Frage an Ralph Lenkert von Sandro S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Lenkert,
vom 14.-17.09. hat im Landtag von Thüringen ein Schülerparlament zum Thema: "Vom Bohrloch zur Steckdose: Die Energie der Zukunft" getagt. Dort haben sich ca. 100 Oberstufenschüler an 3 Tagen intensiv mit Fragen rund um das Thema auseinandergesetzt, in Arbeitsgruppen Experten befragt und Thesen entwickelt. Diese Thesen wurden schließlich im Plenum diskutiert und im parlamentarischen Verfahren verabschiedet.
In der Arbeitsgruppe zum Thema: " Die Zukunft der Kernkraft: Grüne Zukunftstechnologie oder teure Gefahr?: Was ist die Zukunft der Kernkraft zur Produktion von Strom?" wurden dabei folgende Forderungen verabschiedet:
Wir fordern:
1. Eine neutrale Aufklärung der Öffentlichkeit, insbesondere in Schulen, ist notwendig, um die Emotionalität aus der Debatte herauszunehmen und eine objektive Meinungsbildung zu ermöglichen.
2. Das Moratorium ist sofort aufzuheben, um weiter an Lösungen zur Endlagerung zu forschen.
3. Wir verlangen den Bau und die Nutzung von Wiederaufbereitungsanlagen zur Reduktion des hoch-radioaktiven Mülls.
4. Wir erheben die Forderung einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit bei der Forschung und Überwachung.
5. Deutsche Sicherheitsstandards sollen in der Europäischen Union als Beispiel für die Welt übernommen werden. Des Weiteren bedarf es einer verstärkten Zusammenarbeit in der Sicherheitsfrage.
6. Die Kernkraftwerksbetreiber müssen sich an der Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sowie an den Endlagerkosten beteiligen.
7. Die Problematik des Klimawandels lösen wir mit der Umsetzung unseres Drei-Stufen-Modells. Unser Ziel ist die Ersetzung der fossilen Energieträger durch regenerative Energien. Der unumgängliche Weg dorthin führt über die Kernenergie.
Es wäre schön, wenn Sie als Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und Vertreter der Partei Die Linke ein kurzes Statement zu den Forderungen der Schüler abgeben könnten.
MfG
Sandro Schott
Wissenschaft im Dialog GmbH
Sehr geehrter Herr Schott, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schülerparlamentes,
es ist begrüßenswert, dass sich Schüler mit politischen Themen befassen. Eine unvoreingenommene Betrachtung zur Atomenergie einzufordern ist rechtens. Allerdings lässt Ihre Fragestellung diese Unvoreingenommenheit leider vermissen.
Vielleicht bin ich durch die Methoden und Halbwahrheiten der Atomlobby, welche ich in den letzen Monaten erlebte auch etwas empfindlich geworden. Ein Beispiel, in der Anhörung zum Vertrag zwischen den Energiekonzernen und der Bundesregierung sagte der Gutachter der Bundesregierung eine Megawattstunde Atomstrom hätte Erzeugungskosten von 11,40 Euro. Am selben Tag erhielt ich eine Presseerklärung des Atomforums, da wurden die Erzeugungskosten je Megawattstunde Atomstrom mit 47,-Euro angegeben.
Wer lügt da?
Aber nun nehme ich Stellung zu Ihren Standpunkten:
zu 1.
Ja, eine neutrale Bewertung ist zwingend erforderlich, aber diese setzt Ehrlichkeit beider Seiten voraus.
Im Fasslager Gorleben stehen eingelagerte Fässer mit Abfällen aus Atomanlagen. Nachdem etliche Fässer in der Kernforschungsanstalt Jülich geöffnet wurden stellte man fest, dass in über 50% der Fässer etwas anderes war, als auf den Papieren stand. Die Radioaktivität des Inhaltes war deutlich höher als angegeben. Zufall?
Bei der Explosion von Tschernobyl starben an den Folgen der Verstrahlung mehrere Hunderttausend Menschen, tausende Quadratkilometer sind auf Jahrtausende unbewohnbar.
Würde der Reaktor in Biblis explodieren, dann wäre fast ganz Hessen und bei Süd-Westwind ganz Thüringen verstrahlt und unbewohnbar - wie soll man da Emotionen heraushalten? Übrigens war die im Golf von Mexico versunkene Bohrplattform die modernste ihrer Art, sie sank trotzdem.
zu 2.
