Frage an Paul Lehrieder von Alexander W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Lehrieder,
es scheint noch denkende Menschen in politischer Verantwortung zu geben. Sich gegen einen Fraktionszwang bei der Frage des EU Vertrags von Lissabon erfordert Courage. Glückwunsch zu dieser Entscheidung, die ich in vollem Umfang unterstütze.
Was mich interessieren würde: es haben nur einzelne Mitglieder des CSU Flügels der Union dagegen gestimmt. Inwieweit gibt es eine Meinungs- und Aktionsdeckung zwischen Ihnen und den anderen CSU Mitgliedern, die dagegen gestimmt haben?
Gerne würde ich das Motiv für Ihr Abstimmungsverhalten wissen und in dem Zusammenhang Ihre Meinung zu dem gemeinsamen Währungsraum und der institutionalisierten Handlungsunfähigkeit der EZB im Rahmen der gegenwärtigen Finanzkrise: d.h. dass es keine wirksame Krisenregelung im Sinne eines "lender of last resort" gibt.
Hierbei würde ich Sie auch darum bitten das folgende Thema aus Ihrer Sicht zu schildern: Aufgabe der Währungssouveränität mit sinkendem Realzinsniveau und Aufbau eines für die Lohnentwicklung der anderen Euromitglieder und volkswirtschaftliche Stabilität insgesamt verheerenden deutschen Leistungsbilanzüberschusses. (Im Wesentlichen die These von Herrn Prof. Hankel)
Danke im voraus.
Beste Grüße
A.Wirth
Sehr geehrter Herr Wirth,
vielen Dank für Ihre Fragen unter anderem zu meinem Abstimmungsverhalten zum Vertrag von Lissabon.
Ich und andere abgeordnete meiner Fraktion haben zwar aus ähnlichen Motiven gegen die Annahme des Vertragswerkes gestimmt. Ausschlaggebend waren bei jedem einzelnen aber persönliche Gründe und keine "Aktionsabsprachen".
Gern lege ich im Folgenden dar, was mich selbst zu dieser Entscheidung bewogen hat:
I. Soweit im Lissabonvertrag geplant ist, den Mitgliedsländern abweichend von der Bevölkerungsanzahl unterschiedliche Stimmzahlen zuzugestehen, stellt dies nach meinem Dafürhalten einen mit nationalem Recht kaum vereinbaren Verstoß gegen das Prinzip „One Man – One Vote“ dar.
Gemäß Artikel 38 (1) GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, *gleicher* und geheimer Wahl gewählt. Dies bedeutet, dass das Stimmgewicht jeder abgegebenen Stimme gleich gewichtet werden muss.
Beim Lissabonvertrag jedoch kommen beispielsweise auf Malta mit seinen 6 Sitzen 66.000 Bürger pro Abgeordneter, wohingegen in Deutschland ein EU-Parlamentarier 850.000 Bürger seines Landes repräsentieren sollte.
Dies stellt einen Faktor von 12,88 dar mit der Folge, dass die Stimme eines deutschen Wählers lediglich 0.07765 - somit weniger als ein Zwölftel der Stimme eines maltesischen Bürgers - darstellt. Die anteiligen Einflussmöglichkeiten gerade der kleinen Länder sind disproportional und ungleich gewichtet.
Eine derartige Diskrepanz und unterschiedliche Bedeutung der Stimmabgabe der einzelnen EU-Bürger kann nicht gewollt sein und ist der Bevölkerung im Übrigen auch beim besten Willen nicht zu vermitteln.
II. Inwieweit die Aufgabe nationaler Kompetenz bereits eine Geltendmachung deutscher Vorstellungen bereits jetzt nicht nur erheblich erschwert, sondern bereits jetzt teils aushebelt, zeigt die aktuelle Diskussion über die Situation unserer milcherzeugenden Bauern.
Die Erhöhung der Milchquote um 2 Prozent wurde von der EU-Kommission gegen den ausdrücklichen Appell der deutschen Bundesregierung durchgeführt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die EU-Kommission in Zukunft auf deutsche Appelle nachhaltiger und eingehender reagieren wird als in der Vergangenheit.
III. Selbst wenn unter dem Gesichtspunkt der Erkennbarkeit des europäischen Integrationsprogramms die Behandlung von Asylrechtsfragen und europäische Aufenthaltstitel in Zukunft durch Brüssel geregelt werden sollen, erfordert das Abstimmungsverhalten des Europäischen Rates eine besondere Rückanbindung an den Deutschen Bundestag.
