Frage an Reiner Priggen von Martin W. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrter Herr Priggen,
die Haushaltsprobleme in NRW nach 17 Jahren politischer Verantwortung durch die Grünen habe ich verstanden.
Überrascht bin ich jedoch über Ihre Freude über die Personaleinsparungen. 100 Stellen weniger angesichts der Arbeitslosenzahlen als Erfolg zu verkaufen stimmt mich sehr traurig. Ihre Freude darüber empfinde ich als soziale Kälte. Die Einteilung von Menschen in unterschiedliche Klassen, die Sie hier vielleicht vornehmen, wurde durch die Geschichtsschreibung als falsch bestraft.
Meine Fragen:
Gibt es dabei einen Unterschied zwischen einem Stellenabbau nur aufgrund hoher Personalkosten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft z.B. bei Opel in Bochum?
Bei einer nur teilweisen Besoldungsanpassung wird das Leistungsprinzip reduziert. Es besteht die große Gefahr, dass Beamte nicht mehr befördert werden wollen, da die Mehrarbeit und höhere Verantwortung zukünftig nicht mehr zur Besoldung passt (z.B. jetzt schon über 500 nicht besetzte Stellen von Grundschulleitern in NRW). Die unteren Besoldungsgruppen sind durch mehre soziale Maßnahmen (höheres Weihnachtsgeld, geringere Kostendämpfungspauschale, …) bereits in der Vergangenheit deutlich gegenüber den Beförderungsstellen aufgewertet worden.
Meine Frage:
Welche Lösung sehen Sie für diese Problematik? Wie soll der öffentliche Dienst zukünftig für höher qualifizierte Beamte attraktiv bleiben?
Mit freundlichen Grüßen
Martin Weber
Sehr geehrter Herr Weber,
Es ist bedauerlich, dass Sie Sich den realen Problemen des Haushaltes nicht stellen wollen, sondern mit Polemik und unsäglichen historischen Anspielungen argumentieren.
Über zwei Generationen sind jetzt in den Kommunen, in den Ländern und im Bund immer neue Schulden aufgenommen worden. Diese Spirale müssen wir durchbrechen, um das vom Grundgesetzt jetzt vorgeschriebene Verbot der Neuverschuldung überhaupt schaffen zu können. Wir nehmen dieses Jahr 3,4 Mrd. Schulden auf und zahlen 4 Mrd. € Zinsen. Das kann so nicht immer weiter gehen.
Es kann doch auch niemand annehmen, dass die Kapitalmärkte immer weiter Geld zur Verfügung stellen.
Wir haben uns in der Landesregierung als Ziel gesetzt, 1 Mrd. € bis 2017 strukturell einzusparen. Das geht nicht ohne den Personalbereich einzubeziehen. Zu den 43 % für das Landespersonal kommen ja noch die 116 000 Beschäftigten an den Hochschulen dazu, die auch aus Landesmitteln finanziert werden.
Durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sind auch die Bundesländer verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ohne neue Schuldenaufnahme auszukommen. Der Bundeshaushalt hat seit 44 Jahren jedes Jahr neue Schulden aufgenommen und die Bundesregierung hofft, erstmals 2015 ohne neue Schuldenaufnahme auszukommen.
Wie erwähnt, nehmen wir in diesem Jahr voraussichtlich rund 3,4 Mrd. Euro neue Schulden auf. Um das auszugleichen, müssten wir 70 000 Stellen einsparen. Das geht nicht - weder bei den rund 175 000 Lehrerinnen und Lehrern, noch angesichts des doppelten Abiturjahrgangs bei den rd. 116 000 Stellen, die wir an den Hochschulen unseres Landes finanzieren. Einsparpotentiale dieser Größenordnung sind ebenso bei den rd. 50 000 Polizeistellen, bei den 30 000 Stellen in der Justiz oder in der Finanzverwaltung nicht möglich.
Wir setzten alle Einrichtungen des Landes, alle Programme und alle auch die freiwilligen gesetzlichen Leistungen des Landes auf den Prüfstand - und das wird auch zu weiteren Einsparungen führen müssen. Trotzdem brauchen wir im Bund eine Reform der Erbschaftssteuer und eine stärkere Beteiligung der höheren Einkommen über einen erhöhten Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer oder Abgabe, um überhaupt die Chance zu haben, 2020 einen Haushalt ohne zusätzliche Neuverschuldung zu erreichen. Erst danach wäre überhaupt an die Tilgung der bisher aufgelaufenen Schulden zu denken.
Wir haben uns für eine sozial gestaffelte Umsetzung des Tarifabschlusses entschieden, da wir glauben, dass die unteren Besoldungsgruppen durch steigende Lebenshaltungskosten besonders getroffen werden. Diese Lösung bedeutet Mehrkosten für das Land in Höhe von über 600 Mio. Euro.
Würde eine 1:1-Übertragung auf alle Gehaltsgruppen stattfinden, bedeutete dies zusätzliche rund 700 Mio. Euro pro Jahr. Und diese Mehrkosten entsprechen etwa einem Stellenabbau von 14 000 Stellen im öffentlichen Dienst.
Die finanzielle Ausstattung des Landes und die Schuldenbremse lassen eine andere Entscheidung nicht zu. Insofern haben wir keine normale Haushaltslage, im Gegenteil: die Haushaltslage ist dramatisch und wir kämpfen um jeden Euro, damit wir die Neuverschuldung in 2020 auf null reduzieren. Bereits mit dem Haushalt 2013 müssen wir sehr schmerzhafte Einschnitte vornehmen. Es geht also nicht darum, dass wir Ihnen die Weitergabe der Tariferhöhungen nicht gönnen, aber wir können faktisch ohne Kahlschlag keinen 1:1-Übertrag leisten. Gleichzeitig haben wir für die Abgeordneten des NRW-Landtags für 2013 und 2014 eine Nullrunde vereinbart.
Wir stehen nur in NRW ganz praktisch vor dem Problem, dass bei Überschreitung der Verfassungsgrenze der Schuldenaufnahme sofort das Verfassungsgericht angerufen wird, die grundgesetzlich vorgeschriebene Schuldengrenze im Jahr 2020 greift und vor allem der Anteil der Zinszahlungen im Haushalt immer weiter anwächst. Die historisch niedrigen Zinssätze helfen uns im Moment. Ich wüsste nicht, wie wir einen deutlichen Anstieg der Zinsen ohne dramatische Einschnitte verkraften sollten.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.- Ing. Reiner Priggen MdL