Beim Endlagerstandort Gorleben ist nicht das Moratorium aufzuheben, sondern die Untersuchung wegen offensichtlicher Nichteignung dieses Salzstockes einzustellen. Für mich reicht dazu ein Fakt aus. Im Gorlebener Salzstock gibt es Erdöl und Erdgas. Damit ist die notwendige Sicherheit des Salzes gegen die Temperaturen der Behälter (ca. 400°C) nicht gewährleistet. Würden Sie mit 400°C heißem Material neben einer offenen Gasleitung arbeiten? Meine Fraktion hat Unterlagen vorgelegt die belegen, dass in Lenzen 1969 ein Bohrturm der DDR nach dem anbohren einer Gasblase explodierte. Damals gab es einen Toten und ausströmendes Erdgas brannte mehrere Tage. Das geplante Endlager Gorleben liegt auf der anderen Seite der Elbe im selben Salzstock in Niedersachsen. Auch im Endlager Gorleben gibt es nachweisbare Austritte von Erdöl. Dies wurde nochmals bei der Begehung des Salzstockes durch Abgeordnete des deutschen Bundestages festgestellt.
Einen alternativen Standort sucht trotzdem niemand. Wohin soll also der über 1 Million Jahre hinaus absolut tödlich strahlende Atommüll gebracht werden? Ist es klug neuen Müll zu produzieren, wenn man noch nicht einmal den vorhandenen Müll entsorgen kann?
zu 3.
Die Forderung lehne ich ab. Unter Helmut Kohl (Kanzler der CDU) wurde 1986 /87 die Variante Wiederaufarbeitung aufgegeben. Bei der Aufarbeitung von ausgebrannten Brennstäben entsteht eine Unmenge zusätzlicher Atommüll (zur Erinnerung, wir haben kein Endlager). Die aufbereiteten Brennstäbe wiederum sind nach ihrer Nutzung wesentlich radioaktiver als normale Brennstäbe. Diese Stäbe müssen länger abklingen (damit im Endlager kein Temperaturstau entsteht). Das verursacht kostenintensive Probleme bei der Abschirmung der radioaktiven Strahlung. Ihre Gefährlichkeit liegt noch deutlich über der anderer Brennstäbe. Wer dies produziert gefährdet das Überleben und die Gesundheit von 33.000 Generationen.
zu 4.
Dieser Forderung kann man zustimmen.
zu 5.
Bundesdeutsche Atomkraftwerke sind auf dem Stand von 1995 stehen geblieben, manche haben nicht einmal diesen Standard. Die älteren Reaktoren haben z.B. gar keinen Schutz vor Flugzeugabstürzen, die Neueren würden Attacken wie am 11.September auf das World-Trade Center nicht überstehen. Es gibt bereits Atomkraftwerke, welche dies überstehen würden. Bei dem Gefährdungspotential müsste der beste Standard gerade gut genug sein. Übrigens, wenn Atomkraftwerke eine Haftpflichtversicherung mit unbegrenzter Haftung hätten, wäre der Preis je Kilowattstunde um 2,70 Euro höher.
zu 6.
Ob sich Betreiber von Atomkraftwerken an der Entwicklung erneuerbarer Energien beteiligen ist mir egal. Aber die sichere Lagerung von Atommüll, den Abbau verseuchter Anlagen, den müssen die Verursacher, die Betreiber der Atomkraftwerke zu 100% tragen. Dass diese Nutzer der Atomkraft sich nur an den Kosten beteiligen sollen - ist absolut inakzeptabel.
zu 7.
Ich kann das Drei-Stufen-Modell nicht beantworten, weil ich es nicht erhielt. Nun komme ich zur "Unumgänglichkeit des Weges über Atomkraft". Der Sachverständigenrat der Bundesregierung, Greenpeace, die Prognos-AG (im WWF-Auftrag) und viele andere Wissenschaftler haben in ihren Modellen nachgewiesen, dass Klimaschutz und Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Quellen ohne die Nutzung von Atomkraft möglich wäre.
Ich traue mich nicht zu behaupten, dass die von diesen Wissenschaftlern aufgezeigten Wege die alleinige Lösung wären. Da würde ich mich als anmaßend empfinden. Wer behauptet sein Weg wäre unumgänglich schließt andere Wege im Vorfeld aus. Dann sind unvoreingenommene Diskussionen, wie in Punkt 1 gefordert, unmöglich.
Ich hoffe, dass ein so voreingenommener Start einer Diskussion zukünftig nicht der Weg der Teilnehmer dieses Schülerparlamentes ist. Ich bin entsetzt, was bei von Mitarbeitern von "Wissenschaft im Dialog" begleiteten Veranstaltungen für ein nach meiner Meinung unwissenschaftliches, absolutistisches und undifferenziertes Ergebnis entsteht.
Entschuldigen Sie bitte die klaren Worte, aber ich spreche aus, was ich denke.
Mit freundlichen Grüßen
Ralph Lenkert