Frage an Peter Altmaier von Anna Lena A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Altmaier,
nachdem wir heute in unseren Politikstunden eine - ich nenne es mal einfach so - Diskussion über das Thema Europa haben sollten, brannte mir danach weiterhin eine Frage unter den Nägeln.
Jedoch möchte ich Ihnen zuerst einige HIntergrundinformationen geben.
Es war geplant, dass Herr Ottmar Schreiner heute, am Montag, den 16.05.11, das Saarlouiser Gymnasium am Stadtgarten besucht und mit zwei 10er Klassen und meinem 11er Politik Grundkurs eine Diskussion zum Thema " Europa" führt.
Leider Entwickelte sich dieses Vorhaben etwas anders. Herr Schreiner war leider verhindert und unsere Diskussion ging über in Erzählungen unserer Schulleiterin über persönliche Erfahrungen.
Ich habe mich vorab, jedoch auf eine Diskussion vorbereitet und hätte mich auf eine Antwort über folgende sehr gefreut.
Zukunft Europas?!? Wie wird sich Europa entwickeln?
Im Moment werden mehr und mehr Staaten aufgenommen, aber dies bietet doch auch große Nachteile.
Mehr Länder heißt gleichzeitig auch mehr Meinungen. Wenn ich dies z.B. auf die GASP übertrage fällt mir sofort ein, dass es fast unmöglich wird Beschlüsse zu finden.Bedeutet dies statt der Einstimmigkeit muss hier ein Mehrheitsprinzip eingeführt werden oder sollte man sich etwas anderes für Europa überlegen?
Wird durch solche Aufnahmen die EU auseinander brechen wie die Titanic, wird die Methode Monnet überwiegen und man einigt sich weiterhin immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner oder entwickelt sich ein geschlossenes Kerneuropa?
Vielleicht läuft es auch auf eine ganz andere Richtugn hinaus und wir stehen bald vor der Supermacht Europa und die Staaten sind bereit immer weiterreichende Kompetenzen in zentralen Politikbereichen zu übertragen?
Welche dieser Möglichkeiten halten Sie für wahrscheinlich? Oder halten Sie etwas was ganz anderes für möglich?
Ich würde gerne Ihre Meinung hören und mich über eine Antwort Ihrer Seite freuen.
Liebe Grüße Anna Lena Altmeier
Sehr geehrte Frau Altmeier,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 16. Mai 2011 zum Thema Zukunft Europas bzw. der Europäischen Union.
Zunächst freue ich mich, dass Sie sich so sehr für Europa und die Europäische Union und für Ihre Zukunft interessieren. Daher antworte ich Ihnen sehr gerne. In verschiedenen Beitrittsphasen hat sich die Europäische Union bis zuletzt auf 27 Mitgliedstaaten vergrößert. Zahlreiche weitere Länder haben einen Beitrittsantrag gestellt bzw. haben schon den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten inne. Natürlich wird der Einfluss der EU im internationalen Vergleich insbesondere mit den USA umso gewichtiger, je größer die Union ist, d. h. je mehr Menschen in ihr wohnen und je mehr Mitgliedstaaten ihr angehören. Dennoch haben die Beitritte der vergangenen Jahre auch großer Anstrengungen bedurft. Insoweit sollte in einem nächsten Schritt hinsichtlich der Europäischen Integration zunächst eine Konsolidierungsphase stehen, in der die Festigung der EU Vorrang vor weiteren Beitritten haben sollte.
Natürlich haben Sie recht, dass durch neue Mitgliedstaaten auch neue Meinungen bzw. Vorstellungen in die Union eingebracht werden. Dies ist jedoch in einer pluralistischen Gesellschaft kein Nachteil – im Gegenteil. Auch in unserer nationalstaatlichen Demokratie leben wir von der Vielfalt der Meinungen und unterschiedlichen Auffassungen.
