Frage an Ralph Brinkhaus von Volker S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Brinkhaus,
ich habe zwei Fragen an Sie:
1.BesatzRBerG
In diesem werden die Aufhebungen des Besatzungsrechts von 1956, 1958 und 1960 aufgehoben.
Die Aufhebung einer oder mehrerer Aufhebungen bedeutet für mich, dass das vormals aufgehobene wieder in Kraft tritt.
Wie ist denn jetzt die aktuelle Rechtslage?
2.Was denn jetzt? Grundgesetz (=Übergangsverfassung) oder Verfassung? Oder
Grundgesetz=Verfassung?
Hier ein Artikel der Bundeszentrale für poltische Bildung:
http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/39014/warum-keine-verfassung
wobei der Absatz "Vom Provisorium zum Definitivum" besonders zu beachten ist. Dort wird sinngemäß geschrieben, dass das Vok in freier Entscheidung (HA, HA!) beschlossen hat, aus dem Grundgesetz, welches bisher nur übergangsweise Verfassungscharakter hatte, zur deutschen Verfassung wurde.
Aber warum gibt es dann den Art.146 noch, in dem steht, dass das Grundgesetz nur so lange gültig ist, bis sich das deutsche Volk eine Verfassung gibt?
MfG
Volker Stucke
Sehr geehrter Herr Stucke,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.
Die von Ihnen angesprochene Regelung findet sich als Art. 4 § 2 des Zweiten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ziel des Gesetzes ist es, das Bundesrecht für den Rechtsanwender benutzerfreundlicher zu machen, indem Vorschriften, die keine praktische Bedeutung mehr entfalten, mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Zu diesen Gesetzen ohne praktische Bedeutung für zukünftige Sachverhalte gehören auch die von Ihnen genannten Gesetze zur Aufhebung von Besatzungsrecht. Diese vier Gesetze werden mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Die durch die Gesetze in der Vergangenheit bewirkten Rechtsfolgen bleiben bestehen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:
"Die vier Besatzungsrechts-Aufhebungsgesetze der Jahre 1956 bis 1960 sind in die Sammlung des Bundesrechts (Bundesgesetzblatt Teil III) nur gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Juli 1958 (BGBl. I S. 437) aufgenommen worden, also ohne ihren regelnden Wortlaut; dies belegt, dass aus damaliger Sicht den Gesetzen – zu Recht – keine für unabsehbare Zeit fortdauernde Bedeutung beigemessen worden ist (vgl. im Einzelnen die Begründung zu Artikel 76 sowie – vorstehend unter II.1.3 – die Darlegungen im Allgemeinen Teil der Begründung):
Alle Gesetze sind (insbesondere durch die bestimmten Aufhebungen bzw. Außerwirksamsetzungen) vollzogen. Die angeordneten Rechtsfolgen sind eingetreten und werden durch die (mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochene) Aufhebung nicht berührt; die Aufhebung darf auch nicht als Distanzierung vom Gesetzesinhalt missverstanden werden.
Soweit die vier Gesetze – über Aufhebungen oder Außerwirksamsetzungen hinaus – Ausnahmevorschriften oder sonstige Sonderbestimmungen enthalten, werden zwar auch diese nicht im Nachhinein in Frage gestellt, aber sie sind inzwischen sämtlich in dem Sinn überholt, als für sie kein aktueller Anwendungsbereich mehr denkbar ist (vgl. die nachfolgenden Darlegungen zu § 3). Nichts anderes gilt für „Unberührtbleibens-Klauseln“."
Nähere Informationen können Sie der weiteren Gesetzesbegründung insbesondere den Abschnitten II.1.4., III.4. und IV.3. auf Bundestagsdrucksache 16/5051 entnehmen. Die Drucksache finden Sie auf www.bundestag.de.
Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. In dem von Ihnen genannten Artikel heißt es auch: "Von Inhalt und Struktur, von Geltung und Anerkennung war das Grundgesetz auch schon in der (alten) Bundesrepublik Deutschland eine vollwertige Verfassung." Auch wenn 1949 nicht der Begriff "Verfassung" gewählt wurde, entspricht und entsprach das Grundgesetz inhaltlich allen Kriterien einer Verfassung.
Artikel 146 Grundgesetz erkennt die verfassungsgebende Gewalt des deutschen Volkes an. In seiner alten Fassung eröffnete er einen Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands durch Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung. Nach dem Beitritt der neuen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 Grundgesetz alter Fassung stellt er nun die Vollendung der Einheit fest. In der Regel äußern sich Verfassungen nicht zu ihrer eigenen Ablösung. Insbesondere die zeitliche Geltung und die Voraussetzungen für eine grundgesetzkonforme Verfassungsneuschöpfung sind in der Rechtswissenschaft umstritten. Die Beziehung von Artikel 146 Grundgesetz und Artikel 79 Grundgesetz sind Kern der Diskussion. Ein führender Grundgesetzkommentar bezeichnet Artikel 146 als "rätselhafteste Bestimmung des ganzen Grundgesetzes". Sie sind mit Ihrer Frage nicht allein.
Sollten Sie weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Ralph Brinkhaus