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Patrick Cem Öztürk
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Frage von Karl-Heinz S. •

Frage an Patrick Cem Öztürk von Karl-Heinz S. bezüglich Bildung und Erziehung

Was würden Sie in Zukunft am Bildungssystem ändern/verbessern? Wie können Sie diese Änderungen/Verbesserungen umsetzen? Und wie würden Sie sich dafür einsetzen?

Mit freundlichen Grüßen!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Anfrage und das Interesse.

Es fällt mir nicht leicht mich hier kurz zu fassen, weil mir das Thema Bildung sehr am Herzen liegt - sowohl als ausgebildeter Lehrer, aber auch als Politiker, der davon überzeugt ist, dass Investitionen in unsere Schülerinnen und Schüler langfristig für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidend sind.

Punkt 1 - Ausbau der Ganztagsschulen:

Zunehmend mehr Familien, vor allem Alleinerziehende, leben in Armut. In ganz Deutschland sind das 15,5% aller Einwohner und im Land Bremen sogar 24,6% (jeder 4. Einwohner). In Bremerhaven ist dieser Anteil sogar noch höher – hier ist jeder 3. Einwohner von Armut betroffen! Seit den PISA-Studien wissen wir, dass Armut „weitervererbt“ wird. Das bedeutet, dass ein Kind wahrscheinlich auch zukünftig in Armut leben wird, wenn seine Eltern arm sind und ein geringes Bildungsniveau aufweisen. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass wir diesen Kreislauf durchbrechen können, in dem wir Kindern die Betreuung und Bildung zukommen lassen, die sie befähigen, einen guten Arbeitsplatz zu finden und die Armutsspirale zu verlassen. Ganztagsschulen leisten hierzu professionelle Erziehungs- und Bildungsarbeit, den ganzen Tag.

Ich fordere daher den Ausbau von Ganztagsschulen, vor allem in sozial schwachen Stadtteilen, um Bildungsungerechtigkeiten abzubauen und professionelle Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten bereit zu stellen besonders für Kindern, die in Armut leben, um ihnen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

Die Familienstrukturen verändern sich zudem. Waren früher die Mütter noch ganztags für die Kinderbetreuung zuständig, sind sie heute zunehmend arbeitstätig. Zudem steigt der Anteil der Alleinerziehenden. Dies schafft Herausforderungen für Familien sowohl in der zeitlichen Betreuung der Kinder, als auch in der Zeit, die Eltern tatsächlich für die Erziehung ihrer Kinder aufwenden können. Ganztagsschulen können auch hier eine Lösung sein, als dass sie durch die längere Betreuungszeit der Kinder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöhen sowie indem der „zeitliche Erziehungsnotstand“ an professionelle Fachkräfte übertragen werden kann.

Ich fordere daher eine finanzielle Stärkung der Ganztagsschulen, um Qualität und Professionalität in der Erziehungs- und Bildungsarbeit zu gewährleisten. Das Verbessert das Vertrauen in die Ganztagsschulen, erzeugt in der Folge eine Entlastung für Alleinerziehende und Berufstätige und ist somit eine Verbesserung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Punkt 2 - Qualität in der Nachmittagsbetreuung:

Die Zeit, die Kinder nachmittags länger in der Schule verbringen, sollte aber sinnvoll genutzt werden. Hier kann ein breites Spektrum an Aktivitäten angeboten werden – über Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe, Sportgruppen und AGs, bis hin zu Trainings und Kursen, die den Kindern und Jugendlichen verschiedenste Kompetenzen für ihr späteres Leben vermitteln. Ganztag bedeutet in diesem Sinne daher auch, dass die Betreuung nicht zwingend in der Schule stattfinden muss. Vielmehr ist es wichtig, dass Schulen Netzwerke zu anderen Einrichtungen im Sport-, Sozial-, Kinder-, Jugend- und Gesundheitsbereich aufbauen und entsprechende hochwertige und sinnvolle Angebote für ihre Schülerinnen und Schüler bereitstellen, die diesen auch Freude bereiten müssen!

Ich fordere daher ein fachbereichsübergreifendes Gesamtkonzept für die Ganztagsschulen und insbesondere die Nachmittagsbetreuung, welches Projektträger und Angebote jeglicher Art (auch privat) innerhalb der benannten Fachbereiche herausarbeitet, die speziell den Ausbau der Ganztagsschulen qualitativ verbessern/ergänzen sollen (unter Berücksichtigung der verschiedensten Interessen und Bedürfnisse, z.B. Nachhilfe, AGs, psychosoziale Betreuung, Sport, Musik, Segeln, Ballet, Reiten, Judo, Spiel, Entspannung, Ferienbetreuung, usw.).

