Frage an Peter Tauber von Robert O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Dr. Tauber,
wie Sie bin ich Historiker. Sie können daher aktuelle Entwicklungen historisch einordnen und verfügen über Methoden, in begrenztem Ausmaß Entwicklungen abschätzen zu können. Die Idee einer Vereinigten Staaten von Europa ist verlockend. Die Analogie zur Entstehung der USA liegt auf der Hand. Sie sind Mitglied der Europa-Union Deutschland, einer Vereinigung, die sich die Schaffung eines föderalen Staates Europa auf die Fahnen schreibt. Dazu habe ich einige Fragen:
a) Welche Schritte fehlen noch, um einen föderalen Staat Europa zu schaffen?
b) Welche Bedenken haben Sie dabei? Gerade die Geschichte der USA im 19. Jh. zeugt davon, zu welchen Verwerfungen Konflikte zwischen den Bundesstaaten führen können, wenn einzelne Staaten glauben, Souveränitätsrechte von einer Zentralregierung oder der Mehrheit der Bundesstaaten beschnitten zu sehen. Was könnte getan werden, um solchen Verwerfungen zu begegnen?
c) Ich nehme an, dass der föderale Staat Europa für einen großen Teil der inneren, äußeren, verteidigungspolitischen und wirtschaftlichen Fragen zuständig sein würde. Welche Kompetenzen verblieben dann bei den einzelnen Bundesstaaten?
d) Würde dieses Europa auch Nuklearmacht werden, um sich verteidigen oder Feinde abschrecken zu können? Momentan ist nur Frankreich Nuklearmacht. Würde Frankreich seinen nuklearen Schirm auch über den Rest Europas spannen, bildlich gesprochen?
e) Welchen Sinn hätte die NATO noch, wenn ein selbstbestimmtes, strategisch autonomes, autarkes und nuklear bewaffnetes Europa vorhanden wäre? Wie würde sich also das Verhältnis zu den USA gestalten?
f) Wenn Sie ins Jahr 2050 blicken, von welchen Staaten geht die größte Gefahr für die Sicherheit der Welt aus?
Ich würde mich freuen, wenn Sie vom üblichen Wortlaut von Medienberichten Abstand nehmen könnten ("EU-Verteidigungsunion als Pfeiler der NATO", Art. 5 EUV). Mir geht es um Ihre Vision und die konkrete Umsetzung.
Herzlichen Dank!
Mit freundlichem Gruß
R. O.
Sehr geehrter O.,
vielen Dank für Ihre Frage zu einem Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich sehe keine Alternative zur multilateralen Ordnung, in der Deutschland über EU, NATO und UN eingebunden ist. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass Annegret Kramp-Karrenbauer einen Vorschlag für die Errichtung einer multilateralen Schutzzone in Syrien erstellt hat, der eine deutliche europäische Handschrift trägt.
Wir Europäer dürfen nicht länger nur die Stellung bloß defensiv halten, sondern müssen das Leben der über 500 Millionen Menschen in unserer Gemeinschaft aktiv gestalten. Isoliertes Handeln lähmt unsere gemeinsamen, europäischen Entscheidungsfindungsprozesse. Deshalb streben wir die Weiterentwicklung Europas zu einem föderalen Friedensprojekt an, das Gemeinsames über Trennendes stellt: Etwa durch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Justiz und Zoll in der EU, ein europäisches Ein- und Ausreiseregister, die Schaffung eines Europäischen Verteidigungsfonds und einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik.
Es ist meine tiefste Überzeugung, dass Europa geschlossen nach Außen auftreten muss, um sich vor Ort mehr engagieren zu können. Das aktuelle Regelwerk der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ist äußert anfällig für Blockaden und Vetos einzelner Staaten. Gegenläufige Interessen sorgen zudem dafür, dass nahezu alle politischen Konflikte fast zwangsläufig auch zu Friktionen innerhalb der EU führen. Es liegt nun an uns, gemeinsam mit Frankreich die entscheidenden Impulse einzubringen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen. Dies kann beispielsweise durch die Schaffung eines Europäischen Sicherheitsrates oder der Reform des Einstimmigkeitsprinzips geschehen. Gleichzeitig muss stets auch der interne Zusammenhalt in der Europäischen Union gewahrt werden, um der Gefahr verschärfter Dissonanzen vorzubeugen.
Meine Vorstellung eines föderalen Europas folgt weiterhin dem subsidiären Prinzip: Dinge, die national und lokal besser geregelt werden, sollen auch weiterhin dort geregelt werden. Doch die Fähigkeit, selbst außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, werden wir jedoch nur gemeinsam mit unseren europäischen Partnern erwerben können.
Ein Europa, das strategisch autonom handelt, ist keine Absage an essentielle Allianzen wie die NATO oder enge Partnerschaften zu anderen Wertegemeinschaften. So wird auch die aktuelle Ausgestaltung der nuklearen Teilhabe von einer Reform der EU unberührt bleiben. Vielmehr verstehe ich es als Akt der europäischen Selbstermächtigung, in Zukunft eigenständig und aus freiem Ermessen an der Seite unserer Verbündeten in der Europäischen Union, in der NATO oder in den Gremien der Vereinten Nationen stehen zu können. Europa wird auf lange Sicht nicht in der Lage sein, ohne NATO und USA die Sicherheit und Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu garantieren.
Die Europäische Union ist die Herzkammer unseres Wohlstands, unserer Sicherheit und unseres Friedens. Nur durch strukturelle Reformen und europäischen Gestaltungswillen werden wir unsere Freiheiten, die unseren Lebensstil ausmachen, nach innen und nach außen verteidigen können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tauber