Frage an Priska Hinz von christian k. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Hinz,
ich befürchte Sie werden auch bei der kommenden Abstimmung zur Verlängerung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr wieder für eine Verlängerung stimmen.
Als Gründe dafür müssen immer wieder die hehren Absichten: Stärkung der Zivilgesellschaft, Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur, Verhinderung des Drogenanbaus etc. herhalten. Das hört sich ja auch immer ganz toll human an. Leider kommen ausgewiesene Kenner der Situation wie zum Beispiel der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan Craig Murray zu ganz anderen Schlüssen.
Der Drogenanbau hat sich bestens entwickelt, wurde früher nur Opium exportiert ist -dank westlicher Unterstützung- eine gut geschmierte Heroin-herstellung , mit zügiger Belieferung der Grundchemikalien und ebenso ein funktionierender Absatzmarkt nach Westeuropa etabliert worden.
Man kann das alles im Internet nachlesen:
http://politblog.net/krieg-terrorismus/grossbritannien-schuetzt-die-groesste-heroin-ernte-aller-zeiten.htm#more-1502
Was planen Sie an dieser Situation zu ändern ?
Glauben Sie eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes, könnte an diesem Szenario : Schutz der Chemikalienlaster für die Heroinproduktion , Wegschauen bei den Herointransporten, irgendetwas ändern ?
mit freundlichen Grüßen
Christian Kumbier
Sehr geehrter Herr Kumbier,
vielen Dank für Ihr Schreiben zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. In den vergangenen Wochen erreichten mich viele Briefe, E-Mails und Appelle zu diesem Thema. Ich habe diese Zuschriften ebenso ernst genommen wie die Stellungnahmen von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sowie den Brief einer Gruppe afghanischer Abgeordneter.
Die Lage in Afghanistan ist aktuell als äußerst kritisch einzuschätzen. Die zunehmende Zahl von Terroranschlägen beunruhigt mich sehr. Auch der Aufbau von afghanischer Polizei und Militär geht leider nicht mit der erhofften Geschwindigkeit voran. Viele Institutionen funktionieren nicht richtig. Sie arbeiten intransparent und ineffizient. Lokale Machthaber konnten sich eine herausgehobene Stellung erarbeiten, und Korruptionsvorwürfe schwächen die Autorität und Legitimität der Zentralregierung. Finanzielle Mittel für Sicherheit, Justiz, Gesundheit und Bildung kommen nicht dort an, wo sie benötigt werden. Drogenanbau ist heute einer der wichtigsten Wirtschaftszweige im Land. Dies alles führt zu einer spürbaren und verständlichen Frustration bei der afghanischen Bevölkerung. Diese Enttäuschung versuchen die Taliban und lokale „Warlords“ zu nutzen. Sie tun dies nicht, um die Situation der Zivilbevölkerung zu verbessern, sondern um ihre eigene Stellung und Macht zu stärken. Die terroristischen Taliban schrecken dabei auch nicht davor zurück, Anschläge gegen die afghanische Zivilbevölkerung auszuführen, um Angst und Schrecken zu schüren.
Gerade diese Probleme machen mir jedoch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir die afghanische Bevölkerung nicht alleine lassen und die deutsche Beteiligung an der International Security Assistance Force (ISAF) fortsetzen. Sie ist elementar wichtig für die Menschen in Afghanistan und den zivilen Aufbau des Landes. Die Bundeswehr ist auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung der Islamischen Republik Afghanistan zur Unterstützung und Sicherung des Wiederaufbaus vor Ort. Des Weiteren ist der Einsatz völkerrechtlich durch die Resolution 1746 des UN-Sicherheitsrats gedeckt.