Durch den Vertrag von Lissabon wurden zahlreiche Arbeitsmethoden novelliert. Die Abstimmung mittels qualifizierter Mehrheit wurde auf viele Politikbereiche ausgedehnt, beispielhaft möchte ich hier nur das Abstimmungssystem im Ministerrat (Prinzip der doppelten Mehrheit) erwähnen. Richtig ist aber auch, dass in einigen Bereichen wie der Außen- und Verteidigungspolitik weiterhin eine Einstimmigkeit erforderlich ist. Eine supranationale Integration konnte hier noch nicht realisiert werden. Dass die Regierungen der Mitgliedstaaten in diesem und in einigen weiteren Feldern „nur“ intergouvernemental zusammenarbeiten, hat insbesondere damit zu tun, dass gerade die Außen- und Sicherheitspolitik zu den Kernelementen nationalstaatlicher Souveränität gehört. Den Mitgliedsstaaten fällt es hier sehr schwer, ihre gesamten Kompetenzen an die Europäische Union abzutreten. Daher wird bislang am Prinzip der Einstimmigkeit festgehalten.
Sehr geehrte Frau Altmeier, die Bürgerinnen und Bürger in Europa profitieren durch die aktuelle Ausgestaltung der Europäische Union in vielerlei Hinsicht. Durch die vier Grundfreiheiten und auch die in den meisten Mitgliedsstaaten ebenfalls verwirklichte Währungsunion ist für die Menschen ein Maximum an persönlicher Freiheit entstanden. Diese persönliche Freiheit gilt es in Zukunft zu bewahren und auszubauen.
Insofern möchte ich mich den Äußerungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich anschließen und ganz aktuell Dänemark für ihre Pläne für eine Wiedereinführung von permanenten Grenzkontrollen kritisieren. Selbstverständlich muss es immer Ausnahmetatbestände geben, so dass in Sonderfällen eine vorübergehende Grenzkontrolle möglich ist (z. B. bei großen internationalen Konferenzen).
Dauerhaften Grenzkontrollen in der Europäischen Union widerspreche ich jedoch mit Nachdruck – die Reise- und Verkehrsfreiheit in Europa ist eine großartige Errungenschaft für alle Bürgerinnen und Bürger. Überlegen Sie persönlich einmal, wie oft sie in der nahen Vergangenheit als Schülerin mit Freunden und Bekannten ohne Grenzkontrollen nach Frankreich oder Luxemburg gereist sind und dort beim Shopping mit Euro-Geld bezahlt haben. Die Gewährleistung dieser Freiheitsrechte ist ein persönlicher Gewinn für jeden Einzelnen. Daher gilt es den sog. acquis communautaire, den gemeinsamen rechtlichen Besitzstand, also die Errungenschaften der Gemeinschaft zu schützen und zu bewahren.
Da unsere dänischen Nachbarn und Freunde Ihre Pläne mit zunehmender illegaler Einwanderung und Grenzkriminalität begründet haben, möchte ich Dänemark gerne einladen, dem Vertrag von Prüm beizutreten. Während meiner Zeit als Staatssekretär im Bundesinnenministerium war ich an der Einführung dieses zwischenstaatlichen Abkommens maßgeblich beteiligt. Durch den Prümer Vertrag wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit vertieft, insbesondere wird durch den direkten Zugriff auf bestimmte Datenbanken der Mitgliedsstaaten gewährleistet, dass der internationale Terrorismus, die grenzüberschreitende Kriminalität sowie die illegale Migration wirksamer bekämpft werden können. Die Forderungen der dänischen Volkspartei sind aus Sicht eines überzeugten Integrations- und Europapolitikers mit Nachdruck zurückzuweisen, ich halte sie sogar für einen Affront gegen unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Abschließend möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich als überzeugter Europäer für das Ziel eines Europäischen Bundesstaates, der sich aus teilsouveränen Einzelstaaten zusammensetzt, mit klaren Aufgabenzuweisungen sowie handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Institutionen auf Grundlage einer Europäischen Verfassung eintrete. Eine große und stabile Union sichert uns Frieden, Freiheit und Sicherheit gleichermaßen.
Ich hoffe Ihnen mit meinen Ausführungen Europa etwas nähergebracht zu haben, stehe wie mein Kollege Ottmar Schreiner für Gespräche in Ihrer Schule gerne zur Verfügung und wünsche Ihnen für Ihren weiteren schulischen und beruflichen Werdegang alles Gute. Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen, Ihr
Peter Altmaier, MdB