Frage an Peter Tauber von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Dr. Tauber,
vielen Dank für Ihre am 08. Juli 2020 erfolgte Antwort auf meine am 09. Juni 2020 gestellte Anfrage betreffs der Attacke auf Einsatzkräfte im hessischen Dietzenbach.
Zitat aus Ihrer Antwort:
"Übergriffe auf Polizei und Sicherheitskräfte wie in Dietzenbach oder jüngst in Stuttgart sind absolut inakzeptabel und auf das Schärfste zu verurteilen. Polizistinnen und Polizisten sowie Rettungskräfte halten für die Sicherheit der Menschen in unserem Land jeden Tag den Kopf hin. Dass Gewalttäter wie in Dietzenbach unsere Einsatzkräfte in einen Hinterhalt locken, um dann massive Gewalt gegen sie auszuüben, dürfen wir als Staat und Gesellschaft nicht hinnehmen.
Leider sind die Taten von Dietzenbach und Stuttgart Ausdruck eines besorgniserregenden Trends hin zu stetig ansteigender Gewalt gegenüber Polizistinnen und Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften. Allein in Hessen wurden im Jahr 2019 mehr als 4.000 Polizistinnen und Polizisten Opfer von Übergriffen. Angesichts dieser Zunahme von Angriffen auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte hat die Unionsfraktion sich dem Thema im Bundestag angenommen. Um deutlich zu machen, dass solche Taten keine Bagatelldelikte wurden 2017 auf Initiative des Hessischen Innenministers Peter Beuth die Strafvorschriften zum Schutz von Polizeibeamten und Rettungskräften verschärft. So wurde ein neuer Straftatbestand des „Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“ geschaffen. Gemäß Paragrafen §114 sind Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Zudem werden tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte schon bei allgemeinen Diensthandlungen wie zum Beispiel einer Unfallaufnahme gesondert unter Strafe gestellt.
Mit Blick auf die jüngsten Vorfälle in Stuttgart und Dietzenbach wollen die Innenminister des Saarlandes und Hessen sich im Bundesrat für eine erneute Verschärfung des Strafmaßes einsetzen. Mit einer Anhebung der Mindeststrafe auf sechs Monate würde sichergestellt, dass Verurteilungen tatsächlich zu Haftstrafen führen und nicht etwa in Geldstrafen umgewandelt werden können. Um den Schutz von Polizistinnen und Polizisten noch besser vor Übergriffen zu schützen beschafft unsere Hessische Polizei außerdem 400 weitere sogenannte Bodycams, die erfahrungsgemäß zu einer Deeskalation von Kontrollmaßnahmen beitragen und potenzielle Gewalttäter abschrecken."
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/peter-tauber/fragen-antworten/518140
Ich nehme Ihre Überlegungen interessiert zur Kenntnis, erkenne aber 2 offene Momente welche Sie in Ihrer Antwort nicht behandeln:
Moment 1 polizeiliche Ermittlung
Verschärfte Strafvorschriften zum Schutz von Polizeibeamten und Rettungskräften machen m.E. nur dann Sinn, wenn Menschen, die gegenüber Polizeibeamten und Rettungskräften gewalttätig vorgegangen sind, ergriffen und deren Tatbeteiligung rechtsstaatlich einwandfrei nach gewiesen werden kann.
Frage 1.1:
Wie werten Sie diese Sichtweise?
Die m.E. eher sparsam gehaltenen Meldungen betreffs der polizeilichen Ermittlungen bezogen auf die benannten Übergriffe auf Polizei und Sicherheitskräfte in Dietzenbach lassen mich 2 Monate nach dem Vorfall nicht erkennen, dass die polizeilichen Ermittlungen zu belastbaren Ergebnissen geführt hätten, welche einer soliden strafrechtlichen Beweisaufnahme zuarbeiten könnten.
Die aktuellste meiner Recherche zugängliche Behandlung im Netz stammt von der Offenbach-Post und wurde durch ein am 18.06.2020 erfolgtes Update aktualisiert. Ein Tag vorher erfolgte dieses Update, Zitat:
[QUOTE]Update vom Mittwoch, 17.06.2020, (...) 16.32 Uhr: Nach den Angriffen auf Einsatzkräfte in Dietzenbach hat sich der Bürgermeister der Stadt Jürgen Rogg (parteilos) geäußert. Er ist sich sicher: „Der überwiegende Teil der Menschen dort ist genervt von den Leuten, die dort Unruhe stiften.“ Seit den Angriffen sei wieder Ruhe im Spessartviertel eingekehrt.