In der öffentlichen Debatte ist nicht zuletzt die Frage der Beteiligung von deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeugen umstritten. Diese Flugzeuge sind Teil eines breiteren Aufklärungsverbundes zur Erstellung möglichst präziser Lagebilder. Der Erfolg der Stabilisierungsaufgabe von ISAF ist auf eine bestmögliche Informationsgewinnung angewiesen. ISAF verfügte über keine eigene luftgestützte Aufklärung. Diese Lücke wurde durch die Tornados geschlossen. Die Luftaufklärung der Tornados dient in erster Linie dazu, für die Sicherheit der ISAF-Soldaten und auch der zivilen Entwicklungskräfte zu sorgen. GRÜNE Abgeordnete konnten sich bei einem Besuch in Afghanistan selbst noch einmal davon überzeugen. Belege, dass die Ergebnisse der Luftwaffen für „Operation Enduring Freedom“ (OEF) verwendet werden, gibt es hingegen bislang nicht. Alle Informationen und Diskussionen der letzten Zeit haben mir gezeigt, dass auch die kritischste Haltung zu den Tornados keinesfalls die Bedeutung des gerade für den zivilen Aufbau lebenswichtigen Auftrags von Gesamt-ISAF aufwiegt.
Ein „Nein“ zu ISAF und den Tornados wäre meiner Meinung nach das falsche Signal an die Menschen in Afghanistan gewesen. Wir dürfen die demokratischen Kräfte im Land nicht im Stich lassen, die auf die politische und militärische Unterstützung der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen sind. Ein Abzug der internationalen Gemeinschaft, bevor rechtsstaatliche Strukturen in Afghanistan aufgebaut sind und das Land sich selbst verteidigen kann, würde auch alle bereits erreichten Fortschritte in Afghanistan zunichte machen und wäre ein schwerer Rückschlag für die Vereinten Nationen. Eine weitere Folge wäre der Rückfall Afghanistans in den Bürgerkrieg und die Rückkehr der Taliban an die Macht.
Gerade wir Grüne als Vertreterinnen und Vertreter einer multilateralen Außenpolitik sollten daher nicht fordern, dass sich Deutschland einseitig aus der Gesamtverantwortung eines UN-mandatierten Einsatzes zurückziehen soll. Zudem hätte eine solche Aufkündigung der Bündnissolidarität Auswirkungen auf die Durchsetzungskraft der UN-Beschlüsse und für die multilaterale Bündnisverpflichtung.
Gleichzeitig halten wir einen Strategiewechsel in Afghanistan für dringend notwendig. Wir haben die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, tätig zu werden und wir werden dies auch weiterhin tun. Die zivile Hilfe und die Mittel für den Polizeiaufbau müssen dringend aufgestockt werden und sie müssen der Bevölkerung in allen Provinzen zu Gute kommen. Die Bundesregierung muss sich u.a. dafür einsetzen, dass der OEF-Einsatz beendet, der Drogenanbau mit anderen Mitteln bekämpft wird und intensivere Verhandlungen sowohl mit afghanischen Oppositionellen als auch mit regionalen Nachbarn geführt werden.
Trotz der derzeit kritischen Situation in Afghanistan gibt es bei einer vorurteilsfreien Betrachtung auch in der Gesamtschau sichtbare Erfolge. Mit dem Petersberg-Prozess wurde eine gute Grundlage für die politische Entwicklung des Landes geschaffen. Heute gibt es in Afghanistan ein Parlament, in dem auch weibliche Abgeordnete vertreten sind. Zahlreiche Mädchen können erstmals in ihrem Leben eine Schule besuchen. Es existiert eine Verfassung und es gibt eine legitimierte Regierung, die Verwaltung befindet sich im Aufbau.
Unter Abwägung all dieser Gesichtspunkte habe ich mich entschieden, der Fortführung des Gesamt-ISAF-Mandats für die afghanische Bevölkerung eine größere Bedeutung einzuräumen als den bestehenden kritischen Fragen zum Tornado-Einsatz. Daher habe ich bei der Abstimmung des ISAF-Mandates (verbunden mit den ISAF unterstehenden Tornado-Aufklärungsflugzeugen) im Bundestag mit Ja gestimmt.
Ich hoffe, dass die Menschen in diesem Land nach Jahrzehnten des Krieges und der Repression schnellstmöglich in Ruhe und Frieden leben können. Dies zu ermöglichen ist die Verpflichtung, die wir eingegangen sind, und an der wir unsere Arbeit und unsere Entscheidungen werden messen lassen müssen.
Herzliche Grüße
Priska Hinz