Peter-Stefan Siller
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Eva B. •

Frage an Peter-Stefan Siller von Eva B. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Siller!

Mich würde sehr interesieren wie sie zur Bildungspolitik stehen.
Was halten sie davon das Bildungsangelegenheiten vorraussichtlich auch weiterhin Ländersache bleiben?
Wie stehen sie zu den Studiengebühren beim Erststudium?

MFG Eva Berner

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Berner,

gerne beantworte ich ihre Fragen zur Bildungspolitik.

Auch wenn Bildungspolitik in erster Linie Ländersache ist, finde ich es doch sehr bedauerlich, dass dieses entscheidende Gerechtigkeits-Thema im aktuellen Wahlkampf kaum eine Rolle spielt.

Zur Schulpolitik:

Der erste Schultag ist ein großer Einschnitt. Kinder müssen sich auf vieles einstellen: LehrerInnen, unterschiedliche Fächer, langes Stillsitzen. Hinzu kommen eigene Erwartungen und die von den Eltern. Damit ein Kind in der neuen Umgebung erfolgreich lernen kann, muss Schule zunächst vor allem eines: Vertrauen schaffen. Vertrauen schaffen heißt, dem Kind Erfolgserlebnisse, Anregung und Akzeptanz zu bieten.

Hier liegt ein wesentlicher Schwachpunkt unseres Schulsystems: Die SchülerInnen werden in der Regel zu wenig ermutigt und gefördert. Mit Differenz wird falsch umgegangen: Die Kinder werden so lange nach ihren Unterschieden sortiert, bis sie zum Unterricht, zur Schule passen. Das ist ein System, in dem sich die Institutionen selbst wenig verändern. Sie geben den Rahmen vor, nicht die Bedürfnisse der Kinder.

Schule muss die Individualität der Kinder berücksichtigen. Dazu gehören ihr Entwicklungstempo und ihr familiärer und kultureller Hintergrund. Nur so können wir sozial benachteiligten Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund die Bildungschancen geben, die sie brauchen.

Wir wollen, dass Schule flexibler und fairer wird, dass sie fördert anstatt nur zu fordern. Dies ist nicht allein eine Frage des Geldes, wie die Länder beweisen, die bei PISA erfolgreich waren. Gleichzeitig wollen wir die Qualität des Unterrichts wo nötig verbessern. Dazu müssen wir unser Schulsystem gründlich reformieren.

Schule funktioniert in Berlin ganz anders als auf Sylt. Vor Ort kann am besten entschieden werden, auf welche Weise der Unterricht gelingt. Mit mehr Autonomie können sich die Schulen besser auf ihre SchülerInnen einstellen. Auch ihre LehrerInnen sollen die Schulen in Zukunft selbst aussuchen. Das können unter Umständen auch Quereinsteiger sein.

Wer so selbstständig arbeitet, muss aber seinen Erfolg messen lassen. Schulen sollen regelmäßig evaluiert und die Qualität des Erreichten soll überprüft werden. Schulen müssen dabei mit Standards gemessen werden, die bundesweit gelten. Dazu brauchen wir eine nationale Qualitätsagentur.

Individuelle Förderung statt Auslese, das heißt auch Schluss mit der Selektion. Wir wollen eine Schule für alle bis zum neunten Schuljahr schaffen. Denn auch hier gilt: nicht die Kinder müssen zur Schule passen, sondern die Schule zu den Kindern.

Das Prinzip "Eine für alle" hat sich bewährt. Wenn Kinder mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit zusammenlernen, verbessern sich die Leistungen aller, die der Stärkeren wie die der Schwächeren. Die PISA-Sieger Finnland und Schweden haben das gegliederte Schulwesen übrigens schon lange abgeschafft und kennen auch kein Sitzenbleiben.

Vier Milliarden € hat Rot-Grün bereitgestellt, um bis 2007 Ganztagsschulen einzurichten oder auszubauen. Damit ist ein Wettbewerb der besten Ideen in Gang gekommen.

In der ganzen Republik entstehen neue Ganztagsangebote an den Schulen. Und das ist gut so. Ganztagsschulen schaffen Freiräume für offene Lernformen und individuelle Förderung, abseits vom 45-Minuten-Takt. Sie helfen auch, Familien vom Schulstress zu entlasten. Durch die Kooperation mit Vereinen und Jugendhilfe finden Sport und Kreativität ihren Platz. Nebenbei stärken solche Lernformen die soziale Kompetenz der Kinder und Jugendlichen.

