Wie ist das "Aufbauhilfegesetz 2021" Versicherern und Versicherungsnehmern gegenüber zu rechtfertigen? Brauche ich nun keine Versicherungen mehr wenn der Staat gerne bereit ist einzuspringen?
Sehr geehrter Herr Schnieder,
wie ich vernommen habe, hat sich Ihre Partei mit dessen Koalitionspartner auf einen Entwurf für das "Aufbauhilfegesetz 2021" geeinigt. Die Abstimmung dafür erfolgt vermutlich im September. Wie ist dieses Gesetz den Menschen gegenüber zu rechtfertigen, die jedes Jahr an die 1000 Euro für eine Elementarversicherung zahlen? Darf ich dann zukünftig für mein Haus keine Versicherung abschließen und wenn etwas passiert den Staat um Hilfe bitten? Verstehen Sie mich nicht falsch, was dort passiert ist war schrecklich und das den Menschen erstmal schnell mit dem Nötigsten geholfen wurde war sehr wichtig, aber wenn mein Haus abbrennt und ich keine Versicherung hatte, stehe ich vor dem Nichts. Deswegen habe ich eine Versicherung abgeschlossen. Die Argumentation "die Menschen konnten sich aufgrund der Nähe zum Fluss nicht versichern" ist doch Keine, das war beim Kauf/Bau des Hauses ein absehbares Risiko.
MfG
Sehr geehrter Herr Lender,
vielen Dank für Ihre Nachricht zu der Frage der Versicherbarkeit von Elementarschäden.
Grundsätzlich ist es zutreffend, dass nicht alle Gebäude in Deutschland in gleichem Maße dem Risiko von Überschwemmungen oder Fluten ausgesetzt sind. Im Rahmen des Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS Geo) haben die deutschen Versicherer ermittelt, dass lediglich 0,4 Prozent der Adressen in Deutschland der höchsten Hochwasser-Gefährdungsklasse und lediglich 11,8 Prozent der Adressen der höchsten Starkregen-Gefährdungsklasse zugeteilt werden. Von der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz waren jedoch sehr verschiedene Ortslagen betroffen, die sich nicht alle in den höchsten Gefährdungsklassen befanden.
Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm und Hagel sind in Wohngebäudeversicherungen in der Regel enthalten. Eine Absicherung gegen Elementarschäden wie Überschwemmungen, Erdrutsche, Lawinen oder Erdbeben ist für einige wenige Adressen jedoch nur gegen Zahlung sehr hoher Prämien oder einer hohen Selbstbeteiligung im Schadensfall möglich. Zudem dürfen Versicherer die Versicherung von Adressen gegen Elementarschäden auch ablehnen.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit durch die Flutkatastrophe ein Umdenken einsetzt und sich die seit Jahren steigende Nachfrage nach entsprechenden Vorsorgeprodukten weiter verstärkt. Das Vertrauen auf Hilfe durch Bund oder Land im Schadensfall ist jedoch mit einem Risiko verbunden. Ich spreche mich daher für die Einführung einer entsprechenden Pflichtversicherung aus.
Für eine Unterstützung der Betroffenen durch die Allgemeinheit unabhängig vom Versicherungsschutz spricht zum einen die Einzigartigkeit des Ereignisses. Der Deutsche Wetterdienst sprach in seiner ersten Einordnung von einem Jahrhunderthochwasser, d.h. von einem Ereignis, dessen Niederschlagsmengen im statistischen Mittel nur alle 100 Jahre auftreten. Zum anderen gab es offensichtlich signifikante Fehler in den Warnketten, die die rechtzeitige Durchführung von Maßnahmen, die im gewissen Umfang hätten präventiv wirken können, verhindert haben.
Aus diesen Gründen befürworte ich sowohl die Verabschiedung des Aufbauhilfegesetzes als auch die Einführung einer Pflichtversicherung, um die von Ihnen beschriebenen Dilemma-Situationen in Zukunft vermeiden zu können.
Um langfristig eine gesellschaftlich akzeptable Lösung für die Verteilung der Kosten und Risiken von Extremwetterereignissen zu finden, ist nach meiner Auffassung auch die Erarbeitung neuer Konzepte der Flächen- und Bauplanung und ein Verbot von Neubauten in extrem hochwassergefährdeten Gebieten, wie es in anderen europäischen Staaten bereits existiert, notwendig. Zudem halte ich die Neuaufstellung des Katastrophenschutzes für sinnvoll.
Mit freundlichen Grüßen
Patrick Schnieder