Frage an Petra Heß von Fabian W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Heß,
mich würde mal eine Antwort Ihrerseits brennend interessieren, weil man seitens Ihrer Partei soviel Unterschiedliches in den Medien wahrnehmen darf. Wie beurteilen sie die Ausführungen Ihres Ex-Parteichefs Oskar Lafontaines bezüglich der Hartz IV-Gesetzgebung, Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der jüngsten Ausführungen von Alt - SPD-Kanzlers Schmidts in der Presse? Ist es nicht schwer, als Politiker(in) immer die Fahne zu drehen, nur um da zu bleiben, wo man gerade ist, oder "prallt" das nach den Jahren Politikgeschäft ab, das man den , wen ich heute bejubele und umarme, morgen beschimpfe?
Wie ernst, denken Sie, kann man Politiker noch nehmen und wann haben sie das letzte Mal Ihrem Nachbarn, Schulfreund oder Bekannten objektiv "aufs Maul geschaut" ?
Mit freundlichen Grüßen
F. Wagner
Sehr geehrter Herr Wagner,
vielen Dank für Ihre Anfrage, in der Sie die Äußerungen von Oskar Lafontaine thematisieren. In den vergangenen Monaten hat sich Oskar Lafontaine häufig zu Wort gemeldet, wenn es um die von Ihnen angesprochenen Themen wie Hartz-Gesetzgebung und die Auslandseinsätze der Bundeswehr ging.
Im Kern fordert die Linkspartei mehr als 100 Milliarden Euro, um kurzfristig Steuergeschenke zu verteilen, doch diese immensen Forderungen sind, wie der Altkanzler Helmut Schmidt richtig feststellte, populistische Wahlversprechen, die mit der realen Finanzsituation nichts zu tun haben und die Wählerinnen und Wähler täuschen. Sie sprachen die Hartz-Gesetzgebung an, von deren Richtigkeit und Unumgänglichkeit ich weiterhin überzeugt bin, denn die Erfolge, die die große Koalition im Moment im Bereich des Arbeitsmarktes verzeichnen kann, sind die Früchte der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung. Für ältere Arbeitsnehmer haben wir die Laufzeit des Arbeitslosengeldes von 12 auf bis zu 24 Monate erhöht und somit zur Anpassung des Reformprozesses beigetragen. Die Versprechungen jedoch, die die Linkspartei den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Zusammenhang macht, sind überzogen und unrealistisch. Die Ausgaben für Anträge und Beschlüsse summieren sich für das laufende Jahr auf über 100 Milliarden Euro. Um sie realisieren zu können, müsste der Bundeshaushalt um über ein Drittel aufgestockt werden, was zulasten der kommenden Generationen geschähe. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aber stellen uns der Verantwortung für die Zukunft und wenden uns gegen eine Politik auf Pump, die unsere Kinder und Kindeskinder in Zukunft belastet. Denn: die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Deswegen streben einen ausgeglichenen Haushalt an. Selbst kritische Stimmen zur Verschuldungspolitik innerhalb der Linkspartei werden von der Parteiführung ignoriert oder unterdrückt.
Die Auslandseinsätze der Bundeswehr dienen wie im Kosovo, in Bosnien und Herzegowina und im Sudan der Sicherung der Stabilität und dem Schutz der Bevölkerung vor Angriffen und Gewalt. Im Rahmen der UNIFIL-Mission sichert die Bundeswehr die Küste vor dem Libanon gegen Waffenschmuggel und Drogenhandel ab. Diese wichtigen Aufgaben erfüllt die Bundeswehr im Rahmen völkerrechtlich legitimierter Einsätze. Die Linkspartei fordert jedoch, die Menschen schutzlos der Gewalt auszuliefern und sie in einer humanitären Katastrophe zurückzulassen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir uns unseren Verpflichtungen zur Entwicklungshilfe nicht entziehen. Das größte Kontingent deutscher Soldatinnen und Soldaten ist zurzeit in Afghanistan stationiert. Seit 7 Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Resolution 1386 aktiv am Aufbau von staatlichen, insbesondere rechtsstaatlichen und demokratischen, und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert. Dabei leistet die Bundeswehr einen essenziellen Beitrag sowohl für den Schutz der afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.
Ich bin davon überzeugt, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein kompletter Abzug der Truppen aus dem durch Bürgerkrieg und anschließender Talibanherrschaft zermürbten Land, wie ihn Oskar Lafontaine immer wieder fordert, niemandem helfen würde, im Gegenteil, wir würden die afghanische Bevölkerung, die auf uns setzt, im Stich lassen und die bisher erreichten Erfolge des Wiederaufbaus der Zerstörung durch die Taliban überlassen. Die Linkspartei ignoriert diese Tatsache und weigert sich, Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger in Afghanistan zu übernehmen. Schon allein wegen dieser außenpolitischen Positionen ist die Linkspartei auf Bundesebene nicht koalitionsfähig.
Ich habe Oskar Lafontaine, als er noch Parteivorsitzender der SPD war, als klugen Menschen geschätzt und respektiert. Jedoch hat er im Jahre 1999 mit seinem überstürzten Rückzug aus allen Ämtern die SPD im Stich gelassen, um einige Zeit später aus dem Hinterhalt die SPD zu kritisieren, anstatt sich der Verantwortung für eine konstruktive Auseinandersetzung zu stellen. Sein Wechsel zur Linkspartei zeigt, dass er seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen den Rücken gekehrt hat und nun Überzeugungen vertritt, die nur um den Preis des Staatsbankrotts erfüllbar sind. Nicht auf mich trifft der Vorwurf, die Fahne nach dem Wind zu drehen, zu, sondern auf ihn, der noch vor wenigen Jahren in der SPD für eine völlig andere Politik leidenschaftlich gekämpft hat. Wie schnell er seine Ansichten verändert hat, zeigt seine Darstellung der Zwangsvereinigung von KPD und SPD, die er nun, anders als noch 1996, nicht mehr als das, was sie war – eine Zwangsvereinigung zur SED –, bezeichnet, sondern als gewollte Vereinigung der SPD mit der KPD. Für Oskar Lafontaine tut es mir Leid, welchen Weg er – auch um den Preis der politischen Ernsthaftigkeit – gegangen ist.
Sie fragen, wann ich zuletzt den Menschen "aufs Maul geschaut" habe. Ich nutze den Austausch mit Nachbarn, Freunden und Bekannten sehr häufig und gern. Vor allem in meinem Wahlkreis bin ich oft unterwegs und suche das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, aber auch in Berlin empfange ich Besucherinnen und Besucher, um ihre Meinung zu hören und zu diskutieren. Diese Gespräche bereiten mir große Freude, denn ich nehme die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ernst, um mich bei meiner Arbeit für sie einsetzen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Heß