Frage an Reiner Priggen von Anton O. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Priggen,
was sagen Sie zum Offenen Brief der Vereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter des Landes Nordrhein-Westfalen an die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig lässt und unter http://nordrhein-westfalen.bdvr.de/ dort in der Rubrik Besoldung abrufbar ist.
Es könnte bei vielen Staatsbediensteten der fatale Eindruck entstehen, dass der Landesregierung die jahrelangen Nullrunden vieler Beamter und Richter egal ist, weil sie kein Streikrecht haben. Für viele ist mittlerweile das Ende der Fahnenstang erreicht, weil z.B. ein Richter gemessen an der Kaufkraft mittlerweile weniger verdient als ein richterlicher Kollege aus Moldawien.
Glückauf und schönen Sonntag
Anton Ohnenkel
Sehr geehrter Herr Ohnenkel,
den angesprochenen Brief an die Ministerpräsidentin habe ich nicht gelesen. Sie wird ihn sicherlich selber beantworten. Ich bekomme aber selber sehr viele Zuschriften von Richtern, Lehrern und Finanzbeamten die sich vielfach mit dem gleichen Tenor wie Sie an uns wenden.
Ihre Aussage es sein uns egal dass wir uns mehr als Nullrunden jetzt nicht leisten können verstehe ich als Ironie. Den Vergleich mit Moldawien hatte ich noch nicht gehört, aber Kaufkraftvergleiche mit Moldawien helfen uns auch nicht weiter.
Vielleicht darf ich einen kurzen Einblick in unsere Haushaltsproblematik so wie sie sich mir darstellt geben, damit vielleicht ein Stück weit deutlicher wird warum wir das so machen und das das nichts mit "egal" zu tun hat. Mir scheint, besonders wenn ich auch die vielen Schreiben wegen der Einsparungen beim Denkmalschutz, bei der Kultur oder bei den Sozialverbänden lesee, es ist vielen nicht klar wie schwierig die Haushaltssituation in NRW ist. Sie ist dramatisch und nur durch die momentan extrem niedrige Zinssituation haben wir eine Chance, verfassungsrechtlich zulässige Haushalte erreichen zu können.
Durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sind auch die Bundesländer verpflichtet, bis zum Jahr 2020 ohne neue Schuldenaufnahme auszukommen. Der Bundeshaushalt hat seit 44 Jahren jedes Jahr neue Schulden aufgenommen und die Bundesregierung hofft erstmals 2015 ohne neue Schuldenaufnahme auszukommen.
Am Ende dieser Legislaturperiode werde ich voraussichtlich 17 Jahre politische Verantwortung für 17 Jahre Grüne Regierungsbeteiligung in NRW mit getragen haben. In jedem dieser 17 Jahre haben wir neue zusätzliche Schulden aufgenommen, in keinem Jahr konnten Schulden getilgt werden.
Es gibt auch keinen CDU oder FDP Politiker der im Landtag NRW oder in den vergangenen 44 Jahren im Bund Verantwortung hatte, der einen Haushalt ohne zusätzliche Schulden erlebt hat.
Weil wir gesetzlich verpflichtet sind in 2020 ohne neue Schulden auszukommen müssen wir die Ausgabenzuwächse reduzieren und dort sparen, wo es möglich ist, ohne soziale Verwerfungen zu verursachen.
Wir nehmen dieses Jahr voraussichtlich rund 3,5 Mrd. Euro Neuverschuldung auf. Um das auszugleichen müssten wir 70 000 Stellen einsparen. Das geht nicht, weder bei den rund 175 000 Lehrerinnen und Lehrern, noch angesichts des doppelten Abiturjahrgangs bei den rd. 116 000 Stellen, die wir an den Hochschulen unseres Landes finanzieren. Einsparpotentiale dieser Größenordnung sind ebenso bei den rd. 50 000 Polizeistellen, bei den 30 000 Stellen in der Justiz oder in der Finanzverwaltung nicht möglich.
