Frage an Petra Selg von Bettina S. bezüglich Familie
Guten Tag Frau Selg,
ich komme vom Bodensee, habe 11 Jahre an verschiedenen Orten in D gewohnt, u.a. in Köln, und wohne nun seit kurzem wieder in Markdorf. Mir fällt v.a. auf: Die Bodenseeregion ist attraktiv was den Freizeitwert angeht. Einige Dinge sind aber sehr unterentwickelt - zum einen die Kleinkindbetreuung und zum anderen der ÖPNV. Ohne Auto ist man ziemlich aufgeschmissen. Dabei leidet der Bodenseekreis, gerade im Sommer, unter den vielen Autos. Wie gedenken Sie diese Probleme anzugehen?
Viele Grüße,
Bettina Suttner
Sehr geehrte Frau Suttner,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte!
Zuerst möchte ich auf Ihre Frage zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eingehen. Da ich selbst einige Jahre in Markdorf gearbeitet habe, weiß ich aus eigener Erfahrung um die schwierige Anbindung durch den ÖPNV.
Für Bündnis 90/Die Grünen steht ein starker öffentlicher Verkehr auf Straße und Schiene im Zentrum einer nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätspolitik. Im Jahr 2004 verzeichnete der öffentliche Nahverkehr in Deutschland erstmals in seiner Geschichte mehr als zehn Milliarden Fahrgäste. Diese Entwicklung gilt es fortzuführen. Angesichts zunehmend knapper öffentlicher Kassen kann jedoch beim Ausbau des ÖPNV in Zukunft nur noch begrenzt mit zusätzlichen öffentlichen Finanzmitteln gerechnet werden. Um trotzdem das bestehende ÖPNV-Angebot zu sichern und Verbesserungen bei Bahnen und Bussen zu erreichen, braucht der öffentliche Verkehr nach Auffassung von Bündnis 90/ Die Grünen mehr Innovationen und effizientere Strukturen.
Bereits seit über einem Jahrzehnt wird in Deutschland die Diskussion über eine kontrollierte Marktöffnung und Liberalisierung der bislang statischen und zementierten Betreiber- und Finanzierungsstrukturen im ÖPNV geführt. Die historisch gewachsene öffentliche Finanzierung des ÖPNV ist durch eine Vielzahl paralleler Förderinstrumente überkomplex, bürokratisch, intransparent und zu wenig zielgerichtet - ein transparenter Wettbewerb konnte sich so bis heute nicht entwickeln. Dies zeigt deutlich: Es ist Zeit, endlich mehr Klarheit und Transparenz für alle Beteiligten im öffentlichen Nahverkehr zu schaffen.
Für eine umfassende Reform des ÖPNV hat Bündnis 90/Die Grünen bereits im Oktober 2004 ein Konzept vorgelegt. Dabei gelten folgende Leitlinien: Eine zukünftige Marktordnung im ÖPNV soll dazu dienen, mit den vorhandenen öffentlichen Fördermitteln ein verbessertes ÖPNV-Angebot zu erreichen. Die grünen Vorschläge zielen dabei insbesondere auf folgende Ansätze:
Die Einführung eines kontrollierten Wettbewerbs zwischen den ÖPNV-Unternehmen um Verkehrsverträge mit der öffentlichen Hand. Durch den Wettbewerb sind Kostensenkungen, Qualitätssteigerungen und Produktinnovationen zu erwarten.
Die Neuordnung der öffentlichen ÖPNV-Finanzierung mit dem Ziel größerer Transparenz, größerer Flexibilität und damit einer effizienteren Verwendung der öffentlichen Mittel.
Eine umfassende Stärkung der Verantwortung der Kommunen in ihrer Funktion als öffentliche Aufgabenträger des ÖPNV. Durch die Zusammenführung von Aufgabenverantwortung und öffentlichen Fördermitteln in ihrer Hand soll zum einen die demokratisch-politische Kontrolle der ÖPNV-Finanzierung gestärkt, zum anderen ein effektiverer Mitteleinsatz durch örtlich angepasste Förderstrategien ermöglicht werden.
Eine konsequente Nutzung der durchweg positiven Erfahrungen bei der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs im Rahmen der Bahnreform von 1994 für den öffentlichen Nahverkehr auf Straße und kommunaler Schiene.
Das von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Reformkonzept erfordert grundsätzliche Änderungen im bestehenden ÖPNV-System, seine Umsetzung muss gut vorbereitet werden. Für solchermaßen grundsätzliche Änderungen braucht es zudem die Kooperation und Unterstützung aller beteiligten Kräfte sowohl auf Seiten der Politik in Bund, Ländern und Kommunen als auch auf Seiten der Verkehrsunternehmen. Nur so kann das überkommene und ineffiziente System überwunden werden. Um diese Unterstützung werben wir - auch im Interesse aller Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Verkehrs.
Nun zu Ihrer Frage bezüglich der Kleinkindbetreuung.
Die Kommunen sind bereits seit 1991 gesetzlich verpflichtet, für unter Dreijährige (sowie für Schulkinder) ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten. Besonders für die unter Dreijährigen sind die Kommunen dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Deshalb wurde im Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) ein Mindestbedarf durch die Schaffung von Bedarfskriterien konkretisiert. Hier hatten Bündnis 90/ Die Grünen im Gesetzgebungsverfahren lange gefordert, für die Familien, die diesen Bedarfskriterien entsprechen, einen rechtlichen Anspruch (sog. konditionierter Rechtsanspruch) ins Gesetz zu schreiben. Aufgrund des massiven Widerstands seitens der Länder und der Kommunalverbände war dies jedoch nicht durchsetzbar. Als Kompromiss wurde die Berichtspflicht des Bundes ins Gesetz aufgenommen. Das bedeutet, dass die Bundesregierung jährlich dem Bundestag einen Bericht über das Voranschreiten des Ausbaus vorlegen muss.
Bündnis 90/ Die Grünen werden sich weiter für einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einsetzen. Dadurch sind die Länder und Kommunen gezwungen, Plätze bereit zu stellen und endlich den Ausbau der Kinderbetreuung voranzutreiben. Wir sind der Überzeugung, dass bei den Investitionen in die Zukunft unserer Kinder sich der Bund nicht entziehen darf. Die bestmögliche Förderung der Kinder erfordert größte gemeinsame Anstrengungen, deshalb wollen wir eine Beteiligung des Bundes an der Kitafinanzierung.
Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen beantworten konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Selg