Frage an Peter Altmaier von Karsten F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Altmaier,
bereits 2008 hat das BVerfG das aktuelle Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30.6.2011 eingeräumt, um eine Reform des Wahlrechts auf den Weg zu bringen. Ihr Parteikollege und Bundestagspräsident Norbert Lammert findet es "ärgerlich und zweifellos auch peinlich", dass es der Regierung bisher nicht einmal gelungen ist einen Entwurf als diskussionsgrundlage vorzulegen (SZ) .
Sie selbst schieben die Schuld vor allem der Opposition zu, die die Möglichkeit eines parteiübergeifenden Konsenses kaputt macht, "in dem sie sich vor allem auf das sachfremde Thema Überhangmandate konzentriert" (Spiegel Online). Mir erscheint es hier etwas einfach die Schuld bei der Opposition zu suchen, auch wenn jede der Oppositionsparteien bereits einen eigenen Antrag eingebracht hat. Immerhin scheint es hier den gemeinsamen Nenner zu geben, dass die Überhangmandate ausgeglichen werden sollen, sei es durch zusätzliche Ausgleichsmandate oder durch einen parteiinternen Ausgleich über die Listen.
Innerhalb der Regierung scheint es aktuell noch keinen Kompromiss zu geben.
Mich würde es nun interessieren, welche Vorstellung innerhalb der Union über die Zukunft des Wahlrechtes überwiegt und wie weit die Distanz zum Koalitionspartner FDP ist. Durch die Anträge der Oppositionsparteien sind deren Positionen immerhin bekannt. Wie es innerhalb der Regierungskoalition aussieht ist bisher für mich weniger ersichtlich. Wie sehen Sie persönlich die Situation?
Darüber hinaus wüsste ich gerne, ob auch Sie es ein Stück weit peinlich finden, dass es trotz der großzügigen Fristsetzung des BVerfG noch keine Neuregelung des Wahlrechtes gibt. Ist dies nicht sogar eher ein Armutszeugnis für die Regierung?
Wie würde es in dem rein hypothetischen Fall einer verlorenen Vertrauensfrage weitergehen? Immerhin gäbe es dann kein gültiges Wahlrecht für etwaige Neuwahlen.
Vielen Dank für eine baldige Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Karsten Friedrich
Sehr geehrter Herr Friedrich,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 16. Juni 2011 zum Thema Reform des Wahlrechts.
Es ist richtig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung des Bundestagswahlrechts aufgetragen hat, um das Problem des „negativen Stimmgewichts“ zu beseitigen. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihre Hausaufgaben gemacht und maßgeblich an einem verfassungskonformen Gesetzentwurf durch die Regierungskoalition mitgewirkt.
Richtig ist auch – wie sie in ihrer Anfrage ausführen – dass die Oppositionsfraktionen eigene Gesetzentwürfe erarbeitet haben. Die Vorschläge von SPD und Grünen sind jedoch nicht verfassungskonform.
Der SPD-Vorschlag sieht Ausgleichsmandate für entstandene Überhangmandate vor. Hierdurch wird jedoch nicht im geringsten das „negative Stimmgewicht“ beseitigt.
Die Sozialdemokraten haben einen Entwurf präsentiert, der rein parteitaktisch orientiert ist und durch die zusätzliche Ausgleichsmandate zu einer unglaublichen Aufblähung des Parlaments und enormen Kosten führen würde. Völlig verfassungswidrig und wider die eigenen Grundsätze ist der Gesetzesvorschlag der Grünen. Sie fordern, dass einmal errungene Direktmandate wieder abzuerkennen oder in Ländern ohne Überhangmandate von der Landesliste abzuziehen sind. Hierbei haben die Kollegen der Grünen wohl vergessen, dass gerade die Erststimme für einen Direktkandidaten im Wahlkreis eine basisdemokratische Stimme ist. Die Entwertung dieser Erststimme ist sowohl ein Verrat an den basisdemokratischen Grundsätzen der Grünen sowie eine Verrat am Wähler.
Wir haben jetzt einen verfassungskonformen Entwurf vorgelegt und hierfür zugegebener Maßen etwas Zeit benötigt. Dass die seitens des BVerfG gesetzten Frist überschritten wurde ist zwar suboptimal, jedoch dem Umstand geschuldet, dass ein qualitativ sehr anspruchsvoller Gesetzentwurf mit hohem Abstimmungsaufwand durch die Regierungskoalition erarbeitet wurde. Das im bisherigen Wahlrecht angewendete Verfahren zur Umrechnung der abgegebenen Stimmen in Bundestagssitze kann unter Umständen dazu führen, dass mehr Zweitstimmen für eine Partei ihr schließlich weniger Sitze im Bundestag bringen – oder umgekehrt. Dieser absurde Effekt kann eintreten, weil Zweitstimmen unter bestimmten Bedingungen zwischen Landeslisten verrechnet werden können. Aus diesem Grund wollen wir nun die Mandatsverteilung gleich zwischen den Bundesländern festlegen.
Am Wahlabend werden künftig die 598 zu vergebenden Mandate auf alle 16 Länder verteilt, und zwar unter Berücksichtigung der Zahl der Wähler in den einzelnen Ländern. Diese Mandate werden dann auf diejenigen Landeslisten verteilt, die bundesweit über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen sind. Allerdings entstünde vor allem für kleine Parteien in kleinen Landesverbänden das Problem, dass ihre sogenannten Reststimmen, also die Stimmen, die nach Abzug aller für ein Mandat nötigen Stimmen übrig bleiben, verfallen würden, weil sie nicht mehr wie bisher verrechnet werden könnten. Deshalb werden nun alle übrigen Reststimmen aller Parteien deutschlandweit zusammengezählt, dann durch die Zahl geteilt, die im Bundesdurchschnitt für ein Mandat nötig ist, um gegebenenfalls für diese Stimmen Ausgleichsmandate zu erteilen.
Ich persönlich halte den vorgelegten Gesetzentwurf wirklich für sachorientiert und im Gegensatz zu den Vorschlägen der Oppositionsfraktionen für nicht eigennützig.
In der Hoffnung Ihnen mit meinen Ausführungen weitergeholfen zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Ihr
Peter Altmaier, MdB