Frage an Peter-Stefan Siller von Martin J. bezüglich Frauen
An die Kandidaten im Wahlkreis Stuttgart I
Sehr geehrter Herr Siller
Folgende Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechtes existieren bei uns (unter anderem!):
1. Bundeswehr
Warum wird die starre Wehrpflicht ausschließlich für Männer immer noch mit irgend welchen imaginären weit her geholten nicht klar eingrenzbaren „Diensten an der Gesellschaft“, die „die Frauen“ leisten, gegenüber gestellt? Viele Männer leisten solche Dienste auch. Viele Frauen leisten solche Dienste nicht. Für die Wehrpflicht ist aber das Geschlecht das einzige Kriterium. Mit dieser Begründung kann sich ein Mann nach dem Wehrdienst darauf berufen, „seinen“ Teil erfüllt zu haben und jedweden gesellschaftlichen Dienst ablehnen, mit gutem Recht und bestem Gewissen. Kontraproduktiv!
2. Arbeitsplatzvergabe
Warum werden im ö. D. auf allen Ebenen von gleich qualifizierten Bewerbern auf fachliche Stellen Frauen bei Einstellungen bevorzugt? Unterschiedliche Repräsentanzen in entsprechenden Beschäftigungsgebieten sind nicht Folge von etwaigen Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechtes (ist heutzutage völlig undenkbar), sondern haben andere Gründe, z. B. unterschiedliche Nachfrage etc. und sind nicht grundsätzlich verwerflich.
Hinzu kommt noch der merkwürdige Umstand, dass diese Männer, wenn sie sich, aus ihrem Bereich weggequotet, dann auf unterrangige, zutragende Stellen (im Schreib- und Bürobereich) bewerben, ebenfalls nicht genommen werden, weil da ja „nur Frauen“ eingestellt werden (Beispiel aus der Praxis). Hier gilt die Quote also nicht „anders herum“.
Bitte um Stellungnahme. Vielen Dank!
Lieber Martin Janßen,
gerne beantworte ich Ihre Fragen zur Bundeswehr und zur Arbeitsplatzvergabe im öffentlichen Dienst:
1. Bundeswehr
Antwort:
Ich halte es nicht für "weit her geholt", dass Frauen im Schnitt wesentlich mehr gesellschaftliche Aufgaben als Männer. Die Doppelt- und Dreifach-Belastung der Frau ist oft Realität und wir wollen hier zu mehr Gerechtigkeit kommen.
Im Übrigenwillen wir die Abschaffung der Wehrpflicht. Der Grundrechtseingriff der Wehrpflicht ist angesichts der grundlegend veränderten Aufgaben der Bundeswehr nicht mehr legitimierbar. Mit der Wehrpflicht wollen wir auch den Zivildienst abschaffen. Um den Übergang der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- hin zu einer Freiwilligenarmee verantwortlich zu gestalten, fordern wir einen freiwilligen und flexiblen militärischen Kurzdienst von 12 bis 24 Monaten, der Männer und Frauen gleichermaßen offen steht. Eine allgemeine Dienstpflicht von Männern und Frauen lehnen wir ab. Wir wollen keine weiteren Zwangsdienste. Die Übernahme von sozialer und politischer Verantwortung lässt sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht erzwingen. Vielmehr gilt es, die Voraussetzungen und Anreize für freiwilliges Engagement in unserer Gesellschaft zu verbessern.
2. Arbeitsplatzvergabe
Antwort:
Frauen sind nach wie vor in der Arbeitswelt benachteiligt, kommen schwerer rein, verdienen weniger und haben schlechtere Karrierechancen - auch wenn wir schon einiges bewegt haben. Deshalb halte ich die Quote im öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifizierung für ein sinnvolles Instrument.
Der Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft führt zu Veränderungen in allen Lebensbereichen, bei Wirtschaft und Arbeit, bei den Sozialsystemen, der Steuer- und Familienpolitik, den Lebensweisen insgesamt. Rollenbilder sind zäh und widerstandsfähig. Sie gehören zum Grundrepertoire, auf das eine Gesellschaft in Krisenzeiten gerne zurückgreift. Andererseits eröffnen Krisenzeiten auch immer Veränderungsmöglichkeiten, die sich in stabilen Phasen weniger ergeben. Wir wollen das Veränderungspotenzial zu Gunsten der Frauen nutzen.
Grüne Politik steht für Gerechtigkeit. Wir wollen Zugangsgerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit für alle. Wir wissen, dass Macht, Geld, Zeit nicht gleich zwischen Frauen und Männern verteilt sind. Wir sind unserer Vision von Geschlechtergerechtigkeit ein gutes Stück näher gekommen. Dennoch besteht immer noch eine Lücke zwischen unseren Ansprüchen und der Wirklichkeit. Wir wollen, dass Frauen und Männer alle ihre Potenziale und Fähigkeiten ausschöpfen können. Wir wollen allen ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
Dafür müssen wir uns vor allem dem Bereich Wirtschaft und Arbeit widmen. Wir wollen den Bereich der Privatwirtschaft "knacken". Unterstützt werden wir dabei von der zunehmende Erwerbsneigung von Frauen, dem steigenden gesellschaftlichen Unverständnis über die Verschwendung der Investitionen in die Bildung der Frauen, wenn diese danach keinen adäquaten Arbeitsplatz finden und dem prognostizierten Fachkräftemangel. Klar ist, dass diese gesellschaftlichen Prozesse gesetzlich flankiert werden müssen. Auf die Selbstregulierung des Systems zu hoffen, wäre kurzsichtig und verfehlt. Um in der Privatwirtschaft langfristig einen paritätischen Anteil von Frauen auf allen Ebenen zu erreichen, brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz, gekoppelt mit materiellen Anreizsystemen für ArbeitgeberInnen, die dieses Ziel befördern. Wir setzen uns bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen für eine Bevorzugung der Unternehmen ein, die nachweislich und nachhaltig dafür gesorgt haben, dass auf allen Ebenen und insbesondere in Entscheidungspositionen eine paritätische Besetzung mit Frauen erfolgt. Und wir brauchen das gesellschaftliche Bewusstsein, dass Diskriminierung von Frauen nicht hinnehmbar ist. Hierfür ist ein Antidiskriminierungsgesetz ein wesentlicher Baustein.
Unbedingt müssen wir die Hartz-Gesetze an einigen Punkten verbessern. Frauenpolitisch relevant sind vor allem die Anrechung des Partnereinkommens, von dem Frauen aufgrund ihres meist niedrigeren Einkommens eher betroffen sind als Männer, sowie die Regelungen für Berufsrückkehrerinnen. Wir wollen, dass Frauen, die aufgrund des Partnereinkommens kein Arbeitslosengeld II erhalten, die gleichen Leistungen von der Arbeitsagentur erhalten wie Bezieher von Arbeitslosengeld II. Wir wollen eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote, die nicht auf der Ausdehnung geringfügiger Beschäftigung und Teilzeit basiert. Die eigenständige Existenzsicherung von Frauen ist grünes Leitbild.
Dabei kommt der Kinderbetreuung eine wichtige Rolle zu. Mit dem Einstieg in die flächendeckende öffentliche Kinderbetreuung und in Ganztagsschulen wird es auch Müttern leichter fallen, ihren Platz im Erwerbsleben selbstbewusst und ohne schlechtes Gewissen einzunehmen. Um aber wirklich gesellschaftlich weiterzukommen, muss sich vor allem das Rollenbild und –verhalten der Väter ändern: vom Familienernährer zum Erziehungsberechtigten. Wir wollen ein Anreizsystem installieren, bei dem die Hälfte der Elternzeit verfällt, wenn sie nicht vom Vater genommen wird. Auch die Wirtschaft wollen wir nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Das Ehegattensplitting ist nicht mehr zeitgemäß. Dieses steuerpolitische Instrument, das mit Milliardenbeträgen die Hausfrauenehe fördert, muss endlich abgeschafft werden. Derzeit werden die Einkünfte von Ehegatten für die Steuerberechnung addiert und durch zwei geteilt. Auf diesen Betrag wird die Steuer berechnet und dann verdoppelt. Auf diese Weise sinkt die Steuerlast, weil die Progression (je höher das Einkommen, desto höher der Steuersatz) gemildert wird. Der Splittingvorteil steigt mit dem Einkommensunterschied zwischen den Partnern. Familien, in denen beide annähernd gleich viel verdienen, profitieren am wenigsten.
Frauen haben oftmals "Patchworkbiographien" vorzuweisen, auch bei Männern geschieht das immer häufiger. Die sozialen Sicherungssysteme müssen eine Absicherung auch mit Lücken im beruflichen Lebenslauf gewährleisten. Ein Wechsel zwischen Phasen von Ausbildung, Erwerbstätigkeit, lebenslangem Lernen und Familie muss möglich und sozial abgesichert sein, dafür bedarf es auch einer größeren Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes in alle Richtungen.
Viele Grüße!
Peter Siller