Frage an Paul Schäfer von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Reth,

bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen nach so langer Zeit erst jetzt antworte. Die von Ihnen gestellten Fragen berühren zentrale Punkte des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan, die in der Regel von der Bundesregierung und den Regierungsparteien ausgeblendet werden. Allerdings ist die Berichterstattung des Verteidigungsministeriums über den Afghanistan-Einsatz selbst im Verteidigungsausschuss alles andere als transparent und erschwert eine nüchterne Bilanzierung der Vorgehensweise der Soldaten in Afghanistan. Daher kann ich Ihnen auch nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob die Aufklärungsergebnisse der Tornado-Flugzeuge im konkreten Einzelfall zu Bombenangriffen auf Zivilisten führen oder ob die neuen Einsatzregeln beachtet werden. Umgekehrt schließen die vom Verteidigungsministerium und der NATO veröffentlichten Informationen aber auch nicht aus, dass die Aufklärungsergebnisse für militärische Operationen genutzt werden, die zum Tod von Zivilisten führen. Die von den Vereinten Nationen und Human Rights Watch vorgelegten Zahlen über die Opfer dieses Krieges und die fast wöchentlichen Meldungen über die zivilen Opfer bei US- und NATO-Luftangriffen belegen dagegen deutlich, dass die überarbeiteten Einsatzregeln keinen Einfluss auf die Zielauswahl und das militärische Vorgehen der NATO haben.

In jedem Fall trägt die Bundeswehr und die Bundesregierung eine Mitverantwortung für das Vorgehen der anderen NATO-Staaten in Afghanistan, da der ISAF-Einsatz insgesamt sowohl politisch unterstützt wird als auch deutsche Soldaten in den NATO-Kommandostrukturen in Kabul und Brüssel/Brunssum an der Planung der ISAF-Operationen beteiligt sind.

Leider herrscht über das gesamte Ausmaß des Krieges in Afghanistan nach wie vor Unklarheit. Einige Institutionen und Nichtregierungsorganisationen wie UNAMA oder Human Rights Watch versuchen über ihre Kontakte zu afghanischen Gruppen möglichst umfassende Informationen über die Opfer zu sammeln. Mögliche Kriegsverbrechen werden nicht systematisch erfasst. Allerdings gibt es viele Vorfälle und Vorgehensweisen der OEF- und ISAF-Streitkräfte, die einer eingehenden Untersuchung bedürfen, ob dabei auch im rechtlichen Sinne Kriegsverbrechen begangen worden sind, z.B. in Bezug auf die Internierungspraxis auf dem Stützpunkt in Bagram, den Bombenangriffen auf Dörfer, in denen sich angeblich Aufständische aufhielten sowie der Praxis der gezielten Tötungen.

In Bezug auf Ihre Fragen nach einem Zusammenhang zwischen den zivilen Opfern in Afghanistan und der Terrorgefahr in Deutschland würde ich derzeit, wenn überhaupt, statt von Mitschuld von einer indirekten strukturellen Begünstigung reden, indem durch die Kriegsbeteiligung gewaltbereiten Individuen und Gruppen eine vermeintliche Rechtfertigung für ihre Gewalt geliefert wird. Empirisch ist auf jeden Fall festzuhalten, dass der Krieg gegen den Terrorismus von der Bundesregierung genutzt wurde um die Bürgerrechte einzuschränken und die Rolle der Streitkräfte für die Sicherheit aufzuwerten. Trotz sieben Jahren Krieg in Afghanistan und mehreren Tausend zivilen Opfern gab es allerdings keine Anschlagserie in Deutschland.

Ich hoffe, mit diesen Ausführungen Ihre Fragen beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Paul Schäfer