Frage an Peter Struck von Dr. Martin S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Struck,
am 22. April 2008 stellten die Fraktionen der grossen Koalition, gezeichnet u.a. von Ihnen, einen Antrag mit dem Titel "Das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit weltweit durchsetzen und der Internetzensur entgegentreten" (Drucksache 16/887 1).
Darin heisst es woertlich:
"In der Mehrzahl der Staaten dient die Zensur der Machtsicherung der Regierenden. Oppositionelle und kritische Stimmen, die mehr Demokratie in ihrem Land fordern oder korruptes Verhalten der Machthabenden thematisieren, sollen unterdrueckt und die Verbreitung unliebsamer Informationen verhindert werden."
Abschliessend heisst es darin:
"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, [...]
im Rahmen aller genannten Forderungen auch und insbesondere die Zensur im Internet zu thematisieren und dieser entgegenzutreten."
Wie vertraegt sich die gerade stattfindenen Gesetzesinitiative zur Internetzensur mit diesem Antrag?
Ich weiss, dass Sie den Gesetzenentwurf "Gesetz zur Bekaempfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen" nennen, aber es ist eine Internetzensur, egal wie es genannt wird. Insbesondere da u.a. das BKA selbst inzwischen eingestehen musste, dass die geplante Sperrung von Internetseiten die Verbreitung von Kinderpornografie ueber das Internet nicht beeintraechtigen wird, stehen wohl eher kommerzielle Interessen von Konzernen und Verbaenden hinter der Gesetzesinitiative, wie Frankreich uns sehr deutlich vor Augen fuehrt.
Mit freundlichen Gruessen,
Dr. Martin Stuhlinger
Sehr geehrter Herr Dr. Stuhlinger,
ich bin überzeugt, wir alle wollen einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung. Die SPD-Fraktion hat dazu mit einem Anfang Mai beschlossenen 10-Punkte-Plan ein umfassendes Konzept mit konkreten zusätzlichen Maßnahmen vorgelegt. Eine unserer Kernforderungen lautet, dass die Strafverfolgungsbehörden dauerhaft personell und technisch gut ausgestattet sind und die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden weiter gestärkt wird.
In den vergangenen Jahren haben wir zudem bereits das Herstellen, die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie lückenlos unter Strafe gestellt. Der Kampf gegen Kinderpornografie hat viele Facetten, die sich ergänzen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Unabhängig von der Frage, ob der Missbrauch von Kindern selbst zugenommen hat, stellt sich zunehmend das Problem der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Internet. Dies liegt an den Besonderheiten des Internets, in dem auch rechtswidrige Inhalte schnell verbreitet und anonym sowie ohne soziale Kontrolle konsumiert werden können.
Die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ist deshalb ein wichtiges Thema. Das dürfte weitgehend unbestritten sein. Auch ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Ein rechtswidriges Verhalten dort kann selbstverständlich strafbar sein oder zivilrechtlich verfolgt werden. Fraglich ist letztlich, mit welchen Maßnahmen die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet angemessen, rechtsstaatlich sauber und möglichst effektiv verhindert oder zumindest erschwert werden kann.
Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornografie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internetprovidern heruntergenommen. Ein solcher direkter Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Nur deshalb stellt sich die Frage nach Zugangssperren. Es geht hierbei aber nicht um eine Internetzensur – es geht um die Bekämpfung krimineller Handlungen in einem ganz besonders gelagerten Fall.
Mit dem Gesetz wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten zu erschweren. Uns ist bekannt, dass versierte Nutzer diese Sperrung technisch umgehen können. Es kommt aber auch darauf an, die Hemmschwelle, die in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen. Dem dient neben der Sperrung einzelner Seiten die Umleitung auf eine Stoppseite mit entsprechenden Informationen.
Mit dem nun beschlossenen Gesetz wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf
ganz wesentlich überarbeitet und verbessert, wobei die
SPD-Bundestagsfraktion ihre wichtigsten Änderungsvorschläge in den
Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchsetzen konnte. Wir haben damit
auch die wesentlichen Kritikpunkte, die sich aus der Bundestagsanhörung
und der Stellungnahme des Bundesrates ergeben haben, positiv aufgegriffen.
Der endgültige Beschluss hat insbesondere folgende Änderungen gebracht.
1. *„Löschen vor Sperren“*:
Die Regelung kodifiziert den Grundsatz „Löschen vor Sperren“. Danach kommt eine Sperrung durch die nicht verantwortlichen Internet-Zugangsvermittler nur dann in Betracht, wenn eine Verhinderung der Verbreitung der kinderpornografischen Inhalte durch Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nicht möglich oder nicht in angemessener Zeit Erfolg versprechend ist.
2. *Kontrolle der BKA-Liste*:
Die Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich zu bewerten, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des Paragraphen 1 Satz 1 erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das Bundeskriminalamt den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen. Das Expertengremium wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit für die Dauer der Geltung des Gesetzes (31. Dezember 2012) bestellt.
3. *Datenschutz*:
Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete Nutzer/innen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern mehr vorgesehen.
4. *Spezialgesetzliche Regelung*:
Die im Gesetzentwurf bisher für das Telemediengesetz vorgeschlagenen Regelungen zur Zugangserschwerung werden in eine spezialgesetzliche Regelung überführt. Ausschließliches Ziel des Gesetzes ist die Erschwerung des Internetzugangs zu kinderpornografischen Inhalten. Mit dem neuen Regelungsstandort in einem besonderen Gesetz soll noch deutlicher werden, dass eine Zugangserschwerung auf weitere Inhalte ausgeschlossen bleiben soll. Der Änderungsantrag geht damit auf die vielfach geäußerten Befürchtungen ein, die Zugangserschwerung könnte mittelfristig weiter ausgedehnt werden.
5. *Befristung*:
Die Geltungsdauer des Gesetzes ist bis zum 31.12.2012 befristet. Auf der Grundlage der nach zwei Jahren vorzunehmenden Evaluierung wird der Gesetzgeber in die Lage versetzt, zu prüfen und zu bewerten, ob die Maßnahme erfolgreich war, um endgültig zu entscheiden.
Mit der neuen gesetzlichen Regelung bekämpfen wir nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet, sondern schützen zugleich Internetnutzer, sichern rechtsstaatliche Grundsätze und ermöglichen ein transparentes Verfahren.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Struck MdB