Gleichwohl ist davon auszugehen, dass 27 Länder in Beitrittsfragen wohl höchst unterschiedliche Auffassungen haben dürften, insbesondere deshalb, weil Zielländer der Asylsuchenden sicherlich nicht absoluter Priorität Länder wie Rumänien oder Bulgarien sein werden, sondern hier ein Zustrom insbesondere nach Deutschland, Frankreich, England oder Großbritannien voranging angestrebt sein dürfte.
Über diesen Zustrom kann beim besten Willen nicht die europäische Völkergemeinschaft allein entscheiden. Somit sind auch die Kompetenzverlagerungen im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts höchst kritisch zu bewerten.
IV. Die Zustimmung zum neuen Grundlagenvertrag der EU hieße für mich eine erneute Abgabe nationaler Zuständigkeiten an Brüssel. Diese Kompetenzverlagerung steht meiner Überzeugung entgegen, dass insbesondere föderale Strukturen die Demokratie stützen und erhalten.
Am Beispiel des geplanten ermäßigten Mehrwertsteuersatzes zeigte sich für mich jüngst, was wir auf nationaler Ebene bereits für Steuerungsmöglichkeiten aus den Händen gegeben haben. Als überzeugter Familienpolitiker trete ich für einen ermäßigten Steuersatz auf Kinderartikel (u.a. Babywindeln) ein. Dies wäre nach dem EU-Vertrag nicht mehr durchsetzbar.
Insbesondere die Frage der „Kompetenzkompetenz“, d.h. der Weiterleitung von Macht, welche wir als frei gewählte Abgeordnete ausschließlich von unseren Wählern erlangt haben, auf europäische Institutionen in Brüssel, halte ich darüber hinaus für höchst bedenklich.
V. Dem kann auch nicht die bereits ein Quorum von 25 Prozent eines nationalen Parlaments mögliche Subsidiaritätsklage entgegenstehen. Mit dem Instrument der Subsidiaritätsklage soll den nationalen Parlamenten die Rolle übertragen werden, die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips zu kontrollieren. Wichtiger wäre nach meinem Dafürhalten nicht nur die Kontrollfunktion, sondern überhaupt erst einmal der Behalt wesentlicher Kompetenzen nationaler Zuständigkeit.
In dem Lissabonner Vertrag ist nach meinem Dafürhalten lediglich appellativer Charakter und keine Rechtsverbindlichkeit insoweit zu erkennen, als der Deutsche Bundestag die Kommission auffordert, „bei künftigen Rechtsetzungsvorhaben detailliert zu begründen, weshalb ein Vorschlag nach ihrer Auffassung mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sein soll und worin der Mehrwert auf europäischer Ebene besteht.“
Die Frage, wie ein Ignorieren dieser Aufforderung durch die Kommission geahndet werden soll, ist an keiner Stelle dieses Antrags ersichtlich. Insofern ist der Antrag nach meinem Dafürhalten ein absolut „stumpfes Schwert“. Einer deutlichen Abgrenzung der Kompetenzen der europäischen Union zwischen den Mitgliedsstaaten dient nach meinem Dafürhalten der Vertrag von Lissabon kaum.
Soweit in Konsequenz des zusätzlichen Antrages des Deutschen Bundestages die Bundesregierung auffordert, die Kompetenzabgrenzung unter Subsidiaritätsprinzip entsprechend der im Vertrag von Lissabon vorgenommenen Präzisierung im Rahmen ihrer Tätigkeit der Europäischen Union „strikt zu beachten“, ist die Befolgung dieser Aufforderung abermals vom guten Willen der jeweiligen Bundesregierung (die selbstverständlich nicht immer ein große Koalition sein muss!) abhängig. Auch dies vermag einer Wahrung der bestehenden Rechte nicht ansatzweise Rechnung zu tragen.
Auch die Aufforderung des Deutschen Bundestages an die jeweilige Bundesregierung „den Deutschen Bundestag“, in der im Vertrag von Lissabon übertragenen Rolle als Wahrer des Subsidiaritätsprinzips zu unterstützen und zu diesem Zweck den Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit dem Bundestag in vollem Umfang nachzukommen, beinhaltet bei einer Zuwiderhandlung keinerlei verbindliche Durchsetzungsmöglichkeiten dieses Appells. Insofern ist auch dies leider nichts weiter als eine Willensbekundung.
