Frage an Rainer Stinner von Sigismund K. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Dr. Stinner,
es gibt unterschiedliche Gründe, gegen den Atomausstieg - speziell zu dem festen Termin 2022 - zu stimmen. Welches waren die Ihren?
Welche Meinung haben Sie zu den folgenden Überlegungen:
Es gibt keine "Erneuerbaren". Energie wird stets umgewandelt, z. B. in mechanische Energie oder Wärme. Bestensfalls ist Energie v e r f ü g b a r (für die restliche Zeit der Existenz der Menschheit, z.B. durch die Sonne, Erdwärme, ...), niemals jedoch erneuerbar. Die Existenz eines perpetuum mobile ist schon vor 150 Jahren ad absurdum geführt worden.
Das System der Energiegewinnung und -bereitstellung birgt Risiken in sich. Entscheidend ist stets die Minimierung des Restrisikos des Gesamtsystems, nicht die für eine einzelne Energieerzeugungsart (z.B. Kernenergie). Ziel muss es sein, Schritt für Schritt unter Abwägung des jeweils vorhandenen Restrisikos für das Gesamtsystem, aus fossilen Energieträgern und Kernenergie gleichermaßen auszusteigen. Das hieße "Energiewende" im eigentlichen Sinn. Wer hat eine wissenschaftliche Analyse vorgestellt, die besagt, dass dieser Prozess 2022 abgeschlossen sein kann?
Ersetzen von Kernernergie durch fossile Energie ist eine Mogelpackung, dsgl. der Einkauf von Strom von Nachbarländern.
Mit freundlichen Grüßen
Sigismund Kobe
(Prof. S. Kobe, Institut für Theoretische Physik, TU Dresden, 01062 Dresden)
Sehr geehrter Professor Kobe,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Die Definition von "Erneuerbare Energien" ist wohl eher ein semantisches Problem: Es ist ein eingeführter Begriff, unter dem weitgehend alle das Gleiche verstehen. Also sehe ich keine Notwendigkeit ihn zu ändern.
Meine Gründe, gegen die jetzt vorliegende Art des Atomausstieges zu stimmen, habe ich nach der Abstimmung in meinem Newsletter erläutert, den ich hier anfüge:
"Ich habe schon in meinen letzten beiden Berichten aus Berlin deutlich gemacht, dass ich Inhalt und Vorgehen bei der Energiewende für falsch halte. Ich habe deshalb gestern konsequenterweise (zusammen mit einem weiteren FDP-Kollegen) im Bundestag in namentlicher Abstimmung gegen diese Art der „Energiewende“ gestimmt.
Ich habe gar kein Problem mit einem sinnvoll gestalteten Umstieg auf erneuerbare Energien. Ich hänge überhaupt nicht an der Kernkraft. Und ich sehe auch die großen Chancen für das Technologieland Deutschland in den neuen Technologien. Aber den hier eingeschlagenen Kurs kann ich so nicht mittragen.
Meine Kritik kurz zusammengefasst:
* Hier hat die Emotion über die Ratio gesiegt.
* Hier haben parteitaktische Überlegungen über die Inhalte gesiegt.
* Das Vorgehen ist unlogisch und falsch.
* Wenn es aufgrund von Fukushima zu einer völligen Neubewertung von Risiken auf dieser Welt kommen „muss“, dann hätten wir zuerst einmal die Deiche an der Nordseeküste deutlich erhöhen müssen. Und wir hätten insbesondere diese neue Art der Risikobewertung vor allem auf die Energiewende selber anwenden müssen: die Folgen eines „Energie-Kollapses“ in Deutschland sind unermesslich.
* Die Berufung auf das (bestellte?) Ergebnis der Ethik-Kommission ist zumindest fahrlässig, wenn nicht mehr. In dem Gutachten wird viel Lyrik verbreitet, alle Risiken und Probleme werden in den vorgeschlagenen Monitoring-Prozess verschoben. Auf meine Frage an Herrn Töpfer, ob es denn eine „deutsche Ethik“ gebe, habe ich keine wirklich aussagefähige Antwort bekommen. Dass sich die Bundeskanzlerin, die ich ansonsten in vielen Bereichen außerordentlich schätze, in ihrer 180-Grad-Wende ausgerechnet auf dieses Gutachten stützt, trübt mein Bild von ihr deutlich ein.
