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Paul Lehrieder
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Frage von Tom B. •

Frage an Paul Lehrieder von Tom B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Lehrieder,

als die Anhörung der Petition zur Abschaffung der Sanktionen am 17.03. stattfand, äußerten Sie in einem Interview, dass Mitwirkungspflichten der Betroffenen bestehen und dass über Sanktionen versucht werde, die Einhaltung der Mitwirkungspflichten sicherzustellen.

Wie sich in der Praxis zeigt, geht die Verhängung einer Sanktion über eine Strafe hinaus, in dem Sinne, dass sie existenz- und lebensbedrohlich wirken kann. Beim vollständigen Entzug jeglicher Unterstützung ist ganz offensichtlich weder Ernährung noch ob Krankenversorgung oder ein Wohnsitz gewährleistet. In lokalen Medien wird immer wieder von Todesfällen berichtet, und einige Initiativen befassen sich damit, jene Todesfälle zusammenzutragen, die sich definitiv oder sehr wahrscheinlich auf die Sanktionspraxis zurückführen lassen. Vorwiegend handelt sich es sich dabei um Suizide oder in Einzelfällen Hungertote, inzwischen sind einige Dutzend Fälle zusammengetragen worden.

Meine Frage ist nun: Sind Sie der Auffassung, dass die Mitwirkung, die durch Sanktionen erreicht werden soll, mit lebensbedrohlichen Maßnahmen eingefordert werden soll? Wenn eine Person diese Mitwirkung nicht erbringen kann oder es nicht will, besteht im Prinzip akute Lebensgefahr, da ja bekanntlich sämtliche Existenzgrundlagen vollständig entzogen werden können. Sehen Sie es als rechtfertigungsfähig an, dass Mißverhalten mit lebensbedrohlichen Maßnahmen geahndet wird?

Die Zahl der Totalsanktionen (2011: 10.400 Totalsanktionen) zeigt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass Sanktionen das gewünschte Verhalten herbeiführen können und daher nur theoretische Drohung bleiben, sondern dass in zehntausenden Fällen Menschen die Forderungen nicht erfüllen können (nicht wollen halte ich bei drohender Existenznot für unwahrscheinlich). Müsste bei der Diskussion nicht, neben der Mitwirkungspflicht, auch die letzte Konsequenz der Lebensbedrohung einbezogen werden?

mit freundlichen Grüßen,
Tom Berthold

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Sehr geehrter Herr Berthold,

haben Sie Dank für Ihre Nachricht zu den sogenannten „Hartz-IV-Sanktionen“.

Nach dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG hat der Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Dem sind wir – unter Bestätigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – mit der Neubemessung der Regelsätze auch nachgekommen. Wir tragen dafür Sorge, dass einem hilfebedürftigen Menschen die materiellen Voraussetzungen dafür zur Verfügung stehen, um seine Würde in Notlagen, die nicht aus eigenen Kräften überwunden werden können, durch materielle Unterstützung zu sichern. Eine Person, die hilfebedürftig ist, weil sie keine Arbeit findet, kann mit der Unterstützung der Solidargemeinschaft rechnen. Im Gegenzug muss sie aber auch alles daran setzen, um diese Hilfebedürftigkeit zu beenden und ihren Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten zu können.

Im Übrigen möchte ich festhalten, dass die immer wieder heftig diskutierten Sanktionen beim Arbeitslosengeld II nur einen geringen Bruchteil der Leistungsberechtigten betreffen. In den vergangenen Jahren waren weniger als 5 Prozent von Sanktionen betroffen.
Nichtsdestotrotz ist jede einzelne verhängte Sanktion eine zu viel und selbstverständlich würde ich mir wünschen, dass wir auf das Instrument der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II gänzlich verzichten könnten.

Allerdings gäbe es dann keine Möglichkeit mehr, darauf hinzuwirken, dass diejenigen, die die Leistungen in Anspruch nehmen wollten, auch zur Mitwirkung verpflichtet sind. Es ist davon auszugehen, dass sich bei einem Wegfall von Sanktionen die Suchanstrengungen der Leistungsempfänger verringern würden.

So werden beispielsweise mehr als 70 Prozent aller Sanktionen verhängt, weil z.B. ein vereinbarter Termin mit dem Jobcenter nicht eingehalten wurde.

Wer Leistungen erhält, der muss sich in Kooperation mit seinem Arbeitsvermittler bzw. Fallmanager darum bemühen, möglichst rasch wieder eine Beschäftigung zu finden.

Hinter unserem Grundsatz „Fördern und Fordern“ steht die Idee, Arbeitslose zu qualifizieren, dafür aber auch bei der Suche nach einer Anstellung nachdrücklich Engagement und Eigeninitiative einzufordern. Eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, muss mithelfen, ihre Situation auch wieder zu verbessern.

Anders wäre es denjenigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, deren Einkommen möglicherweise nur knapp über der Transferleistung liegt und mit ihren Abgaben diese Leistung mitfinanzieren, nur schwer zu erklären, warum eine Mitwirkungspflicht nicht eingefordert wird. Daher sind wir bei Verteilung von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen auch in besonderem Maße verpflichtet.

Solidarität beruht auch immer auf Gegenseitigkeit. Nur so kann unsere Gesellschaft funktionieren. Die Solidargemeinschaft kann zu Recht erwarten, dass die angebotenen Hilfestellungen und Chancen von den Betroffenen auch genutzt werden, was bei der Mehrheit der Leistungsbezieher ja ohnehin der Fall ist.

Daher sind wir bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt am erfolgreichsten, wenn alle Beteiligten konstruktiv und aktiv auf das gemeinsame Ziel hinwirken.

Zu Ihrem Vorwurf, die Sanktionspraxis sei ursächlich für zahlreiche Todesfälle, möchte ich anmerken, dass bei einer Minderung um mehr als 30 Prozent des Regelbedarfs, das Jobcenter ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen als Zuschuss – insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen – erbringen kann. Sobald beispielsweise Kinder mit dem Leistungsberechtigten in einem Haushalt leben, hat das Jobcenter sogar die Pflicht ergänzende Sachleistungen zu erbringen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen behilflich sein.

Mit freundlichen Grüßen

Paul Lehrieder

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