Frage an Peter Stein von Reiner M. S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Stein,
wie ist Ihre Position zu der zur Zeit ablaufenden Diskussion und dem damit verbundenen Gesetzgebungsprozess im Bundestag, der das Ziel hat, in Zukunft die Beihilfe zum Suizid durch Ärzte oder gemeinnützige Sterbehilfevereine unter Strafe zu stellen, und wofür werden Sie ihre Stimme geben ?
Hierzu gibt es im Bundestag bisher nach meiner Information nur eine einzige echte Gegenposition zu diesem Ansinnen (Renate Künast, Dr. Petra Sitte und Kai Gehring “Mehr Fürsorge statt mehr Strafrecht: Gegen eine Strafbarkeit der Beihilfe beim Suizid“). Verschiedene Befragungen haben ergeben, dass 70 bis 80 Prozent der Bürger Deutschlands die weitere Ermöglichung der „Letzten Hilfe“ befürworten. Die bestehenden humanistischen Positionen hierzu sind zu ersehen u.a. aus den folgenden Webseiten:
http://letzte-hilfe.de/
http://www.mein-ende-gehoert-mir.de/
http://humanismus.de/aktuelles/ende-weges
Haben sie die Absicht, sich bei den Diskussionen im Bundestag und den damit verbundenen Abstimmungen für die Interessen aller Betroffenen zu positionieren und zu verhindern, dass ein ärztlich begleiteter Suizid und die Beihilfe zum Suizid in den Fällen, wo der Rest des Lebens für die Betroffenen keinen Wert, sondern nur noch eine Qual darstellt, künftig unter Strafe gestellt wird ?
Mit freundlichen Grüßen
Reiner M. Saß
Sehr geehrter Herr Saß,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 01.03.2015 und Ihr Interesse für meine Position bezüglich eines strafrechtlichen Verbots der Suizidbeihilfe.
Nach aktueller Gesetzeslage sind die Tötung eines anderen Menschen sowie die Anstiftung oder Beihilfe dazu strafbar. Ebenfalls ist die sogenannte „aktive Sterbehilfe“ als „Tötung auf Verlangen“ gemäß § 216 StGB strafbar. Straffrei sind hingegen die Selbsttötung und die Beihilfe zum Suizid. In Deutschland ist es daher bislang nicht strafbar, einem anderen zu dessen freiverantwortlicher und ernstlich gewollter Selbsttötung Hilfe zu leisten.
In der vergangenen Wahlperiode hatte das Bundesministerium für Justiz einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem Ziel, die „gewerbsmäßige“ Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Dieser sowie verschiedene Vorschläge für eine gesetzliche Regelung aus den Bundesländern wurden äußerst kontrovers diskutiert.
Hospize, Ärzte, Kirchen und andere haben sich dabei vehement dafür ausgesprochen, Formen der organisierten Suizidhilfe eigenständig unter Strafe zu stellen.
Zu einer gesetzlichen Regelung ist es indessen bis zum Ende der letzten Wahlperiode nicht gekommen. Der Gesetzentwurf ist damit der Diskontinuität unterfallen.
Derzeit wird die Diskussion auch im Deutschen Bundestag wieder aufgenommen und eine gesetzliche Regelung vorbereitet. Diese bezieht sich jedoch auf die „gewerbsmäßige“ Beihilfe zum Suizid und adressiert damit durchaus andere Aspekte, als der von Ihnen benannte ärztliche Beistand.
Momentan bestehen drei überfraktionelle Initiativen, die von einer Liberalisierung, über einen Mittelweg bis zum strikten Verbot die Positionen abdecken. Diese Vorhaben sind jedoch aktuell nicht abschließend formuliert, so dass ich von einer Festlegung bis jetzt absehe. Meine Entscheidung kann erst aufgrund der jeweiligen endgültigen Fassungen fallen.
Gleichwohl möchte ich Ihnen meine Ansichten zur organisierten Form der Suizidbeihilfe darlegen. Dabei möchte ich zuerst allgemein etwas zur Sterbehilfe sagen und muss zuerst gleich einschränken, dass mein Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Ich habe mir viele Gedanken zu dieser Frage gemacht. Das Thema ist hochkomplex. Klar für mich ist, dass ich keine der Extrempositionen unterstütze. So möchte ich weder eine völlige Freigabe noch ein jeden Aspekt umfassendes Verbot. Wichtig für mich ist, dass die Entscheidung psychologisch und medizinisch begleitet wird; also eine entsprechende vorherige Beratung stattgefunden hat. Dabei sollten mindestens drei Ärzte beziehungsweise Psychologen zur Abstimmung involviert sein. Darüber hinaus bin ich jedoch gegen eine Kommerzialisierung. Und dies berührt genau die aktuelle Debatte im Deutschen Bundestag, in der es nicht allgemeine Fragen der Beihilfe zum Suizid, sondern um die „gewerbliche“, ergo kommerziell organisierte Beihilfe geht. Aus rechtlichen Gründen spricht für mich daher vieles dafür, hierbei die „geschäftsmäßige“ Suizidhilfe unter Strafe zu stellen.
Meines Erachtens sollten wir klar verhindern, dass die sogenannte „Sterbehilfe“ als normale Dienstleistung verstanden wird mit der Folge, dass Menschen zur Selbsttötung verleitet werden. Natürlich hat der autonome Wunsch des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, Respekt verdient. Aber wie ist es um die Würde des Menschen im Sterben bestellt? Ein letzter Weg in Würde, der auch die Entscheidung über den eigenen Tod umfasst, sollte immer auf einem freien Willen beruhen, der nicht durch andere Personen, Institutionen oder eine beworbene Dienstanbietung beeinflusst werden sollte.
Denn oft verbirgt sich hinter dem Wunsch zu Sterben in Wirklichkeit ein Ruf nach Hilfe, um eine Lebenssituation - nicht das Leben als solches-, die als unerträglich empfunden wird, zu beenden. Hier müssen wir durch Schmerzlinderung, psychologische und seelsorgerische Hilfe und sozialen Beistand wirkungsvoll helfen. Ein Sterbewunsch sollte daher immer hinterfragt und effektive Hilfe angeboten werden. Hierzu sind auch Hilfsangebote und Therapien in und mit der Familie sowie mit dem Freundeskreis wichtig.
Wir sehen mit Sorge, dass sogenannte „Sterbehilfeorganisationen“ für ihre „Dienstleistung“ aktiv werden und eintreten. Hierbei können sie sich derzeit darauf berufen, dass ihr Vorgehen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten nicht geahndet werden kann. Hier besteht die Gefahr, dass Hemmschwellen weiter abgesenkt und der Suizid als „einfacherer“ Weg für sich und die Angehörigen in einer Krisensituation angesehen wird. Das kann zu einem erhöhten sozialen Druck führen. Auch ist zu befürchten, dass Einfallstore geöffnet werden, die die Gefahr für eine weitere Entwertung des Lebens in sich bergen: etwa die in Belgien erlaubte „Sterbehilfe“ für Kinder und Jugendliche oder die neuerlichen Bestrebungen in den Niederlanden, „Sterbehilfe“ auch für Behinderte zuzulassen.
Ich setze mich daher dafür ein, dass wir in den Gesprächen mit allen Abgeordneten eine gesetzliche Regelung finden, die den „Geschäften mit dem Tod“ Einhalt gebieten.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Stein