Frage an Paul Schäfer von Lothar K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Verteidigungsexperte der Linken,
die Linke fordert rigoros "Raus aus Afghanistan."
Auf Grund wirtschaftlicher und politischer Verflechtungen mit den USA, der Tatsache dass die Taliban Mädchen jegliche Bildung und Berufstätigkeit untersagen und z. B. das Tragen von Sportkleidung z. B. eines Fußballtrikots nach der Sharia die Todesstrafe rechtfertigt usw. halte ich den Rückzug für sehr problematisch obgleich auch ich der Meinung bin, dass die Bombardierung der Tanklastwagen niemals hätte passieren dürfen und es Racheanschläge der Taliban auch in Deutschland geben wird und der Einsatz der Bundeswehr, die ja nur unter der Auflage gegründet werden durfte, dass sie eine reine Verteidigungsarmee bleibt, dort auch rechtlich sehr problematisch ist.
Wie wollen Sie den Rückzug aus Afghanistan bewerkstelligen und welche Konsequenzen würden Sie dabei in Kauf nehmen?
Sehr geehrter Herr Kindermann,
DIE LINKE hält auch weiterhin an der Forderung "Bundeswehr raus aus Afghanistan" fest. Die jüngsten Entwicklung in Afghanistan unterstreichen meiner Einschätzung nach die Richtigkeit dieser Forderung. Auch Ihre zutreffenden Beobachtungen über die bedenklichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Taliban stehen dem nicht entgegen. Denn wenn der Verlauf der militärischen Intervention der NATO eines gezeigt hat, dann, dass sie sowohl auf Regierungsseite, bei den Gouverneuren und bei den verschiedenen bewaffneten Gruppen eher den konservativ reaktionären Kräften Auftrieb gegeben haben. Im August trat ein Gesetz in Kraft, welches die Rechte von shiitischen Frauen massiv einschränkt - u.a. dass diese Frauen nur mit Erlaubnis der Männer arbeiten gehen dürfen und dass ihnen Geld und Unterkunft verwehrt werden können, wenn sie sich den sexuellen Wünschen des Ehemannes nicht beugen. Es ist leider eine traurige Tatsache, dass die Position der Taliban nicht weit entfernt ist von den Vorstellungen einer breiten Gruppe der Bevölkerung. Nur - und ich glaube, dass Sie mir dabei zustimmen können - solche Vorstellungen und Gesellschaftsbilder lassen sich nicht mit Waffengewalt beseitigen. Zumal die NATO-Staaten durch ihre lokalen Kooperationen mit konservativen Stammesmilizen, deren Oberhäupter in ihren Gebieten ähnlich rückwärtsgewandte Bräuche aufrechterhalten, auch ihre Glaubwürdigkeit verspielt haben. Neue Mehrheiten gegen das Taliban-Weltbild können in Afghanistan nur unter friedlichen Bedingungen entstehen.
Das Festhalten an einem Abzug der Bundeswehr bedeutet nicht, tatenlos zuzuschauen, wie sich die Lage in Afghanistan entwickelt. Im Gegenteil, erst der Abzug der Bundeswehr eröffnet der Bundesregierung neue Handlungsspielräume zur Förderung von Frieden, Entwicklung und Demokratie vor Ort. Die militärische Eskalationsspirale bindet personelle und finanzielle Mittel und schafft immer neue Sachzwänge der noch härteren militärischen Reaktion. Die Konsequenzen für Afghanistan konnten in den letzten Jahren ausgiebig studiert werden - wir können und wollen dies nicht mitverantworten.
Ein „Weiter so wie bisher“ darf es also nicht geben. Deswegen beschränkt sich DIE LINKE in ihrem Einsatz für Frieden und Wiederaufbau in Afghanistan nicht nur auf die richtige Forderung „Bundeswehr raus aus Afghanistan“. Wir haben über die Jahre Kontakte nach Afghanistan aufgebaut und auch in Deutschland gemeinsam mit Expertinnen und Experten mögliche Strategien diskutiert. Einige der Zwischenergebnisse, die sich auch in unseren Anträgen zu den Mandatsverlängerungen wiederfinden, können Sie auch auf der Homepage der Fraktion DIE LINKE ( http://www.linksfraktion.de ) herunterladen, wie z.B. die Broschüre „Den Krieg beenden - Frieden für Afghanistan“
( http://dokumente.linksfraktion.net/pdfdownloads/7761174820.pdf ).
Kurz zusammengefasst: DIE LINKE hält einen Strategiewechsel für dringend notwendig um der afghanischen Bevölkerung tatsächlich eine Friedensperspektive zu eröffnen. Der Neuanfang in Afghanistan sollte auf vier Pfeilern ruhen: Abzug der Bundeswehr (und anderer NATO-Truppen) aus Afghanistan, Förderung des innerafghanischer Friedensprozess, Einbindung der Staaten der Region - insbesondere Irans, Indiens und Pakistans - zur Stabilisierung Afghanistans, und vor allem die intensivierte Unterstützung des Wiederaufbaus und der Entwicklung Afghanistans mit zivilen Instrumenten.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Schäfer