* Herr Töpfer hat selber zugegeben, dass dieser Prozess sehr riskant ist und nur gelingen kann, wenn es eine unglaubliche nationale Kraftanstrengung des ganzen Landes gibt, bei der parteipolitische und andere Befindlichkeiten gegenüber dem großen Ziel hintan gestellt werden. Von einem solchen gemeinsamen Aufbruch kann ich auch nach der gestrigen Debatte im Bundestag nichts erkennen.
* Das Gesetzgebungsverfahren war völlig unakzeptabel. Die Entwürfe von 7 Gesetzen mit ca. 700 Seiten kamen 120 Minuten vor unserer Fraktionssitzung. Ein erfahrener Beamter hat mir gesagt, dass er in über 30 Jahren im Ministerium noch nie eine solche Flickschusterei erlebt hat. Um die Endfassung der Gesetze hat es bis einen Tag vor der Verabschiedung noch gravierende Meinungsunterschiede gegeben. Einige Kollegen mahnen an, dass Gesetze, die gestern verabschiedet wurden, unmittelbar in den nächsten Monaten dringend geändert werden müssen.
* Die Umsetzung des „Netzausbaubeschleunigungsgesetzes“, an dem Verfassungsrechtler erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken haben, ist völlig unklar, da der Vollzug der Planfeststellung Sache der Länder ist. Die Beschleunigung des Netzausbau ist aber die unabdingbare Voraussetzung, dass es überhaupt klappen kann.
* Der Präsident der Bundesnetzagentur sieht erhebliche Risiken für die Netzstabilität in Deutschland in den kommenden Wintern. Wie können wir nur solche Risiken eingehen?
* Seitdem die 8 deutschen Kernkraftwerke vom Netz genommen worden sind, ist Deutschland ein Strom-Importland. Dagegen ist grundsätzlich kurzfristig nichts zu sagen, aber der importierte Strom kommt zum großen Teil aus Kernkraftwerken in Tschechien und Frankreich, wo demgemäß Pläne für den Ausbau der Kernkraftwerke geschmiedet werden. Das halte ich nun wirklich für einen Schildbürgerstreich allererster Güte. Aber das wird in Deutschland schon gar nicht mehr thematisiert.
* Mit dem verabschiedeten Konzept werden marktwirtschaftliche Mechanismen für den Energiemarkt weitgehend ausgehebelt. Da ich aber als Liberaler immer noch daran glaube, dass Markt und Wettbewerb eindeutig wohlfahrtserhöhend sind, sehe ich diese Entwicklung mit großer Sorge. In einem Großteil der Energieerzeugung haben wir in Zukunft administrierte Preise.
* Die Auswirkungen auf die Energiepreise werden völlig nebensächlich behandelt. Wenn wir aber stolz auf unsere industrielle Wertschöpfung sind und diese behalten wollen, dürfen wir damit nicht so fahrlässig umgehen.
* Die deutsche Entscheidung, insbesondere die „Alarm-Abstellung“ der Kernkraftwerke, hat erhebliche Auswirkungen auf den europäischen Energieverbund. Nachdem wir von unseren Partnern immer gerne Abstimmung fordern, reiben sich unsere europäischen Freunde nur die Augen. Dieses Verhalten Deutschlands ist europafeindlich.
* Abschließend glaube ich auch, dass die parteitaktische Überlegung für die FDP nicht aufgehen wird. Ich vertraue darauf, dass es mindestens 10% der Bevölkerung in Deutschland gibt, die einen rationalen, stufenweisen, weniger risikoreichen Weg der Energiepolitik mitgehen würden.
Ich schließe nicht aus, dass der eingeschlagene Weg eventuell versorgungstechnisch „gut“ gehen kann, wenn wir Glück haben. Aber die damit verbundenen Risiken kann und will ich unserem Land als Industriestandort mit hohem privaten Lebensstandard nicht zumuten.
In der Fraktion ist meine Entscheidung mit Respekt und ohne jeden Druck und Anfeindung zur Kenntnis genommen worden. "
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Stinner MdB
Außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion