Frage an Paul Lehrieder von Bernd G. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Lehrieder,
als Mitglied des Petitionsausschusses wird Ihnen die Petition von Herrn N. D. bekannt sein, die die Aufhebung der Verjährung im ZIVILRECHT bei sexuellem Missbrauch forderte. Diese Petition wurde vom Ausschuss abgelehnt.
1. Wie haben Sie bei dieser Petition abgestimmt?
2. Stimmt es, dass die Verjährung dazu führt, dass sich OPFER strafbar machen, wenn sie nach der Verjährung die Namen der Täter nennen, selbst wenn, wie im Falle von Herrn D., ein schriftliches Schuldeingeständis der Kirchenleitung vorliegt?
Das Schweigen über das Erlebte ist sowohl Folge als auch Ursache von oft lebenslangem Leid für die Opfer von sexuellem Missbrauch. Die Fähigkeit, dieses Schicksal zu offenbaren, entsteht oft erst viele Jahrzehnte nach dem Missbrauch und damit oft erst nach der Verjährungsfrist.
Die gegenwärtige Gesetzeslage führt dazu, dass Opfer von sexuellem Missbrauch vom Gesetzgeber (Deutscher Bundestag) gezwungen werden, weiterhin zu schweigen, wenn das Verbrechen "verjährt" ist. Das führt zu "Rechtsfrieden" für die Täter und unter Umständen zu weiterem Leid für die Opfer.
3. Sind Sie damit einverstanden?
4. Falls Sie nicht damit einverstanden sind, was werden Sie im nächsten Deutschen Bundestag unternehmen, um die Verjährung für sexuellen Missbrauch zumindest im Zivilrecht aufzuheben?
Sehr geehrter Herr Greschke,
vielen Dank für Ihre Frage zur Verjährung von sexuellem Missbrauch. Sie beziehen sich dabei auf die Petition von Herrn Norbert Denef. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat die Petition im Dezember 2008 abgeschlossen, weil dem Anliegen, - der Abschaffung der Verjährungsfrist für sexuelle Gewaltverbrechen - nicht entsprochen werden konnte.
Bevor ich auf die Gründe für diese Entscheidung eingehe, möchte ich kurz etwas zum Verfahren selbst sagen:
Allein im Verlauf des vergangenen Jahres sind beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages 18.096 Petitionen neu eingegangen. Wie die meisten Eingaben wurde auch die Petition von Herrn Denef dem sog. Ausschussdienst zugeleitet, der die Vorbereitung und Organisation der Petitionsbearbeitung übernimmt. Dieser erbittet von den jeweils zuständigen Ministerien eine Stellungnahme und unterbreitet dann dem Ausschuss eine Beschlussempfehlung. Jetzt beginnt das sog. Berichterstatterverfahren: Die in Frage stehende Petition wird je einem Abgeordneten von Regierung und Opposition - beide Mitglieder des Petitionsausschusses - zur Prüfung zugeleitet. Sie können u. U. auch ein von der Beschlussempfehlung abweichendes Votum abgeben. Nicht jedes Mitglied des Petitionsausschusses überprüft also alle eingehende Petitionen. so war mir auch die Petition von Herrn Denef nicht bekannt. In seinem Fall haben alle Berichterstatter nach eingehender Prüfung der Beschlussempfehlung des Ausschussdienstes zugestimmt, nichts an der derzeit geltenden Rechtslage zu ändern.
Dafür gibt es die folgenden Gründe:
Das Opfer sexuellen Missbrauchs hat gegen den Täter Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nach § 825 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (Bestimmung zu sexuellen Handlungen), § 823 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht bei Verletzung des sexuellem Selbstbestimmungsrecht) und § 823 Abs. 2 BGB (Schadensersatzpflicht wegen Verstoßes gegen §§ 174 ff. StGB). Diese Ansprüche verjähren innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Diese Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). In den Fällen sexuellen Missbrauchs werden diese beiden Voraussetzungen im Regelfall unmittelbar mit der Tathandlung erfüllt sein. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, gilt § 199 Abs. 3 BGB: Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis verjähren die Schadensersatzansprüche in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
Darüber hinaus findet sich in § 208 BGB eine besondere Hemmungsvorschrift für die Verjährung von Ansprüchen wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung: Die Verjährung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers des Schadensersatzanspruchs gehemmt. Lebt der Gläubiger bei Beginn der Verjährung mit dem Schuldner in häuslicher Gemeinschaft, so ist die Verjährung auch bis zur Beendigung der häuslichen Gemeinschaft gehemmt. Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Dies führt zu einer faktischen Verlängerung der regelmäßigen Dreijahresfrist.