Zur Hochschulpolitik:

Wie in allen Bereichen der Bildung wollen wir Grüne auch im Hochschulbereich mehr Autonomie. Das bedeutet mehr Entscheidungsfreiraum für Universitäten, damit sie flexibler werden können. Sie sollen den Studierenden dadurch ein anspruchsvolles und reibungsloser verlaufendes Studium anbieten können.

Wir wollen die Hochschulen nicht nur autonomer machen, sondern auch die Zahl der Studierenden auf europäisches Niveau steigern und die Zahl der AbbrecherInnen verringern. Gleichzeitig sollen die Unis und Fachhochschulen offener, also leichter zugänglich werden. Das bedeutet, die Zulassung zum Studium neu zu justieren.

Rot-Grün hat bereits gemeinsam mit den Ländern ein neues Verfahren für zulassungsbeschränkte Studiengänge eingeführt, das die Rechte der Studierenden und der Hochschulen gleichermaßen stärkt. Die besten Abiturienten dürfen sich ihre Hochschule aussuchen. Die Hochschulen können wiederum den größten Teil der übrigen Studienplätze nach eigenem Ermessen vergeben. Die Auswahlkriterien sollten die Hochschulen weitgehend selbst bestimmen können, müssen diese aber offen legen und regelmäßig evaluieren. Die Abiturnote allein ist dabei ein zu unsicheres Kriterium, um die individuelle Studieneignung feststellen zu können. In die Auswahl sollten auch außerschulisches Engagement und Praxiserfahrungen einbezogen werden. Die bisher geltende Wartezeitregelung bleibt. Jeder soll sein Wunschstudium aufnehmen können, auch wenn er die Auswahlverfahren nicht besteht.

Nun zu Ihren konkreten Fragen:

Was halten sie davon das Bildungsangelegenheiten vorraussichtlich auch
weiterhin Ländersache bleiben?

Antwort:

Kultur und schulische Bildung, Wissenschaft und Forschung sind ein Kernbereich des deutschen Föderalismus. Wir Grünen wollen daran festhalten. Zugleich müssen wir die Widersprüche, die das Verhältnis von Kommunen, Ländern, Bund und Europa im Bildungsbereich unübersichtlich machen, auflösen. Wir leben in Deutschland in einem einheitlichen Wirtschaftsraum, haben aber ein Bildungssystem, dessen Finanzierung aufgrund der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder den reichen Ländern große Vorteile verschafft. Deshalb wollen wir, dass die Länder und der Bund den Umbau des Bildungssystems gemeinsam finanzieren.

Wie stehen sie zu den Studiengebühren beim Erststudium?

Antwort:

Auch beim Studium gilt: Die Chancengerechtigkeit fehlt noch immer. Die Zugangsmöglichkeiten zur Hochschule hängen noch zu stark vom eigenen Geldbeutel bzw. dem der Eltern ab. Deshalb will ich keine Studiengebühren fürs Erststudium! Studiengebühren halten wegen der entstehenden Schulden zu viele junge Leute vom Studium ab. Studiengebühren verbessern nicht die Studienbedingungen an deutschen Hochschulen! Wir müssenmehr Menschen das Studium ermöglichen, deswegen müssen wir die Unterstützung für den Lebensunterhalt verbessern.

Wir werden uns weiterhin für intelligente Modelle der Hochschulfinanzierung einsetzen. Das bedeutet, dass wir die Rechte und Interessen der Studierenden dadurch stärken wollen, dass ihre Entscheidung, wo und was sie studieren wollen, öffentliche Mittel bewegt.

Zudem wollen wir das BAföG weiterentwickeln. Bei der Unterstützung der Lebenshaltungskosten setzen wir uns für ein elternunabhängiges Modell ein. Studierende sind für uns eigenständige Erwachsene, die nicht mehr länger über den Kamm der elterlichen Finanzen geschoren werden dürfen.

Ich hoffe, ich konnte ihre Fragen zufriedenstellend beantworten.

Mit herzlichen Grüßen,

Peter Siller