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Petra Ernstberger
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Frage von Hannes W. •

Frage an Petra Ernstberger von Hannes W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Ernstberger,

die deutsche Politik bewertet sich selbst derzeit in allen Fragen neu. Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg den Luftangriff in Kundus und die SPD ihre Haltung zum Zugangserschwerungsgesetz, im Volksmund bekannt als "Netzsperren". Jedenfalls ist dies den Aussagen ihrer Fraktionskollegen Scholz, Ehrmann und Dörmann zu entnehmen. Da einige Aussagen zumindest teilweise konträr sind, bitte ich Sie als Ansprechpartnerin in meinem Wahlkreis um Klärung und Beantwortung folgender Fragen:

1. Sie selbst haben ihr Abstimmungsverhalten auf Abgeordnetenwatch vor der Wahl verteidigt. Wie stehen Sie nun zu dem durch ihre Stimme verabschiedeten Gesetz?

2. Das SPD-Organ "Vorwärts" zitiert den stellv. Vorsitzenden ihrer Fraktion, Olaf Scholz, mit den Worten "Die SPD-Bundestagsfraktion wird einen Antrag zur Aufhebung des Gesetzes sowie der Verträge einbringen."
Unterstützen Sie diesen Vorstoß? Was macht ihn aus ihrer Sicht nötig?

und ganz besonders:

3. Statt echte Selbstkritik zu üben und den vielbeschworenen Selbstreinigungsprozess der SPD anzustoßen, hat ihr Franktionskollege Martin Dörmann die neue Position wie folgt kommentiert: "Unser Grundsatz war auch immer: Löschen statt Sperren. Mittlerweile hat das auch die Union akzeptiert." Wenn dies tatsächlich Konsens in der ihrer Fraktion war, wieso hat sie und haben Sie dann für dieses Gesetz gestimmt?
Oder hat sich die SPD-Fraktion nun doch getäuscht oder täuschen lassen bzw. einen Fehler bei der Bewertung der Ausgangslage gemacht?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wiedemann,

zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Frage bezüglich des Zugangs­erschwerungs­gesetzes, die ich Ihnen natürlich gerne beantworten möchte.

Ihre Aussage, dass die SPD ihre Haltung zum Zugangserschwerungsgesetz neu bewertet ist nur bedingt zutreffend. Richtig ist, dass sich die SPD-Bundes­tagsfraktion die Diskussion über dieses Gesetz nicht leicht gemacht, geschweige denn leichtfertig geführt hat. Für uns als Sozialdemokraten stand und steht immer der Grundsatz „Löschen statt sperren“ im Vordergrund.

Zu Ihren konkreten Fragen:

Zu 1.:
Es ist richtig, dass ich für das Zugangserschwerungsgesetz gestimmt und mein Abstimmungs­verhalten auf abgeordnetenwatch auch entsprechend begründet habe. Für mich stand dabei immer der Schutz von Kindern vor Missbrauch und der Kampf gegen die Verbreitung von kinder­pornografischem Material im Vordergrund. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben dabei in mehreren Resolutionen immer wieder konkrete Vorschläge gemacht, wie der Kampf gegen Kinderpornografie effektiver als heute geführt werden kann. Wir setzten uns beispielsweise für eine Aufstockung des Personals bei der Polizei und für eine bessere internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungs­behörden. Mir ging es bei der ganzen Diskussion aber immer auch darum, Internetuser zu schützen. Meine Zustimmung zum Zugangserschwerungsgesetz war somit nicht mit der Absicht verbunden eine Sperrinfra­struktur aufzubauen, sondern deren Kontrolle und Begrenzung. Ich wollte damit verhindern, dass die bereits zwischen BKA und vielen deutschen Internetprovidern abgeschlossenen Verträge zum Tragen kommen, welche keinerlei Schutzvorschriften für Internetuser beinhalteten. So ist es meiner Fraktion in harten Verhandlungen mit der Union gelungen, dass das Gesetz befristet wurde und eine Ausdehnung der Sperren für andere Zwecke und auf andere Inhalte ausgeschlossen worden sind. Vor dem Hintergrund der geschlossenen Verträge zwischen BKA und den Providern war das be­schlossene Gesetz zum damaligen Zeitpunkt eine notwendige Maßnahme.

Zu 2.:
Ich werde den von Olaf Scholz angekündigten Vorstoß zur Aufhebung des Gesetzes sowie der Ver­träge unterstützen. Mir ist natürlich bewusst, dass von Außenstehenden nur schwer nachzuvollziehen ist, warum man erst ein Gesetz mit beschließt, um dann hinterher die Aufhebung desselben zu fordern. Dass die SPD ihre Position zum Zugangserschwerungsgesetz neu überdacht und diskutiert hat, liegt daran, dass sich inzwischen die Rahmenbedingungen deutlich verändert haben: So liegen die geschlossenen Verträge zwischen BKA und den Internetprovidern faktisch auf Eis. Ohne diese Verträge gibt es aber auch keinen Schutzbedarf mehr. Gleichzeitig tragen wir der Tatsache Rechnung, dass viele Menschen das Gesetz - begründet oder unbegründet - als Bedrohung empfinden. Doch nicht nur die sachlichen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Auch die politische Bewertung der Situation ist heute eine völlig andere: So befinden wir uns zur Zeit in einem politischen und rechtlichen Schwebezustand, welcher nicht hinnehmbar ist. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die neue schwarz-gelbe Regierung darauf verständigt, ein Jahr lang nicht auf Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes zu sperren, bevor dann die weiteren Schritte geprüft werden sollen. Ein beschlossenes Gesetz kann allerdings nicht einfach ignoriert werden. Der einzige rechtstaatlich saubere Weg kann auch aus diesem Grund nur die Aufhebung des Gesetzes sein.

Zu 3.:
Mein Fraktionskollege Dörmann hat Recht, wenn er behauptet, dass der Grundsatz der SPD-Bundestagsfraktion „Löschen statt Sperren“ gewesen ist. Leider war dies mit im Einvernehmen mit der Union innerhalb der Großen Koalition nicht umzusetzen. Wir standen somit vor der Wahl: Wir konnten ein Gesetz verabschieden, welches nach langen und harten Verhandlungen, einerseits die Internetuser schützt und die Verträge zwischen BKA und Internetprovidern kontrolliert und auf der anderen Seite - gerade im Schwellenbereich - den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten erschwert. Oder wir hätten auf der anderen Seite keinen Kompromiss gefunden und es wäre nicht im Gesetz verankert worden, dass das Zugangserschwerungsgesetz nur befristet gilt, die BKA-Sperrlisten einer strengen Kontrolle unterliegen und dass die Sperren nicht auf andere Bereiche ausgeweitet werden dürfen. Bei allen Diskussionen haben wir immer auch die Kritik an dem Gesetz ernst genommen. So wollten wir sogar den Chaos Computer Club zur offiziellen Anhörung in den Bundestag einladen, was aber leider am Widerstand der Union gescheitert ist. Nachdem wir uns nicht mehr in einer Koalition mit CDU/CSU befinden, welche immer wieder Kompromisse erfordert und nachdem sich die Rahmenbedingungen - wie oben dargestellt - geändert haben, haben wir als SPD-Bundestagsfraktion eine Neubewertung des Gesetzes vorgenommen. Dies hat nichts damit zu tun, dass wir uns haben täuschen lassen bzw. die Ausgangslage falsch bewertet haben.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre

Petra Ernstberger, MdB