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Petra Ernstberger
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Frage von Alexander F. •

Frage an Petra Ernstberger von Alexander F. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrte Frau Ernstberger,
bitte erläutern Sie mir Ihre Gründe warum ich SPD wählen soll, schließlich hat sich in der Amtszeit von Herrn Schröder nichts zum besseren gewendet, ich denke da an die Halbierung der Arbeitslosenzahl was uns versprochen wurde, nichts geschieht die Firmen wandern meist in Billiglohnländer ab.
Warum möchte die SPD die Türkei in die EU aufnehmen?? Was hat das für Vorteile bzw. Nachteile für Deutschland??

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Franz,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte:

Dass sich in der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder nichts zum besseren gewendet hat, kann ich so nicht bestätigen. Zwar sind wir von unserem Ziel, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken, noch ein ganzes Stück entfernt - keine Frage, und da gibt es auch nichts schön zu reden. Aber es sind - trotz aller Blockadepolitik der Union - entscheidende Weichen gestellt worden, um unser Land endlich zu modernisieren und die Versäumnisse derer aufzuarbeiten, die jetzt aus der Deckung der Opposition mit fragwürdigen Instrumenten nach der Macht streben. Die Union hat viele wichtige Neuerungen mit ihrer Mehrheit im Bundesrat aus reiner Machttaktik verhindert. Dass es mittlerweile trotz dieser unkonstruktiven Opposition Schritt für Schritt aufwärts geht, möchte ich Ihnen anhand einiger Fakten darlegen (Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, Fachministerien)

Durchschnittliches Wachstum:
1992 - 1998 Kohl: 1,57 % pro Jahr
1999 - 2004 Schröder: 1,66 % pro Jahr, das bedeutet etwas stärkeres Wachstum

Anstieg Lohnstückkosten je Stunde:
1991-1998 Kohl: 1,8 % pro Jahr
1999-2004 Schröder: 0,4 % pro Jahr, das bedeutet geringerer Lohnstückkostenanstieg = bessere Wettbewerbsfähigkeit

Anzahl Selbstständige:
1998 Kohl: 3,272 Mio.
2004 Schröder: 3,563 Mio., das bedeutet 8,9 % mehr Selbstständige

Anzahl Unternehmen im Handwerk:
Ende 1998 Kohl: 850.586
Ende 2004 Schröder: 887.300, das bedeutet 4,3 % mehr Unternehmen im Handwerk

Anteil der Selbstständigen an den Erwerbstätigen:
1998 Kohl: 9,6 %
2004 Schröder: 11,2 %, das bedeutet mehr Selbstständige

Export von Waren und Dienstleistungen:
1998 Kohl: 563 Mrd. Euro
2004 Schröder: 839 Mrd. Euro, das bedeutet 49 % mehr Exportvolumen

Anzahl Erwerbstätige im Durchschnitt:
1998 Kohl: 37,91 Mio.
2004 Schröder: 38,86 Mio., das bedeutet 950.000 Erwerbstätige mehr

Ältere Arbeitslose (ab 50 Jahre) im Durchschnitt:
1998 Kohl: 1,36 Mio.
2004 Schröder: 1,08 Mio, das bedeutet weniger ältere Arbeitslose

Ausgaben für Bildung und Forschung:
1998 Kohl: 7,26 Mrd. Euro
2004 Schröder: 9,9 Mrd. Euro, das bedeutet mehr Investitionen in Köpfe
und Ideen

Entwicklung der Nettorealeinkommen pro Arbeitnehmer:
1992-1998 Kohl: - 4,1 %
1999-2004 Schröder: + 2,7 %, das bedeutet Kaufkraftgewinn

Volkseinkommen je Einwohner:
1998 Kohl: 17.873 Euro
2004 Schröder: 19.831 Euro, das bedeutet höheres Volkseinkommen pro Kopf

Inflation im Durschnitt:
1991-1998 Kohl: 2,8 % pro Jahr
1999-2004 Schröder: 1,4 % pro Jahr, das bedeutet stabilere Verbraucherpreise