Die Aufnahme sowohl des § 825 BGB als auch des § 208 BGB in das Bürgerliche Gesetzbuch in den letzten Jahren zeigen, nach Ansicht des Petitionsausschusses, dass sich der Gesetzgeber der speziellen Thematik sexuellen Missbrauchs durchaus bewusst ist und Regelungsbedarf gesehen hat. Die die Verjährungsfrage betreffende Vorschrift des § 208 BGB schützt die Entscheidungsfreiheit des Schadensersatzanspruchgläubigers, der ohne fremde Einflussnahme darüber entscheiden können soll, ob er seinen Anspruch durchsetzt oder nicht. Insbesondere im Fall des Missbrauchs Minderjähriger wurde darüber hinaus die Notwendigkeit erkannt, dem Geschädigten die Möglichkeit emotionaler Verarbeitung zu belassen. Aus diesem Grund wurde die Altersgrenze nicht bei Erreichen der Volljährigkeit angesiedelt, sondern auf die Vollendung des 21. Lebensjahrs abgestellt, so dass das volljährig gewordene Opfer eine längere Bedenkzeit hat. Die Hemmung in den Fällen einer häuslichen Gemeinschaft zwischen Täter und Opfer trägt der Erkenntnis Rechnung, dass durch die häusliche Gemeinschaft häufig eine Nähebeziehung begründet wird, die die Entschließungsfreiheit des Opfers häufig in vergleichbarer Weise beeinträchtigt, wie die Minderjährigkeit.
Auch lässt sich nach Ansicht des Ausschusses mit Blick auf für vergleichbare Schadensersatzansprüche geltende Verjährungsfristen nicht rechtfertigen, bestimmte Schadensersatzansprüche ganz von der Verjährung auszunehmen oder die Verjährungsfristen für diese Ansprüche zu verlängern. Für Ansprüche wegen der Verletzung anderer absoluter Rechte wie Körper, Gesundheit oder Freiheit, gilt die regelmäßige Verjährungsfrist. Auch bei diesen Ansprüchen gibt es Fallgruppen, bei denen es nicht untypisch ist, dass die Opfer die erlittenen Verletzungen zunächst verschweigen, z.B. bei Kindern und auch Erwachsenen, die ohne sexuellen Bezug von Familienangehörigen oder anderen Personen, von denen sie abhängig sind, gequält und misshandelt wurden. Die daraus entstandenen Verletzungen können je nach Einzelfall auch ebenso schwer oder schwerer wiegen als in den Fällen sexuellen Missbrauchs. Bei der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung trägt die besondere Verjährungshemmung für Ansprüche verletzter Minderjähriger einer solchen Situation dieser Geschädigten besonders Rechnung.
Auch bei den Ansprüchen wegen der Bestimmung zu sexuellen Handlungen kann nach Ansicht des Ausschusses nicht auf Verjährungsregelungen verzichtet werden. Verjährungsregelungen sind vielmehr zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit unabdingbar. Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb vor einer Verdunkelung der Rechtslage bewahrt werden, wie sie bei später Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Auch ist es im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu befürworten, möglichst einheitliche Verjährungsfristen zu schaffen. Deshalb gelten für die Verjährung von Ansprüchen wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung dieselben Regelungen wie für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung vergleichbarer Rechtsgüter.
Der Petitionsausschuss ist der Ansicht, dass die geltenden Verjährungsvorschriften für zivilrechtliche Ansprüche von Opfern sexueller Misshandlungen bereits in ausreichendem Maße den besonderen Schutzbedürfnissen der Opfer Rechnung tragen. Sie geben den Opfern ausreichend Zeit, ihre Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Ich selbst vertrete in dieser Angelegenheit dieselbe Auffassung wie der gesamte Petitionsausschuss.
Mit freundlichen Grüßen
Paul Lehrieder MdB