Ich will nicht verkennen, dass die fortschreitende Vollendung des Binnenmarkts eine weitere wirksame Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten notwendig macht und die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat die Handlungsfähigkeit und die vollwertige Einbeziehung des europäischen Parlaments als Mitgesetzgeber grundsätzlich dessen Legitimation verbessert. Gleichwohl überwiegen für mich die Bedenken gegen die jetzige Form des Vertrages.
Gerade im Bestreben die europäische Idee auch in der Akzeptanz in der Bevölkerung stärker zu verankern und mehr Akzeptanz für Europa in der Bevölkerung zu erreichen, sollten hier die für mich bestehenden Bedenken erst ausgeräumt bzw. gründlicher auch im ureigenen Interesse des Deutschen Bundestages bearbeitet und eingefügt werden, bevor eine Zustimmung zu dem Vertragswerk erfolgen soll.
Zur EZB im Zusammenhang mit der Finanzkrise:
Was hingegen die Einführung des Euro und den gemeinsamen Währungsraum betrifft, bin ich der Meinung, dass diese ingesamt gelungen sind. Der Euro hat sich stabilisiert und der euorpäischen Wirtschaft Sicherheit gegeben.
Der geldpolitische Handlungsrahmen des Eurosystems stellt sicher, dass ein großer Kreis von Geschäftspartnern an dessen Operationen teilnehmen kann. Zugelassen sind finanziell solide Institute, die in das Mindestreservesystem des Eurosystems einbezogen sind und ergänzend die vom Eurosystem defi nierten formalen und operationalen Kriterien erfüllen. Für alle Kreditgeschäfte des Eurosystems, dies sind liquiditätszuführende geldpolitische Geschäfte und Innertageskredite, sind ausreichende Sicherheiten zu stellen, wobei das Eurosystem ein breites Spektrum Euro-denominierter Sicherheiten akzeptiert. Am 1. Januar 2007 wurde ein einheitliches Sicherheitenverzeichnis eingeführt, das das bis dahin aus zwei Kategorien bestehende System schrittweise bis zum 31. Mai 2007 ersetzt und den Kreis der notenbankfähigen Sicherheiten erweitert hat. Damit einher ging die Vereinheitlichung der Zulassungskriterien für notenbankfähige Sicherheiten im gesamten Euro-Währungsgebiet. Sämtliche Zulassungskriterien und Nutzungsvoraussetzungen sowie die Verfahren, Regelungen und Methoden zur Bonitätsbeurteilung, die Maßnahmen zur Risikokontrolle oder die Grundsätze für die Bewertung von Sicherheiten sind veröffentlicht. Institutionell wird im Sicherheitenverzeichnis ein breites Spektrum zulässiger Emittenten und Schuldner erfasst. Notenbankfähige Schuldtitel können von Zentralbanken, öffentlichen Stellen, privaten Einrichtungen und internationalen oder supranationalen Organisationen begeben werden. Notenbankfähige Schuldner von Kreditforderungen sind nicht finanzielle Unternehmen, öffentliche Stellen und internationale oder supranationale Organisationen. Mit Einführung des einheitlichen Sicherheitenverzeichnisses wurden Beschränkungen hinsichtlich der Laufzeit von Kreditforderungen aufgehoben, sodass grundsätzlich keine Beschränkungen hinsichtlich der Mindest- oder Maximallaufzeit mehr existieren. Ein Verzeichnis der marktfähigen notenbankfähigen Sicherheiten wird täglich auf der Webseite der EZB veröffentlicht. Per Oktober 2007 umfassen diese Sicherheiten ein Volumen von nominal annähernd 9 600 Mrd €. Dieses Volumen steht grundsätzlich allen Geschäftspartnern des Eurosystems zur Verfügung, da die Sicherheiten auch grenzüberschreitend nutzbar sind.
Zum Kreis der akzeptierten marktfähigen Sicherheiten gehören grundsätzlich auch Asset Backed Securities und damit - als eine Teilmenge dieser Sicherheitenart - auch Asset Backed Commercial Paper. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation speziell im Segment der Asset Backed Commercial Paper ist zu beachten, dass die vom Eurosystem festgelegten Grundsätze zur Sicherheitenbewertung auch Titel ohne aktuellen Marktpreis als Sicherheit akzeptieren, sofern sie an einem geregelten oder vom Eurosystem akzeptierten Markt gehandelt werden. In solchen Fällen greift das Eurosystem zur Preis- beziehungsweise Beleihungswertermittlung auf einen theoretischen Preis zurück. Zu diesem Zweck wurden in der Banque de France und in der Deutschen Bundesbank zwei zentrale Stellen zur theoretischen Bewertung genutzter Schuldtitel ohne aktuellen Marktpreis eingerichtet.
