Wie stehen Sie zum Angriffskrieg Putinrußlands und seiner Oligarchenmafia?
Sehr geehrter Herr Stegner,
als DDR-Kind bin ich stolz auf meine Eltern, die in Jena gegen Gewaltherrschaft kämpften. Ich freute mich, als Europa sich erweiterte und immer mehr Menschen Freiheit und Wohlstand bot.
Wir alle übersahen dabei das wiedererstarken des Bösen. Wir verschlossen die Augen vor dem Leid der Menschen des Tian'anmen, Tibets, der Uiguren, oder Hong Kongs. Wir wollten billiges Gas und hörten nicht die Tschetschenen, die Georgier, Moldawen oder Jugoslawen leiden. Wir wollten gute Geschäfte machen und ignorierten den Einmarsch im Donbass.
Jetzt greift Putin die Ukraine an und Diktatoren auf der ganzen Welt lauern, wie „der Westen" reagieren wird.
Wie wollen Sie Putin Einhalt gebieten? Wie wollen Sie Leid von der Zivilbevölkerung abwenden? Wie wollen Sie dem russischen Volk helfen sich selbst zu befreien? Wie stehen Sie zu einer Flugverbotszone in der Ukraine? Warum gibt es kein totales Handelsembargo? Wieso wird das Internet in Russland nicht abgeschaltet?
Vielen Dank
Sehr geehrter Herr L.,
herzlichen Dank für Ihr Schreiben zu den dramatischen Ereignissen in der Ukraine. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis, dass ich Ihnen angesichts der hohen Anzahl an Zuschriften gesammelt antworte.
Leider haben sich in den letzten Tagen unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet. Russland hat offiziell die Invasion in die Ukraine angeordnet und führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es sind dunkele Tage für Europa, weil der russische Präsident Putin zum wiederholten Male eklatant das Völkerrecht gebrochen hat. Dafür gibt es absolut keine Rechtfertigung. Wie bei jedem Krieg leidet die Zivilbevölkerung durch die furchtbaren Angriffe am meisten. Auch weil Russland seine Angriffe nachgewiesenermaßen mittlerweile auch auf zivile Ziele ausübt. Vor allem der ukrainischen Bevölkerung, die Opfer dieses Überfalls wurde, gilt weiterhin unsere vollste Solidarität und Unterstützung.
Klar muss sein, dass Präsident Putin und die russische Führung dafür einen hohen Preis zahlen werden. Wir brauchen nun weiterhin eine entschlossene und abgestimmte Reaktion des Westens und der zur Zusammenarbeit bereiten internationalen Gemeinschaft. Die Verhängung schwerwiegender Sanktionen war dabei unvermeidbar. Daher wurden harte Maßnahmen im Finanz-, Banken-, und Handelsbereich mit dem dritten EU-Sanktionspaket erlassen – darunter ist auch der Ausschluss Russlands aus dem Messaging-System SWIFT und individuelle Sanktionen gegen Putin und seine verbrecherische Clique.
Zudem beteiligt sich Deutschland an Waffenlieferungen in die Ukraine, was man in der aktuellen Situation angesichts des Wunsches der Ukraine zur Selbstverteidigung vertreten kann. Dieses Vorgehen muss allerdings weiterhin kritisch begleitet werden. Mehr Waffen bedeuten in der Regel auch mehr Leid und Opfer. Denn klar ist doch: Russland muss diesen Angriffskrieg beenden! Das ist alternativlos. Eine langfristige militärische Lösung mit Krieg, Wettrüsten und unabsehbaren Folgen für die Friedensordnung in Europa darf keine Perspektive sein. Vor allem da ein NATO-Eingreifen mit Blick auf einen möglichen Flächenbrand in Europa und der Welt angesichts des nuklearen Waffenarsenals von allen Partnern ausgeschlossen wird und Russland der Ukraine militärisch weit überlegen ist. Das wird von allen Expertinnen und Experten so geteilt. Wenn es darum ginge einen entscheidenden Beitrag für eine erfolgreiche Verteidigung der Ukraine zu leisten, könnte man die Situation auch anders bewerten – das ist aber nicht der Fall. Hier geht es nicht darum, das Recht des Stärkeren einfach hinzunehmen, sondern ganz konkret Menschen, die in diesem Moment Angst um ihr Leben und das ihrer Angehörigen haben, vor noch mehr Gewalt zu schützen. Auch wenn man angesichts der dramatischen Bilder dazu geneigt ist, die Ukraine in ihrem tapferen Kampf militärisch zu unterstützen, müssen die entscheidenden Fragen doch immer wieder nüchtern gestellt werden: Wie kann man Leiden und Sterben so schnell wie möglich beenden und kann dieses Ziel mit Waffenlieferungen erreicht werden? Hier sind wohl Zweifel angebracht, da Russland nicht den Anschein macht, sich deswegen zurückzuziehen.
Es ist und bleibt ein moralisches Dilemma, das eben nicht zynisch ist, auch wenn es manche subjektiv so empfinden mögen, was mehr als verständlich ist. Zur Ehrlichkeit gehört aber, das auch auszusprechen. Eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine und auf der Flucht müssen aus meiner Sicht unsere allererste Priorität bleiben. Dazu müssen wir auch – wenngleich unter sehr schweren Bedingungen – weiterhin mit aller Kraft versuchen, mit allen verfügbaren Gesprächskanälen, Präsident Putin wieder an den Verhandlungstisch zu bewegen und auf eine Waffenruhe hinzuwirken.
Wichtig waren zudem die in diesen Tagen von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten Maßnahmen zur Stärkung der Bundeswehr. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz erwähnte Zeitenwende bezieht sich auf den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine und bedeutet neben gemeinsamen scharfen Sanktionen und der Reduzierung unserer Energieabhängikeit auch, dass wir unsere Bündnisverpflichtungen erfüllen können und eine zeitgemäße Ausrüstung der Bundeswehr garantieren. Es geht dabei keineswegs um eine Militarisierung der Politik, da die Maßnahmen nicht zulasten von Klimaschutz oder Investitionen in Bildung und Infrastruktur gehen. Klar ist, dass der Haushaltsgesetzgeber Bundestag die konkreten Festlegungen trifft und auch vorhandene Missstände bei Beschaffung und Management abgestellt werden müssen. Insofern bleibt ein kritischer Umgang mit den Ausgaben geboten. Es geht immer um gute Ausrüstung, eine unkontrollierte Aufrüstung wird es mit uns nicht geben.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Stegner