Frage an Petra Merkel von Matthias B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Merkel,
in Charlottenburg-Wilmersdorf liegt aus meiner Sicht ein Schlüssel zur fundamentalen Befriedung der deutsch-russischen Beziehungen. Merkwürdigerweise ist dies trotz der BT-Resolution 16/932 ( http://dip.bundestag.de/btd/16/009/1600932.pdf ) für die Bedeutung von Versöhnungs- und Wahrheitskommissionen für eine friedliche Zukunft jetzt im Frühjahr nicht geschehen. Es ergeben sich folgende Fragen:
1. Jetzt am 9. 5.ist auf dem Kurfürstendamm 140 die erste deutsche Informationsstelle zum Generalplan Ost vor dem historischen Sitz eines die Ostsiedlung koordinierenden SS-Stabshauptamtes aufgestellt worden. Obgleich die Siedlungsplanungen auch die Germanisierung Litauens, Lettlands, Estlands, des Gebiets um Leningrad und die westliche Ukraine einschliesslich Krim-Cherson Gebiet vorsahen, ist auf der entsprechenden Landkarte mehr als die Hälfte des Planungsraumes einfach weggeschnitten und die Botschaften Russland, der Baltischen Staaten und die Ukraine einfach übergangen worden!
Frage: Wie konnte so etwas geschehen? Wie haben Sie abgestimmt bei der Resolution 16/932? Haben Russen eventuell (noch) kein vollen Anspruch auf Völker- und Menschenrechte?
2. Ein weiterer, noch nicht gekennzeichneter NS-Täterort ist die Hardenberstr. 29a, als historischer Sitz einer SS-Archivalilen- und „Beutekunst“-Sammelstelle des Auswärtigen Amtes. Ende 1939 eingerichtet, wurden dort mehr als 300.000 registrierte Einzelstücke besonders aus der besetzten Sowjetunion gelagert und in kl. Ausstellungen gezeigt. Während der deutschen NS-Okkupation sollen in Russland etwa 200 Museen bzw. in der besetzten SU 400 Museen samt Depots vollständig zerstört worden sein sollen.
Frage: Wieso sind so viele Politiker gegen die Kennzeichnung dieses NS-Täterortes?
Wenn wohlklingende Resolutionen so missachtet werden, finde ich das sehr uneffektiv. Über eine Stellungnahme und Mithilfe zur öffentlichen Kennzeichnung des unter 2 genannten NS-Täterortes würde ich mich freuen.
Auf eine Antwort hoffend,
Matthias Burchard
Sehr geehrter Herr Burchard,
wir hatten bereits in den Jahren 2002 und 2003 zum Thema „Generalplan Ost“ Kontakt, daher wundert es mich, dass Sie sich nicht gleich direkt an mein Büro wenden. Sie haben immer eine Antwort von mir bekommen. Dies zur Klarstellung.
Ich möchte auf die zwei hier gestellten Fragen nur kurz eingehen – alles Weitere werde ich Ihnen direkt mitteilen.
Bei der von Ihnen angesprochenen Drucksache 16/932 handelt es sich um einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Bedeutung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen für eine friedliche Zukunft“, der keiner namentlichen Abstimmung bedurfte. Der Antrag ist in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16.3.2006 angenommen worden.
Auf der Stele am Kurfürstendamm 140-143 zur Erinnerung an die Opfer des „Generalplan Ost“ ist ein Kartenausschnitt zum dritten „Generalplan Ost“ zu sehen – auf diesen scheint sich Ihre Frage zu beziehen. Am Kurfürstendamm 140-143 befand sich ab 1939 das "Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums", eines von zwölf SS-Hauptämtern. Hier wurde 1941-1942 der "Generalplan Ost" entwickelt. Der Plan sah vor, fünf Millionen Deutsche im annektierten Polen und im Westen der Sowjetunion anzusiedeln. Die slawische und jüdische Bevölkerung dieser Gebiete sollte unterworfen, vertrieben oder ermordet werden. Damit waren bis zu 50 Millionen Menschen von Vernichtung durch unmenschlich harte Arbeitsbedingungen, durch Verhungern, so wie durch Deportation und Mord bedroht. Der "Generalplan Ost" wurde im Distrikt Lublin in Polen am weitesten realisiert. Bei der angeordneten "Eindeutschung" der Kreise Zamosc und Lublin wurden ab November 1942 über 100.000 Menschen, darunter 10.000 Kinder von SS-, Polizei- und Wehrmachtseinheiten aus 300 polnischen Dörfern vertrieben und viele von ihnen in Konzentrationslagern ermordet. Der "Generalplan Ost" steht für den verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Politik und die Skrupellosigkeit der Täter. Allein der Verlauf des Krieges hat dem Plan ein Ende gesetzt.
Zu Ihrem Hinweis, der Kartenausschnitt auf der Gedenkstele zeige nur einen unzureichenden Bereich der betroffenen Gebiete, kann ich Ihnen nur sagen, dass über die angemessene Gestaltung der Gedenkstele im Vorfeld sicherlich ausreichend diskutiert worden ist. Wie der Begriff schon sagt, handelt es sich eben um einen „Ausschnitt“ einer Karte. Als Bundestagsabgeordnete habe ich keinen Einfluss auf die Ausgestaltung und kann Ihnen hierzu nichts anderes mitteilen. Bei weiteren Fragen dazu, wenden Sie sich bitte an die Gedenktafelkommission des Bezirkes Charlottenburg-Wilmersdorf.
Zu Ihrer zweiten Frage: „Wieso sind so viele Politiker gegen die Kennzeichnung dieses NS-Täterortes?“ Ich weiß nicht, worauf sich Ihre Annahme gründet „so viele Politiker“ seien gegen eine Hinweistafel auf dem Gelände der früheren Archivalien- und „Beutekunst“-Sammelstelle des Auswärtigen Amtes in der Hardenbergstraße 29a. Die Bundesregierung hat am 31.3.2006 auf eine Kleine Anfrage (Drs.: 16/973) dem Parlament mitgeteilt (Drs.: 16/1105), dass sich das Objekt in der Hardenbergstraße 29a nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen nicht im Bundeseigentum befindet und daher nicht in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fällt. Ich empfehle Ihnen daher, sich mit der Gedenktafelkommission des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf in Verbindung zu setzten, die, wie Sie bereits wissen, bei Vorhaben dieser Art zuständig ist.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Merkel