Sehr geehrter Herr Franz,

ich möchte Sie nicht weiter mit Zahlen langweilen, aber bei genauerem Hinsehen kann man schon feststellen, dass es in vielen Bereichen unter Kanzler Schröder besser geworden ist.
Wir haben aktuell ca. 4,7 Millionen Arbeitslose, davon ca. 300 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger, die unter Kohl in der Sackgasse waren und jetzt in die Vermittlung mit aufgenommen wurden. Die Union hat alle Reformen am Arbeitsmarkt im Bundesrat mitbeschlossen und sich in die Büsche geschlagen, als es in der Öffentlichkeit schwierig wurde.
Das große Problem der hohen Arbeitslosigkeit bedarf aber sicherlich weiterer Anstrengungen:
Wir sind Exportweltmeister, deshalb fördern wir noch stärker Forschung und Entwicklung von Hochleistungsprodukten.
Wir haben mit unserer Gesetzgebung die Lohnnebenkosten gesenkt (Kranken- und Rentenversicherungen) und so für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesorgt.
Wir lehnen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, das ist Gift für die Binnenkonjunktur, die wir dringend für Wachstum ankurbeln müssen. Wir stehen für den Erhalt der Sozialen Marktwirtschaft und sind gegen Kopfpauschalen oder ungerechte Einheitssteuern. Wir müssen die Jugendarbeitslosigkeit noch effektiver bekämpfen. Wir müssen ältere Arbeitssuchende gezielt durch aktive Arbeitsmarktpolitik fördern.
Wir wollen die Bürgerversicherung, um alle in die Finanzierung der
Gesundheitsvorsorge einzubeziehen.
Wir wollen die Pflegeversicherung reformieren, um sie auch in Zukunft bezahlbar und leistungsfähig zu machen.
Wir garantieren Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Mitbestimmung und die Tarifautonomie.
Unser Land ist wettbewerbsfähig, die Rahmenbedingungen für Investitionen sind gut - doch auch die Unternehmen sind jetzt in der Pflicht. Wir wollen aber auch, dass unser Land sozial bleibt und die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Solidarität erhalten bleiben und nicht auf dem Altar der Globalisierung geopfert werden.

Zum Thema Türkei möchte ich Ihnen antworten, dass die SPD ein verlässlicher Partner der Türkei ist und bleibt und zu den Zusagen steht, die diesem Land von allen Staats- und Regierungschefs in der EU in der Vergangenheit und Gegenwart gemacht wurden und werden: Die Beitrittsverhandlungen beginnen demnächst. Es wird ein sehr langer Verhandlungsprozess (15 Jahre) werden, an dessen Ende der Beitritt stehen _kann_.
Das hängt von den Entwicklungen ab, die sich in der Türkei vollziehen.
Jetzt aber der Türkei zu sagen, wir wollen auf keinen Fall die Verhandlungen abwarten und bereits jetzt nur eine so genannte priviligierte Partnerschaft in Aussicht stellen, ist allzu kurzsichtig, ein Wortbruch und verkennt die Bedeutung der möglichen Integration dieses Staates in die EU.
Diese Bedeutung ergibt sich aus verschiedenen Aspekten. Gelingt es der EU, einen islamisch geprägten Staat (die Türkei hat eine laizistische Staatsform) zu integrieren, wird dies eine Signalwirkung für die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens haben. Die Türkei ist von großer strategischer Bedeutung für die Sicherheit Europas. Die Polemik einiger Unionspolitiker, wonach in Anatolien bereits Millionen von Menschen auf gepackten Koffern sitzen, um unseren Arbeitsmarkt zu überschwemmen, ist blanker Unsinn. Bereits bei der Integration der osteuropäischen Staaten wurden Übergangsregelungen geschaffen, die unseren Arbeitsmarkt über Jahre hinaus schützen. Bei einem möglichen Beitritt der Türkei sind solche Übergangsregelungen ebenfalls möglich.
Fazit: Der Beitritt der Türkei als Vollmitglied der EU setzt harte Verhandlungen voraus. Ich habe die Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten beobachtet und kann Ihnen versichern, dass es keinen Automatismus geben wird - es muss sich in der Türkei noch viel tun, um der EU beitreten zu können. Aber die Option muss aus meiner Sicht offen gehalten werden.

Sehr geehrter Herr Franz,

ich hoffe, Ihre Fragen ausreichend beantworten zu können. Gerne stehe ich Ihnen zur Verfügung, wenn Sie weitere Fragen, Anregungen oder Kritik haben.
E-Mail: petra.ernstberger@bundestag.de

Mit freundlichen Grüßen

Petra Ernstberger, MdB