Wir setzten alle Einrichtungen des Landes, alle Programme und alle auch die freiwilligen gesetzlichen Leistungen des Landes auf den Prüfstand - und das wird auch zu weiteren Einsparungen führen müssen. Trotzdem brauchen wir im Bund eine Reform der Erbschaftssteuer und eine stärkere Beteiligung der höheren Einkommen über einen erhöhten Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer oder Abgabe, um überhaupt die Chance zu haben, 2020 einen Haushalt ohne zusätzliche Neuverschuldung zu erreichen. Erst danach wäre überhaupt an die Tilgung der bisher aufgelaufenen Schulden zu denken.
Sie kritisieren die Entscheidung des Landeskabinetts und der Regierungsfraktionen zur Beamtenbesoldungsanpassung und ich kann Ihren Unmut verstehen. Die gefundene Lösung ist nicht leichten Herzens getroffen worden.
Unsere Entscheidung ist getragen von der Notwendigkeit, im Jahr 2020 die vom Grundgesetz vorgeschriebene Schuldenbremse einhalten zu müssen und dazu bis dahin die jährliche Schuldenaufnahme zurückzuführen.
Die Personalausgaben machen insgesamt einen Anteil von 43,5% am Gesamthaushalt aus. Dazu kommen die Personalausgaben die wir an den Hochschulen in NRW finanzieren. Diese Ausgaben bei einer umfassenden Überprüfung auszuklammern, war deshalb unmöglich. Die 1:1-Übertragung des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst würde das Land zusätzlich 1,32 Mrd. Euro kosten. Deswegen haben wir für 2013 und 2014 eine Abwägungsentscheidung getroffen:
• Kein Stellenabbau, da dies die Arbeitsbelastung im Öffentlichen Dienst massiv erhöhen würde. Im Bildungssektor wird nicht gekürzt. Wir wissen: Nicht nur bei Polizei, im Strafvollzug, bei den Hochschulen und in vielen Landesbehörden wird schon jetzt viel Mehrarbeit geleistet. Es sollen keinen Stellen nach dem Rasenmäher-Prinzip gekürzt werden.
• Kein genereller Beförderungsstopp, da dieser leistungshemmend wirken würde.
• Keine weiteren Kürzungen beim Weihnachtsgeld oder den Pensionen, da dies Haushaltseinkommen direkt schmälern und Lebensplanungen erschweren würde.
• Keine Ausweitung der Arbeitszeit, da dies zu zusätzlicher Arbeitsbelastung führen würde.
Wir haben uns für eine sozial gestaffelte Umsetzung des Tarifabschlusses entschieden, da wir glauben, dass die unteren Besoldungsgruppen durch steigende Lebenshaltungskosten besonders getroffen werden. Diese Lösung bedeutet Mehrkosten für das Land in Höhe von über 600 Mio. Euro.
Eine 1:1 Übertragung auf alle Gehaltsgruppen würde uns jedes Jahr zusätzlich rd. 700 Mio. Euro kosten. 700 Millionen € Mehrkosten entsprechen etwa einem Stellenabbau von 14.000 Stellen im öffentlichen Dienst.
Die finanzielle Ausstattung des Landes und die Schuldenbremse lassen eine andere Entscheidung nicht zu. Insofern haben wir keine normale Haushaltslage, im Gegenteil: die Haushaltslage ist dramatisch und wir kämpfen um jeden Euro, damit wir die Neuverschuldung in 2020 auf null reduzieren. Bereits mit dem Haushalt 2013 müssen wir sehr schmerzhafte Einschnitte vornehmen. Es geht also nicht darum, dass wir Ihnen die Weitergabe der Tariferhöhungen nicht gönnen, aber wir können faktisch ohne Kahlschlag keinen 1:1 Übertrag leisten. Gleichzeitig haben wir für die Abgeordneten des NRW-Landtags für 2013 und 2014 eine Nullrunde vereinbart.
Wir stehen nur in NRW ganz praktisch vor dem Problem, dass bei Überschreitung der Verfassungsgrenze der Schuldenaufnahme sofort das Verfassungsgericht angerufen wird, die grundgesetzlich vorgeschriebene Schuldengrenze im Jahr 2020 greift und vor allem der Anteil der Zinszahlungen im Haushalt immer weiter anwächst. Die historisch niedrigen Zinssätze helfen uns im Moment. Ich wüsste nicht, wie wir einen deutlichen Anstieg der Zinsen ohne dramatische Einschnitte verkraften sollten.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.- Ing. Reiner Priggen MdL