Bei der Deutschen Bundesbank können marktfähige Sicherheiten in Form einer Verpfändung, nicht marktfähige Sicherheiten in Form einer Abtretung (stille Zession) eingereicht werden. Die eingereichten Sicherheiten werden losgelöst von den zu besichernden Kreditgeschäften zunächst in einem Sicherheitenpool zusammengeführt (Pooling). Dabei wird sichergestellt, dass die aggregierten Beleihungswerte der eingereichten. Sicherheiten die Gesamtheit der Kreditinanspruchnahmen nicht unterschreiten. Sicherheiteneinlieferungen und -frei gaben können folglich zeitlich unabhängig von individuellen Inanspruchnahmen durchgeführt werden.
Zur Mobilisierung von Sicherheiten bestehen die folgenden Möglichkeiten:
- Die Verpfändung von im Inland hinterlegten Wertpapieren über den nationalen Zentralverwahrer Clearstream Banking AG Frankfurt.
- Die grenzüberschreitende Nutzung im Ausland (EWR) emittierter/hinterlegter marktfähiger Sicherheiten über Verbindungen des nationalen Zentralverwahrers zu europäischen Zentralverwahrern.
- Die grenzüberschreitende Nutzung von marktfähigen und nicht marktfähigen Sicherheiten über das Korrespondenzzentralbank-Modell des Eurosystems, bei dem eine Notenbank Sicherheiten zugunsten einer kreditgewährenden Notenbank in einem anderen EU-Mitgliedstaat hält.
- Die Verpfändung von marktfähigen Sicherheiten über das Sicherheitenverwaltungs system Xemac der Clearstream Banking AG Frankfurt. Hierbei bekommt die Bundesbank einen Globalbetrag mitgeteilt, den sie in das Sicherheitenkonto des Geschäftspartners einbucht. Besonders vorteilhaft ist, dass die in Xemac verwendeten Sicherheiten auch zur Besicherung von Geldmarktgeschäften (Euro GC Pooling) akzeptiert werden und somit ein rascher Wechsel zwischen einer Interbank- und der Notenbankrefinanzierung ermöglicht wird. Die konkrete Zuordnung von einer oder sogar mehreren Wertpapiergattungen zu einem Geldmarktgeschäft wird durch die Umbuchung eines Pauschalbetrags in Xemac ersetzt, was das Sicherheitenmanagement erheblich erleichtert.
- Die schnelle und komfortable Abtretung von Kreditforderungen mittels der web basierten Einreichungs- und Verwaltungsplattform KEV der Deutschen Bundesbank.
Es ist festzuhalten, dass deutschen Geschäftspartnern auf Basis eines transparenten und homogenen Regelwerks des Eurosystems ein breites Spektrum an notenbankfähigen Sicherheiten zur Verfügung steht, das in flexibler Weise über verschiedene Wege mobilisiert werden kann. Auch marktfähige Titel ohne aktuellen Marktpreis sind grundsätzlich von den Geschäftspartnern als Sicherheit nutzbar. Durch den Rückgriff auf einen theoretischen Kurs stellt das Eurosystem sicher, dass der Kreis der notenbankfähigen Sicherheiten - auch und gerade in Phasen der Illiquidität einzelner Marktsegmente wie gegenwärtig bei Asset Backed Commercial Paper - nicht eingeschränkt und die Refinanzierung der Geschäftspartner nicht weiter erschwert wird. Ferner ist der Kreis der zugelassenen Geschäftspartner sehr groß, sodass kleinere und mittlere Banken nicht von großen Banken im Interbankengeldmarkt abhängig sind. Ansteckungseffekte in einer Vertrauenskrise werden dadurch eingeengt.
Die gegebenen Möglichkeiten zur Aufstockung der zu Refinanzierungszwecken bei der Bundesbank gehaltenen Sicherheiten wurden von den deutschen Geschäftspartnern bedarfsorientiert genutzt. So haben die Geschäftspartner der Bundesbank ihre Sicherheitenbestände seit Beginn des Jahres von insgesamt circa 550 Mrd € auf knapp 660 Mrd € (Stand Ende Oktober 2007) aufstocken können. Allein seit Beginn des Monats August 2007 wurden die Sicherheitenbestände um knapp 100 Mrd. € erhöht. Diese Erhöhung erfolgte ausgewogen über alle zur Verfügung stehenden Mobilisierungswege und über alle Sicherheitenarten hinweg.