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Frage von Peter O. •

Frage an Rainer Wieland von Peter O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wieland,

Können Sie mir erklären, warum die deutschen Christdemokraten im Europäischen Parlament dafür gesorgt haben, dass der Bericht des Verfassungsausschusses (Duff-Bericht) jetzt schon zum dritten Mal von der Tagesordnung des Plenums in Strassburg genommen wurde?
Siehe: http://www.eu-infothek.com/article/reform-des-europawahlsystems-verschoben
und: http://foederalist.blogspot.it/2012/03/duff-bericht-update-abstimmung.html

Ich habe die CDU bislang für eine europafreundliche Partei gehalten, und Sie persönlich für einen engagierten Verfechter der europäischen Einigung, zumal Sie ja an der Spitze der Europa-Union Deutschland stehen, einem Verband, dem ich seit 1962 angehöre, wenn man meine Mitgliedschaft bei den Jungen Europäischen Föderalisten mit einbezieht. Deshalb begreife ich es einfach nicht, warum die seit vielen Jahren fraktionsübergreifend geforderte Einführung von Europäischen Listen bei den Wahlen zum EP nunmehr von Ihren Parteifreunden hintertrieben wird.

Auch von Ihnen? Dies ist meine Frage.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Osten

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Osten,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 19. März 2012 auf www.abgeordnetenwatch.de. Für die verspätete Antwort bitte ich Sie um Verständnis.

Gerne möchte ich Ihnen im Folgenden die Gründe darlegen, die mich dazu bewegen, dem Duff-Bericht zur Wahlrechtsreform des Europäischen Parlaments in seiner jetzigen Form die Unterstützung zu verweigern. Dazu ist aber ein Blick auf die Hintergründe der Reform notwendig.

Das Europäische Parlament hat mit dem Vertrag von Lissabon einen klaren Arbeitsauftrag erhalten: Es soll die Initiative zur Reform seines Wahlrechts und zur Festlegung seiner Zusammensetzung ergreifen. In beiden Fragen steht die transnationale Liste, eine politische Überschrift, die auch ich immer mit Sympathie begleitet habe, zwar aktuell im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen, sie ist aber für beide genannten Themen nur der Schlussstein, der einen stabilen und in sich logisch gefügten Unterbau, der auch rechtlichen Überlegungen und Bedenken in den Mitgliedstaaten Rechnung trägt, krönen kann. Vorderhand steht die Frage der Zusammensetzung des Parlaments eine nicht nur voranginge, sonder auch dringende Fragen dar. Gleichzeitig ist die Antwort noch umstritten.

Grundsätzlich finde ich die Idee der transnationalen Listen spannend und stehe dieser auch positiv gegenüber. Auch ich sehe in ihr Potenzial, als Europäisierungsinstrument zu wirken. Kandidaten und ihre Parteien würden ermutigt, sich für ein für die gesamte europäische Wählerschaft wichtiges Thema einzusetzen. Europaweit gewählte Abgeordnete würden alle Unionsbürger vertreten und nicht die Bürger ihres eigenen Nationalstaates.

Allerdings weist der Duff-Bericht hier einige Ungereimtheiten auf: Er schlägt vor, dass 25 Abgeordnete über die europaweiten Listen gewählt werden. Diese sollen sich aus Kandidaten aus mindestens einem Drittel der Mitgliedstaaten zusammensetzen. Hier stellt sich die Frage: Warum gerade 25? Logisch wäre doch eine Prozentzahl oder etwa eine Anzahl, die der Zahl der EU-Mitgliedstaaten entspricht. Damit hätte jede Partei die zumindest theoretische Möglichkeit, aus jedem Mitgliedstaat einen Bewerber zu nominieren.

Auch ist mit der transnationalen Liste die theoretische Möglichkeit eröffnet, dass alle MdEP, die über eine transnationale Liste gewählt wurden, aus einem einzigen Mitgliedsland kommen. Sie liegt übrigens nicht so fern, wenn man an Europagegner mit populistischer Strahlkraft denkt, die aus einem Land "antreten", aber in der ganzen EU Stimmen gewinnen. Dies ist gerade in der jetzigen Phase, in der jedes Mitgliedsland um jeden einzelnen Sitz kämpft, nicht nur problematisch, sondern völlig unrealistisch.

Die transnationalen Listen eignen sich daher nicht als erster Schritt der Wahl-Reform, sondern sollten vielmehr der Schlussstein eines Systems sein, das im Unterbau auch den Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts angeboten werden kann. Dieser Aufgabenstellung genügt der Duff-Bericht nicht.

Ich bin der Meinung, dass wir für die Umverteilung der Sitze im Parlament unter den Staaten eine transparente und nachhaltige Grundlinie brauchen, die es erlaubt, in Zukunft den demografischen Wandel bei der Wohnbevölkerung der Staaten widerzuspiegeln. Sie muss eine ausgewogene Vertretung kleinerer und größerer Staaten im Europäischen Parlament - das Prinzip der europäischen Solidarität - gewährleisten und dem durch den Vertrag von Lissabon vorgegebenen Grundsatz der degressiven Proportionalität gerecht werden.

Vor allem aber sollte die Formel transparent für die Unionsbürger sein. Im Hinblick auf politische Wahrnehmung, Akzeptanz und Verständnis sollte eine Lösung gefunden werden, die nicht zuletzt auch für Lehrer, die ihren Schülern die Funktionsweise, die Ratio und Struktur der Union näherbringen wollen, leicht zu erklären ist.

Rechte ziehen auch Pflichten nach sich: Das Parlament, vom Lissabon-Vertrag in dem Recht, sein Wahlrecht und Zusammensetzung der europäischen Bürgerkammer zu prägen, gestärkt, setzte sich berechtigter Kritik aus, wenn es seine Lissabon-Pflichten unerledigt ließe und sich vorrangig der Kür widmen würde.

Es ist übrigens eine lange gepflegte Unart Europas, sich wichtigen, lange absehbaren Problematiken erst dann zu widmen, wenn sie einem auf die Füße gefallen sind. Ich selbst werde deshalb als Abgeordneter der auch von mir mit Sympathie begleiteten Idee transnationaler Listen erst dann meine Zustimmung erteilen können, wenn Wahlrecht und Zusammensetzung des Parlaments funktionsfähig, transparent und dauerhaft geregelt sind.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort dienlich gewesen zu sein, stehe für weitere Fragen selbstverständlich gerne zur Verfügung und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Rainer Wieland