Frage an Peter Tauber von Peter J. bezüglich Gesundheit
heute ist ja wohl die Debatte zur Beschneidung im Bundestag. In diesem Sinn würde mich sehr interessieren, wie Deine Meinung zum Thema Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Kindern einzuordnen ist.
In den Medien wird offensichtlich durch extreme Lobbyarbeit von einem hohen Zustimmungsgrad unter den Abgeordneten zum geplanten Gesetzesvorhaben gesprochen. Werden Sie sich dieser Meinung anschließen?
Bist Du auch der Meinung, dass männliche Säuglinge und Kleinkinder auf Wunsch der Eltern beschnitten werden können?
Für mich ist nicht erklärlich, dass ein Klaps auf den Po eines Kindes strafbar sein soll, während ein so extremer Eingriff wie die Beschneidung ohne medizinische Indikation, wenn er unter Glaubensgesichtspunktet betrachtet wird, straffrei sein soll.
Für mich handelt es sich in beiden Fällen um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.
Ich bin gespannt auf Deine Antwort.
Sehr geehrter Herr Jacubowsky,
vielen Dank für Ihre Frage zur Frage der Zulässigkeit der Beschneidung von minderjährigen Jungen. Sie üben darin nachdrücklich Kritik an dem am 12.12.2012 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetz, welches eine solche Beschneidung auf gesetzlicher Grundlage auch künftig zulässt.
Kaum ein anderes Thema wird derzeit in der Öffentlichkeit so breit und so kontrovers diskutiert. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, mit dem wohl erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Strafgericht die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Es handelt sich zwar um die Entscheidung eines Einzelfalls, die keine Bindungswirkung für andere Gerichte hat. Dennoch hat das rechtskräftige Urteil die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Deutschland tief verunsichert. Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen möchten und Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollen, befürchten nun, dass sie sich damit strafbar machen könnten.
Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen jedoch von grundlegender Bedeutung. Sie fühlen sich durch das Urteil ausgegrenzt und fürchten ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.
Die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung muss deshalb geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es ist daher Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Der Deutsche Bundestag hat deshalb am 19. Juli 2012 in einem fraktionsübergreifenden Beschluss die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Pflege und Erziehung miteinander in Einklang bringt. Das nun verabschiedete Gesetz hat nun für alle Beteiligten Rechtssicherheit geschaffen und stellt sicher, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich rechtlich zulässig ist.
Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand und steht dabei stets das Wohl des Kindes.
Dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Grundrechte der Eltern auf Kindeserziehung und Religionsausübungsfreiheit sind im Sinne des Kindeswohls angemessen auszugleichen.
Schon das Landgericht Köln selbst hat in seiner Entscheidung betont, dass die Frage nach der Rechtswidrigkeit der Beschneidung von Jungen „nicht unvertretbar“ auch anders beantwortet werden kann, als das Gericht dies getan hat.
In nahezu allen Ländern der Welt und insbesondere auch in unserem Kulturraum wird diese Frage anders beantwortet. Dort ist die Beschneidung minderjähriger Jungen erlaubt. Auch in Deutschland hat das Amtsgericht Köln als Vorinstanz und haben Zivil- und Verwaltungsgerichte anders geurteilt. So hat etwa das Oberverwaltungsgericht Lüneburg einen Anspruch muslimischer Eltern gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme der medizinischen Kosten der Beschneidung ihres Sohnes bejaht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 23.07.2002). Das OVG hat damit zugleich die Rechtmäßigkeit der Beschneidung bestätigt.
Die Beschneidung von Jungen ist als Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und natürlich keine Bagatelle. Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass die Weltgesundheitsorganisation den Eingriff bei Männern zumindest regional als eine medizinisch und hygienisch sinnvolle Vorsorgemaßnahme sogar empfiehlt. Schätzungen zufolge ist etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von Jungen gilt als der weltweit am häufigsten durchgeführte kinderchirurgische Eingriff; insbesondere in den USA wird er zur Förderung der Gesundheit häufig vorgenommen.
Wir sind der Auffassung, dass Eltern all dies berücksichtigen dürfen, wenn sie entscheiden, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient.
Denn es sind die Eltern, die – in den Grenzen unserer Rechtsordnung – den Inhalt des Kindeswohls festlegen. Sie dürfen sich bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist. Das Recht von Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen, ist grundgesetzlich geschützt. Und die Beschneidung von Jungen ist, gerade auch mit Blick auf die Situation über Deutschland hinaus, medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.
Die Beschneidung von Jungen mit Einwilligung ihrer Eltern soll daher auch künftig zulässig sein, wenn gewährleistet ist, dass dabei alle modernen medizinischen Standards eingehalten werden.
Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen. Das wollen wir sicherstellen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tauber, MdB