Dass diese Ruhe in Dietzenbach Bestand hat, darum will sich Rogg jetzt kümmern. So sollen Angebote wie Boxtraining und Hausaufgabenhilfe wieder verfügbar gemacht werden. Auch sollen Streetworker zum Einsatz kommen.
Ermittlungen zu Angriffen in Dietzenbach bisher ohne Erfolg[/QUOTE].
Auch in der eigentlichen Tatnacht am frühen Morgen des 29.05.2020 scheint es nicht zu einer Ergreifung bzw. erkennungsdienstlichen Behandlung der an der Attacke auf Einsatzkräfte in Dietzenbach beteiligten Personen gekommen zu sein, Zitat FAZ:
"Als die Helfer am frühen Freitagmorgen eintrafen, wurden sie von etwa 50 Männern mit Steinen beworfen. Verletzt wurde nach ersten Erkenntnissen niemand. Es sei ein Schaden in Höhe von mindestens 150.000 Euro entstanden, hieß es am Freitag. Ein Neunzehnjähriger wurde vorläufig festgenommen, später aber wieder entlassen."
Sie schreiben in Ihrer Antwort, dass Staat und Gesellschaft nicht hinnehmen dürfen, dass Gewalttäter Einsatzkräfte in einen Hinterhalt locken um dann massive Gewalt gegen diese Einsatzkräfte auszuüben.
Frage 1.2:
a) Wie werten Sie den bisherigen Verlauf der rechtsstaatlichen Behandlung der benannten Attacke auf Einsatzkräfte im hessischen Dietzenbach?
b) Glauben Sie, dass dieser Verlauf darauf schließen lässt, dass Staat und Gesellschaft wirklich nicht hinnehmen, dass Gewalttäter Einsatzkräfte in einen Hinterhalt locken um dann massive Gewalt gegen diese auszuüben?
Moment 2 Ursache/n solcher Ausschreitungen
Ich möchte zunächst 2 Thesen voranstellen:
These 1: Gewalt gleich welcher Form hat in aller Regel Ursachen.
These 2: Um Gewalt gleich welcher Form zu unterbinden bzw. präventiv zu verhindern, macht es Sinn nach den real bestehenden oder potenziell möglichen Ursachen zu forschen, die Gewalt bedingen bzw. bedingen können.
Frage 2.1:
Wie werten Sie Herr Dr. Tauber diese beiden Thesen?
Da ich in Ihrer Antwort keine Überlegungen betreffs der Ursachenforschung von Gewalt bzw. gewalttätig verlaufenden Konflikten erkennen kann (danach hatte ich auch nicht explizit gefragt), möchte ich diese Frage neu aufwerfen:
Frage 2.2:
Sollte eine Behandlung der etwaigen Ursachen der in Dietzenbach ergangenen Rechtsverletzung auch auf der politischen Agenda stehen?
Frage 2.3:
Im Fall, dass Sie Frage 2.2 bejahen würden, hätten Sie eine Idee wie eine solche politische Behandlung etwaiger Ursachen aussehen bzw. organisiert werden könnte?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Schüller
Sehr geehrter Herr Schüller,
vielen Dank für Ihre Anschlussfragen. Bitte verstehen Sie, dass ich mit Blick auf laufende Ermittlungen keine Aussage oder gar Bewertung treffen kann und möchte. Ich bin mir jedoch sicher, dass die Ermittlungsbehörden in den verschiedenen Bundesländern ihrer Arbeit mit aller notwendigen Gründlichkeit nachkommen und mit Hochdruck an der Aufklärung der Umstände arbeiten.
Zu Ihrer anschließenden Frage zur Ablehnung von Gewalt gegen Einsatzkräfte seitens Staat und Gesellschaft möchte ich folgendes anmerken: Die Welle an Empörung, die nach den Vorfällen in Dietzenbach und später Stuttgart durch unser Land ging, zeigt doch ganz deutlich, dass wir weder als politische Entscheidungsträgerinnen und -träger noch als Bürgerinnen und Bürger gewillt sind, solche Straftaten gegenüber unseren Vollzugsbehörden zu akzeptieren. Ein solches Verhalten ist und bleibt inakzeptabel und verlangt nach der vollen Härte unseres Rechtsstaats.
Mit Blick auf die Motive hinter den Angriffen auf unsere Polizei findet auch im Rahmen der juristischen Aufklärung der Vorfälle eine Ursachenforschung statt. Das halte ich für wichtig, um Muster etwaiger Mobilisierung - gerade auch im digitalen Raum - zu erkennen und frühzeitig zu durchbrechen. Vor politischen Reaktionen stehen jedoch in erster Linie gründliche Ermittlungen durch die Organe unseres Rechtsstaates, deren Ergebnis es abzuwarten gilt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tauber