauftrag beinhaltet Bildung, Information, Beratung, Unterhaltung und Kultur. Ob die verschiedenen Bereiche immer richtig gewichtet sind, darüber ließe sich trefflich diskutieren. Auch ich persönlich halte manche Beiträge für entbehrlich und würde mir an anderer Stelle umfangreichere Angebote wünschen. Aber Grundversorgung bedeutet letztlich, dass für alle Bevölkerungsgruppen Angebote gemacht werden. Insgesamt betrachtet erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgabe der Grundversorgung und unterscheidet sich in vielen Beiträgen deutlich positiv von den privaten Angeboten. Der Beitragszahler soll für seinen Beitrag auch einen spürbaren Mehrwert gegenüber anderen Medienangeboten erhalten. Der Bayerische Rundfunk ist hier auf einem guten Weg, er hat bei den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern eine hohe Akzeptanz. In Umfragen landet der Bayerische Rundfunk bei der Frage der Beliebtheit bayerischer Institutionen wiederholt auf den vorderen Plätzen. Was die Gehälter betrifft, so müsste man jeden konkreten Fall einzeln betrachten und bewerten. Insbesondere kritisch hinterfragt werden sollten Konstruktionen, in denen ein Moderator zugleich Inhaber einer TV-Produktionsfirma ist, welche die Fernsehsendung produziert. Hier sind die Kollegen in den Rundfunkräten gefordert, auf transparente und kostengünstige Konstruktionen hinzuwirken.
6. Mit am schlimmsten finde ich das Einsammeln der privaten Daten bei den Meldämtern. Hier wird eine parallele Meldedatei aufgebaut. Ja, parlamentarisch abgesegnet, das macht die Sache aber nicht besser.
Zur Feststellung der Beitragspflicht durch den Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio (vormals GEZ) ist es erforderlich, dass dieser über die Anschriften der beitragspflichtigen Personen verfügt. Dazu übermitteln die Meldebehörden einmalig die im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) vorgeschriebenen Daten aller volljährigen Personen an den Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Dadurch kann ein einmaliger Abgleich mit vorhandenen Teilnehmerbestandsdaten durchgeführt werden. Zusätzlich wird es möglich, bisher von der Beitragspflicht befreite Personen zu erfassen. Werden die Daten hierfür nicht mehr benötigt, sind sie zu löschen. Durch das Löschungsgebot soll die Errichtung eines zentralen Melderegisters verhindert werden. Die Frist für die Löschung der Personendatensätze beträgt ein Jahr. Hat die zuständige Landesrundfunkanstalt nach dem Abgleich für eine Wohnung einen Beitragsschuldner festgestellt, hat sie die Daten der übrigen dort wohnenden Personen unverzüglich zu löschen, sobald das Beitragskonto ausgeglichen ist.
Diese Übermittlung der Daten ist zur Feststellung der Beitragspflicht erforderlich und unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den bisherigen Regelungen. Einzig neu ist die einmalige Bestandsdatenübermittlung, ohne die der Systemwechsel zur haushaltsbezogenen Abgabe nicht möglich wäre. Der Abgleich ist als verhältnismäßig zu beurteilen, weil andernfalls eine Erhebung bei Millionen von betroffenen Personen erforderlich wäre, wobei nicht nur ein unverhältnismäßiger Aufwand entstünde, sondern eine Vor-Ort-Erfassung die Bürger mehr belästigen und ihre Privatsphäre stärker tangieren würde.
Eine einstweilige Anordnung gegen den Meldedatenabgleich hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof im April abgelehnt. Der Datenabgleich, so heißt es in der Begründung, diene „der Vermeidung von Vollzugsdefiziten und einer größeren Beitragsgerechtigkeit“.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit den vorstehenden Ausführungen deutlich machen konnte, dass es für die von Ihnen angesprochene Konstruktion und Praxis nachvollziehbare Argumente gibt. Im Übrigen liegen keine besseren Vorschläge auf dem Tisch.
Mit freundlichen Grüßen
Reinhold Bocklet