Wie stehen Sie zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen enteignen“, über den am 26.09.21 in Berlin abgestimmt werden soll?
Sehr geehrte Frau Vandrey,
Kritiker des Volksentscheids wenden ein, dass im Falle einer tatsächliche umgesetzten Enteignung Entschädigungen Milliardenhöhe fällig würden, weswegen mich Ihre Antwort auf folgende Teilfragen interessieren würde:
1. Teilen Sie die Ansicht der Befürworter der Enteignung, dass die Entschädigungen langfristig aus den Mieteinnahmen bezahlt werden könnten?
2. Wie würden Sie im Abgeordnetenhaus über ein von den Initiatoren beabsichtigtes Enteignungsgesetz abstimmen?
3. Glauben Sie, dass so ein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätte?
Mit freundlichen Grüßen
Florian Kichler
Sehr geehrter Herr Kichler, gern beantworte ich Ihre Fragen:
Ich bin Juristin und halte Enteignungen (ebenso wie eine Vergesellschaftung nach Art. 15 GG) nach einem reinen Quantitätskriterium (ab 3000 Wohnungen) für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Daher glaube ich kaum, dass ein entsprechendes Gesetz vor dem BVerfG Bestand hätte. Wenn der Volksentscheid allerdings bei der Wahl eine Mehrheit findet, halte ich es für die Aufgabe des Abgeordnetenhauses, einen möglichst verfassungskonformen Weg zu finden, um ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Denn meinem Demokratieverständnis entspricht es, Volksentscheide ernst zu nehmen, also bei einer Mehrheit für den Volksentscheid alle Möglichkeiten einer rechtlich zulässigen Umsetzung zu prüfen. Die Frage, ob eine Entschädigung langfristig aus den Mieteinnahmen bezahlt werden könnte, hängt von der Höhe der Entschädigung ab. Die Entschädigung würde nach meiner Kenntnis im zweistelligen Milliardenbereich liegen, wird jedoch unterschiedlich eingeschätzt. Ob eine solche Summe aus den Mieten finanzierbar wäre, vermag ich nicht zu beurteilen. Auch ich finde allerdings: Der Mietenmarkt muss reguliert werden, damit Mieten bezahlbar bleiben. Ich bin für juristisch funktionierende Lösungen, die vor Gericht Bestand haben. Ich halte einen Pakt der Politik mit der Wohnungswirtschaft, wie ihn Bettina Jarasch in die Diskussion gebracht hat, für sinnvoll (Mietenschutzschirm). Dialog bringt meines Erachtens mehr als das bisherige harte Gegeneinander. Ein gewisser Druck auf Wohnungsunternehmen ist allerdings angebracht, damit diese sich bewegen. Der Mietenschutzschirm sieht u. a. ein freiwilliges Mietenmoratorium für fünf Jahre, die Neuvermietung zu fairen Mieten und den Verzicht von Umwandlungen von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen vor. Im Gegenzug gibt es für die Unternehmen, die mitmachen, dann Fördergelder (u. a. für die wichtige energetische Sanierung) und die Vergabe von landeseigenen Grundstücken im Wege des Erbbaurechts. Das halte ich für einen konstruktiven Weg, um Berlins explodierenden Wohnungsmarkt zu regulieren und der Spekulation mit Wohnraum zu begegnen. Daneben brauchen wir eine Verschärfung des Mietrechts auf Bundesebene (mit einer bundesgesetzlichen Öffnungsklausel, die den Ländern die Kompetenz gibt, bei angespannten Wohnungsmärkten Mieten zu begrenzen). Wichtig sind daneben in Berlin bezirkliche Maßnahmen zum Mieterschutz vor Ort, also weitere Milieuschutzgebiete und die Ausübung bezirklicher Vorkaufsrechte, um Miethäuser vor Spekulation zu schützen.