Frage an Rainer Wiebusch von Utz H. bezüglich Bildung und Erziehung
Wie wollen Sie es schaffen, dass jeder Jugendliche der ausbildungsfähig und ausbildungswillig ist, einen Ausbildungsplatz erhält?
Sehr geehrter Herr Herbig,
vielen Dank für Ihre Frage. Dieses Thema ist mein Hauptanliegen für die künftige politische Arbeit als Abgeordneter.
Die kurze Antwort: Die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, den nationalen Ausbildungspakt weiterentwickeln, Einstiegsqualifizierung von Jugendlichen mit schlechteren Startchancen verbessern, Ausbildungsplatzprogramm Ost weiterführen und Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzes verhindern.
Die neue OECD-Studie stimmt nicht wirklich optimistisch. Für unser Land wird die Zukunftsfähigkeit in Frage gestellt, u.a. weil wir in den Bereichen schulische Bildung, berufliche Ausbildung, Fach-/Hochschulausbildung und Weiterbildung Defizite haben. Das bedeutet Handlungsdruck.
Deshalb muss ich auch eine längere Antwort geben. Die Aspekte sind vielschichtig, die Maßnahmen greifen ineinander. Und wir brauchen Durchhaltevermögen.
- Der Kindergarten ist zur Bildungseinrichtung auszubauen, weil insbesondere der Spracherwerb im Alter zwischen 3 und 8 Jahren besonders leicht fällt; und Sprachen werden in Zukunft an Bedeutung erheblich zunehmen und zu einer Schlüsselqualifikation werden. Darum ist die Entscheidung von Klaus Wowereit, zunächst das dritte, dann auch das zweite und erste Kita-Jahr gebührenfrei zu gestalten, ein Schritt in die richtige Richtung.
- Der aktuelle Datenreport 2006 sagt u.a. aus, dass immer noch die wirtschaftliche Lage der Eltern wesentlich die schulische Laufbahn der Kinder bestimmt. Und dass ein Arbeiterkind eine vierfach höhere Chance hat, ein Gymnasium zu besuchen, wenn es einen Kindergarten besucht. Somit ist die Wowereit-Kita-Idee auch ein richtiger, ja notwendiger Schritt in Richtung Chancengleichheit.
- In der Schule müssen die Perspektiven für die künftigen Berufsoptionen deutlicher mit den Schülerinnen und Schülern erarbeitet werden. Es führt nicht immer der Weg zum Studium. Die qualifizierte Ausbildung zum Gesellen, dann evtl. Meister (man bzw. frau kann sich ja jetzt auch in vielen Berufen ohne Meisterbrief selbstständig machen). Hier müssen Schulen viel stärker als bisher bzw. überhaupt erst mal mit Wirtschaftsverbänden kooperieren. Hier bei uns gibt es solche Kooperationen schon; der Wirtschaftskreis hat eine Arbeitsgruppe „Jugend & Wirtschaft“ ins Leben gerufen. Das werde ich tatkräftig unterstützen.
- Die schulische Ausbildung muss sich künftig stärker an den Bedürfnissen der Unternehmen orientieren. Hierüber müssten wir länger diskutieren, weil die Schule schon ihren komplexeren Bildungsauftrag behalten sollte...
- Es ist wohl eine Tatsache, dass zu viele Schulabgänger nicht ausbildungsfähig sind; manche reden von 20%, andere von bis zu 60%. Das allein ist ein abendfüllendes Thema...
- Örtliche Unternehmen, die verantwortungsbewusst über den eigenen Bedarf ausbilden, müssen stärker unterstützt werden. Das Kolumbus Hotel ist ein gutes Beispiel. Das bedeutet persönlichen Einsatz und auch „Klinkenputzen“. Ich würde das machen, so wie mein Parteifreund Matthias Stawinoga als ehemaliger Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen in Hohenschönhausen das mit Erfolg praktiziert hat.
- In ca. 10 bis 15 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, werden wir einen Arbeitskräftemangel haben, dann werden wir nur im Wettbewerb bestehen können, wenn wir heute vorausschauend über den aktuellen Bedarf ausbilden. Diese Erkenntnis möchte ich den Unternehmen gern vermitteln.
- Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, müssen ein alternatives Angebot erhalten: Qualifizierungsmaßnahme, Praktikum etc.
- Wenn die Appelle an die Unternehmen nicht fruchten und die Einsicht, dass heute auszubilden ist, weil sonst morgen (oder in 10 bis 15 Jahren) die qualifizierten Arbeiter fehlen, dann scheue ich mich auch nicht vor dem letzten Mittel einer Ausbildungsplatzabgabe. Aber das ist wirklich mit Vorsicht zu genießen. Nur: Weniger als 25% der Betriebe bilden heute überhaupt noch aus. Das geht so nicht.
- Auch müssen wir übergangsweise außerbetriebliche Ausbildungszentren und Arbeitsförderungsgesellschaften als Instrument nutzen, um wirklich jedem Jugendlichen, der ausbildungsfähig und ausbildungswillig ist, die Möglichkeit zu einer Ausbildung zu ermöglichen. Das Ausbildungsprogramm Ost stellt hier jährlich 90 Mio. € bis 2009 zur Verfügung. Da werde ich darum kämpfen, dass die Bundesmittel auch in Hohenschönhausen eingesetzt werden.
- Zu fördern ist die angewandte Forschung an den Fachhochschulen, insbesondere die, die in Kooperation mit Unternehmen Ideen entwickelt, Patente anmeldet und dann zur Marktreife entwickelt. In diesem Umfeld entstehen auch viele kleine Betriebe, es ist durchaus eine Perspektive, sich selbstständig zu machen. Das Verständnis hierfür kann und muss früh in der Schule entwickelt werden.
- Im zweiten Quartal 2006 gab es in Berlin 12.700 Gewerbeanmeldungen! Neben „Mut zum Sprung in die Selbstständigkeit“ müssen hierfür auch die notwendigen Qualifikationen und realistischen Einschätzungen vermittelt werden; das sollte in der Schule einen breiteren Platz einnehmen. Und die Politik schafft bessere Rahmenbedingungen wie preiswerte Gewerbemieten, zinsgünstige Kredite, Abbau der Bürokratie etc.
- Die Arbeitsagenturen sind noch nicht alle auf dem optimalen Informations- und Beratungsstand angekommen. Hier gibt es noch Entwicklungspotenziale.
- Wichtig ist auch, dass die unterschiedlichen Bildungseinrichtungen, Behörden, Firmen, Verbände, Freien Träger besser zusammen arbeiten und die Maßnahmen besser abstimmen. Als Lenkungsgremium könnte ich mir sehr gut eine bezirkliche „Leitstelle Jugend und Wirtschaft“ (am besten als Stabsstelle beim Bezirksbürgermeister) vorstellen. Das werde ich aktiv betreiben.
Schließlich werde ich nach dem 17. September als Abgeordneter regelmäßig Bürgersprechstunden in Hohenschönhausen durchführen und mich auch um konkrete Einzelfälle kümmern.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Rainer Wiebusch