Frage an Paul Lehrieder von Heike R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lehrieder,
auf Grund der demographischen Entwicklung benötigen wir qualifizierten Zuzug in unseren Arbeitsmarkt, nicht unqualifizierten Zuzug in unsere Sozialsysteme. Derzeit kommen soviel Flüchtlinge an, wie nie zuvor. Wir haben doch Statisken für alles? Bitte nennen Sie mir den prozentualen Anteil der Flüchtling an:
1. Analphabeten
2. ohne Ausbildung
3. Berufsausbildung
4. Fachschul-/Hochschul-/Universitätsabschluss
Oder sind diese Statistiken geheim? Ich stelle diese Frage dennoch und hoffe nun nicht gleich ins fremdenfeindliche Lager gestellt zu werden. Mir ist ein Spruch der ehemaligen DDR Bürger in Erinnerung "freiheit ist immer auch die freiheit der andersdenkenden". Keine Ahnung welcher Philosoph den geprägt hat, aber er klingt logisch und demokratisch. Können Sie sich dem anschließen? Weshalb werden, bezüglich der Flüchtlingsfrage, "Andersdenke" oftmals alle in einen Karton gesteckt (außer bei uns in Bayern) und pauschal als fremdenfeindlich dargestellt? Wie kann man es mir erklären, dass Flüchtlinge in den Medien und der Öffentlichkeit eine heraussragende Aufmerksamkeit besitzen (zu recht!), Andersdenkenden aber keine adäquate Plattform gegeben wird? Glauben Sie, Pluralismus lässt sich von oben verordnen?
Heike Rogall
Sehr geehrte Frau Rogall,
vielen Dank für Ihre Nachricht, in der Sie sich nach den Statistiken zum Bildungsgrad von Flüchtlingen erkundigen. Diesbezügliche Statistiken können Sie jederzeit z. B. auf der Homepage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einsehen. Demnach hatten im Jahr 2014 15 Prozent der Asylbewerber einen Hochschulabschluss, 16 Prozent Abitur und 35 Prozent eine Mittelschule besucht.
Selbstverständlich nehmen wir Ihre diesbezüglichen Sorgen, die Sie in Bezug auf die steigende Zahl von Asylbewerbern und Flüchtlingen haben, sehr ernst.
Deutschland ist in diesen Wochen und Monaten das Zielland einer nie gekannten Zahl von Flüchtlingen, die in unserem Land Sicherheit vor Krieg, Verfolgung und Not suchen. Das ist ohne Zweifel eine riesige Herausforderung für unser Land. Ein Schlüssel für die Bewältigung ist die klare Unterscheidung zwischen den wirklich Schutzbedürftigen und der großen Zahl derer, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Letzteres gilt insbesondere für Menschen vom westlichen Balkan. Sie stellten in der ersten Jahreshälfte 2015 knapp die Hälfte aller Anträge, ihre Schutzquote aber tendiert gegen Null.
Angesicht der großen Herausforderung bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung des Bundes, der Länder und der Kommunen, aber auch der Länder der Europäischen Union. Klar ist, dass wir diese Herausforderung langfristig nur bewältigen können, wenn wir Erfolge im internationalen Kampf gegen die Fluchtursachen (Bürgerkriege, Destabilisierung ganzer Staaten und terroristische Gefahren) erzielen und Hilfe für die Nachbarländer der Krisengebiete erbringen. Zudem brauchen wir innereuropäische Solidarität und eine gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union. Darüber hinaus gilt es, in unserer Bundesrepublik eine nachhaltige Infrastruktur für Flüchtlinge zu schaffen sowie die Verfahren derer, die nicht schutzbedürftig nach dem Asylrecht sind, schneller abzuwickeln und sie in ihr Heimatland zurückzuführen.
Der Koalitionsausschuss bestehend aus Vertretern der Regierungsparteien CDU, CSU und SPD hat daher am 6. September 2015 ein gemeinsames Maßnahmenpapier verabschiedet, um die Herausforderung durch die zunehmenden Flüchtlingsströme bewältigen zu können. Die wichtigsten Details fasse ich gerne für Sie zusammen:
1) Bekämpfung der Fluchtursachen und Stabilisierung der Nachbarländer
Wir wollen, dass die EU ihr Engagement in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ausbaut, um die dort vorherrschenden Ursachen für die Flucht zu bewältigen. Darüber hinaus wollen wir die dortigen Nachbarländer stärken, damit sich die Situation in den Flüchtlingslagern der Krisenregionen verbessert.
2) Gesamteuropäische Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen
Die großen Herausforderungen durch die wachsenden Flüchtlingsströme können von der EU nur gemeinsam und auf der Grundlage ihrer Werte- und Rechtsordnung bewältigt werden. So wollen wir unter anderem erreichen, dass in den Ländern der EU mit Außengrenzen wie Italien, Griechenland und Ungarn sogenannte Hotspots eingerichtet werden, in denen die Aufnahme und Registrierung der Flüchtlinge durchgeführt und über ihre Asylanträge entschieden werden kann. Die Menschen, deren Asylgrund anerkannt wird, sollen sodann solidarisch und fair auf alle Mitgliedsstaaten der EU verteilt werden. Darüber hinaus wollen wir die Liste der sicheren Herkunftsländer vom Balkan erweitern, um eine Beschleunigung der Asylverfahren der Menschen von dort, die in aller Regel kein Recht auf Asyl haben, zu erreichen.
Außerdem wollen wir uns für eine Reform der EU-Asylpolitik mit dem Ziel gemeinsamer Standards einsetzen.
3) Asylverfahren einschließlich von Rückführungen beschleunigen
Wir wollen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das über die Asylverfahren entscheidet, personell stärken, damit die Dauer der Verfahren reduziert wird. Zum einen erfahren wirklich Schutzbedürftige so schneller, ob ihrem Verfahren stattgegeben wird. Zum anderen bekämpfen wir den Asylmissbrauch auf diese Weise, indem wir auch über Ablehnungen schneller entscheiden und konsequent in Herkunftsländer zurückführen. Darüber hinaus soll auch die Bundespolizei für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben personell aufgestockt werden.
4) Menschenwürdige Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünfte schaffen
Der Bund wird die Länder und Kommunen bei Ausbau von ca. 150 000 winterfesten Plätzen in menschenwürdigen Erstaufnahmeeinrichtungen unterstützen. Hierzu werden auch verfügbare Plätze in Bundesliegenschaften bereitgestellt.
5) Fehlanreize beseitigen
Um den Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, angemessen helfen zu können, anderen, die kein Recht auf Asyl haben aber keine zusätzlichen Anreize zu schaffen, soll der Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen so weit wie möglich durch Sachleistungen ersetzt werden.
6) Integration verbessern
Menschen, die Anspruch auf Schutz haben und dauerhaft in Deutschland bleiben, sollen schnell Arbeit finden und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Zentrale Voraussetzung für die Integration in Gesellschaft und Arbeitswelt sind Deutschkenntnisse. Deshalb werden wir die Integrationskurse auch für Geduldete öffnen und berufsbezogene Sprachförderung unterstützen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen behilflich sein.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Lehrieder, MdB