Frage an Reiner Priggen von Christoph S. bezüglich Finanzen
Zur Frage zunächst folgende Vorbemerkung:
Mit großer Überraschung und Bestürzung habe ich erfahren, dass zwar die Beamten bis zum gehobenen Dienst eine Erhöhung der Besoldung verdient haben, nicht aber Richter, wie etwa ich.
Andere Staatsbedienstete bekommen wenigstens so viel mehr, dass ihr reales Einkommen voraussichtlich gleich bleibt, ich hingegen muss – wieder einmal – eine reale Kürzung meines Einkommens hinnehmen.
Vermutlich meinen Sie, dass könne man den Richtern zumuten, weil die ja ein so hohes Einkommen haben. Bitte bedenken Sie, dass meine Bezüge wahrlich nicht so hoch sind, dass ich bisher einen Teil zur Vermögensbildung zur Seite legen konnte. Um es ganz deutlich zu sagen: Unter Berücksichtigung der allgemeinen Preissteigerung muss ich letztlich meinen Lebensstandart einschränken.
Ich halte diese Ungleichbehandlung für eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsrechts gem. Art. 3 I Grundgesetz.
Frage:
Warum meinen Sie, dass es gerechtfertigt ist, Beamten bis zum gehobenen Dienst eine Erhöhung zu geben, Beamten des höheren Dienstes aber nicht, statt allen eine – wenn auch wegen der schwierigen Finanzlage geringfügigere – Erhöhung zu geben?
Sehr geehrter Herr Schulte,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir bekommen im Moment sehr viele Anfragen wegen der nicht vollständigen Übernahme des Tarifvertrages für die Beamten, aber auch wegen der Einsparungen im Sozial-, Kultur- und Denkmalbereich. Jeder dieser Interessenvertreter kann gute Argumente dafür anführen, warum gerade in dem von ihnen angeführten Haushaltsbereich in 2013 keine Kürzungen vorgenommen werden dürfen.
Vielleicht darf ich einen kurzen Einblick in unsere Haushaltsproblematik so wie sie sich mir darstellt geben.
Unsere Haushaltssituation ist dramatisch und nur durch die momentan extrem niedrige Zinssituation haben wir eine Chance, verfassungsrechtlich zulässige Haushalte erreichen zu können.
Am Ende dieser Legislaturperiode werde ich voraussichtlich 17 Jahre politische Verantwortung für 17 Jahre Grüne Regierungsbeteiligung in NRW mit getragen haben. In jedem dieser 17 Jahre haben wir neue zusätzliche Schulden aufgenommen, in keinem Jahr haben wir Schulden getilgt. Wir werden niemanden erklären können, dass alle diese 17 Jahre Notjahre mit außerordentlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren. Deswegen müssen wir die Ausgabenzuwächse reduzieren und dort sparen, wo es möglich ist, ohne soziale Verwerfungen zu verursachen. Im Übrigen gibt es auch keinen CDU oder FDP Politiker der im Landtag NRW oder in den vergangenen 44 Jahren im Bund Verantwortung hatte der einen Haushalt ohne zusätzliche Schulden erlebt hat.
Wir nehmen dieses Jahr voraussichtlich rund 3,5 Mrd. Euro Neuverschuldung auf. Um das auszugleichen müssten wir 70 000 Stellen einsparen. Das geht nicht, weder bei den rund 175 000 Lehrerinnen und Lehrern, noch angesichts des doppelten Abiturjahrgangs bei den rd. 110 000 Stellen, die wir an den Hochschulen unseres Landes finanzieren. Einsparpotentiale dieser Größenordnung sind ebenso bei den rd. 50 000 Polizeistellen, bei den 30 000 Stellen in der Justiz und in der Finanzverwaltung nicht möglich. Wir setzten alle Einrichtungen des Landes, alle Programme und alle auch die gesetzlichen Leistungen auf den Prüfstand - und das wird auch zu weiteren Einsparungen führen müssen. Trotzdem brauchen wir im Bund eine Reform der Erbschaftssteuer und eine stärkere Beteiligung der höheren Einkommen über einen erhöhten Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer oder Abgabe, um überhaupt die Chance zu haben, 2020 einen Haushalt ohne zusätzliche Neuverschuldung zu erreichen. Erst danach wäre überhaupt an die Tilgung der aufgelaufenen Schulden zu denken.
Sie kritisieren die Entscheidung des Landeskabinetts und der Regierungsfraktionen zur Beamtenbesoldungsanpassung und ich kann Ihren Unmut verstehen. Die gefundene Lösung ist nicht leichten Herzens getroffen worden.
Unsere Entscheidung ist getragen von der Notwendigkeit, im Jahr 2020 die vom Grundgesetz vorgeschriebene Schuldenbremse einhalten zu müssen.
Die Personalausgaben machen insgesamt einen Anteil von 43,5% am Gesamthaushalt aus. Diese Ausgaben bei einer umfassenden Überprüfung auszuklammern, war deshalb unmöglich. Die 1:1-Übertragung des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst würde das Land zusätzlich 1,32 Mrd. Euro kosten. Deswegen haben wir für 2013 und 2014 eine Abwägungsentscheidung getroffen:
• Kein Stellenabbau, da dies die Arbeitsbelastung im Öffentlichen Dienst massiv erhöhen würde. Im Bildungssektor wird nicht gekürzt. Wir wissen: Nicht nur bei Polizei, im Strafvollzug, bei den Hochschulen und in vielen Landesbehörden wird schon jetzt viel Mehrarbeit geleistet. Es sollen keinen Stellen nach dem Rasenmäher-Prinzip gekürzt werden.
• Kein genereller Beförderungsstopp, da dieser leistungshemmend wirken würde.
• Keine Kürzungen beim Weihnachtsgeld oder den Pensionen, da dies Haushaltseinkommen direkt schmälern und Lebensplanungen erschweren würde.
• Keine Ausweitung der Arbeitszeit, da dies zu zusätzlicher Arbeitsbelastung führen würde.
Wir haben uns für eine sozial gestaffelte Umsetzung des Tarifabschlusses entschieden, da wir glauben, dass die unteren Besoldungsgruppen durch steigende Lebenshaltungskosten besonders getroffen werden. Diese Lösung bedeutet Mehrkosten für das Land in Höhe von über 600 Mio. Euro.
Eine 1:1 Übertragung auf alle Gehaltsgruppen würde uns jedes Jahr zusätzlich rd. 700 Mio. Euro kosten. 700 Millionen € Mehrkosten entsprechen etwa einem Stellenabbau von 14.000 Stellen im öffentlichen Dienst.
Die finanzielle Ausstattung des Landes und die Schuldenbremse lassen eine andere Entscheidung nicht zu. Insofern haben wir keine normale Haushaltslage, im Gegenteil: die Haushaltslage ist dramatisch und wir kämpfen um jeden Euro, damit wir die Neuverschuldung in 2020 auf null reduzieren. Bereits mit dem Haushalt 2013 müssen wir sehr schmerzhafte Einschnitte vornehmen. Es geht also nicht darum, dass wir Ihnen die Weitergabe der Tariferhöhungen nicht gönnen, aber wir können faktisch ohne Kahlschlag keinen 1:1 Übertrag leisten.
Ich wäre Ihnen wirklich dankbar für jeden ernsthaften Hinweis wie wir das rd. 3,5 Mrd. Euro Defizit das wir in diesem Jahr über neue Schulden ausgleichen reduzieren könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Reiner Priggen MdL