Bisher fehlen jedoch noch die Richtlinien, was als „gute“ Nachmittagsbetreuung betrachtet werden kann. Wir müssen daher auch Qualitätsstandards erarbeiten, damit die Zeit, die Kinder in der Schule verbringen, bestmöglich für die Förderung ihrer Stärken und eine positive psychosoziale Entwicklung genutzt wird.

Ich fordere deshalb die Erarbeitung von Qualitätsstandards für die Nachmittagsbetreuung, damit Kinder und Jugendliche auch tatsächlich eine professionelle, unterstützende, freudige, pädagogisch wertvolle Betreuung erhalten anstatt eines Zwangsprogramms am Nachmittag.

Punkt 3 - Unterrichtsausfall minimieren:

Daran schließt sich an, dass der Unterrichtsausfall an Bremerhavener Schulen leider ein neues Hoch erreicht hat. So ist kein qualitativer und kontinuierlicher Unterricht möglich und dies schadet unseren Schülern. Wir brauchen die Finanzierung des Landes von mehr Lehrerstunden (Unterrichtsversorgung ist Landesaufgabe!), um den Ausfall zu kompensieren und ein belastbares Vertretungssystem, das gegebenenfalls auch schulübergreifend funktioniert.

Ich fordere, dass das Land seinen Aufgaben nachkommt und Bremerhavener Schulen zusätzliche Mittel für die Unterrichtsversorgung zukommen lässt. Zudem fordere ich die Etablierung eines belastbaren Vertretungssystems, um den hohen Unterrichtsausfall zu kompensieren und Kontinuität in der Abfolge der Unterrichtseinheiten herzustellen.

Punkt 4 - Erziehung, Lebenskompetenz und soziales Lernen:

Schule kann dabei viel mehr, als nur Mathe und Jahreszahlen zu büffeln. In unserer heutigen flexiblen Welt ist es wichtig, den Kindern auch alltagspraktische Kenntnisse oder soziale und personale Fähigkeiten zu vermitteln. In Trainings können den Kindern diese "Lebenskompetenzen" vermittelt werden, die sie für ein selbstbestimmtes Leben in einer sich stetig wandelnden Welt brauchen. So werden bspw. bereits vereinzelt Anti-Mobbing- und Selbstwert-Trainings durchgeführt, um Kinder stark zu machen, Präventions-Trainings, um Kinder vor Rauchen oder Drogenkonsum zu warnen, Coachings für soziales Lernen oder Aggressions-Trainings, um Kinder mehr Handlungsmöglichen in sozialen (Konflikt-)Situationen zu vermitteln. Bisher fehlen aber die Mittel für einen flächendeckenden Ausbau. Auch ist die Umsetzung dieser Trainings an die Initiative der Lehrer gebunden. Die Bündelung der vielen Modellprojekte zu einem Bremer Modell ist also dringend angezeigt.

Ich fordere eine gezielte Verbesserung und Konkretisierung des Erziehungs- und Sozialisationsauftrages von Schulen durch psychosoziale Entwicklung und Förderung des Sozialverhaltens in der Schule (siehe meine Initiative hier: http://patrickoeztuerk.de/soziales-lernen). Ich fordere zudem eine Bündelung von Modellprojekten zur psychosozialen Entwicklung bzw. zum sozialen Lernen in einem Programm, welches auf das gesamte Bundesland ausgedehnt wird (siehe meine Veröffentlichung hier: http://patrickoeztuerk.de/images/patrick/doku/1/03_Veroeffentlichung_psychosoziale_Foerderung.pdf).

Damit Schulen diese steigenden Herausforderungen in der Erziehungs- und Entwicklungsarbeit ihrer Schüler bewältigen können, bedarf es einer multiprofessionellen Zusammenarbeit von Lehrern, Sozialarbeitern und Erziehern und einheitlicher Bildungsstandards (siehe meine Initiative hier: http://patrickoeztuerk.de/anpassung-der-bremischen-bildungsstandards). Dies bedarf ebenfalls einer Anpassung der Lehrerausbildung, um Nachwuchslehrkräfte auf die veränderten Ansprüche des Schulalltags wie die verstärkte Erziehungs- und Entwicklungsarbeit, die inklusive Schule, Heterogenität im Klassenzimmer, Kooperation mit anderen Berufsfeldern, Kompetenzorientierung, usw. fit zu machen.

Ich fordere daher eine Anpassung der Lehrerausbildung im Rahmen der Zusammenführung der Fachbereiche Psychologie und Erziehungswissenschaften mit einer Verstärkten Verankerung von psychologischen Themen, wie Motivations-, Entwicklungs-, oder pädagogischer Psychologie sowie Themen aus dem Bereich der inklusiven- und Sonderpädagogik.

Punkt 5 - Auskömmliche Finanzierung und mehr Personal:

Das Ziel ist es Kinder ganzheitlich, also in der intellektuellen, psychosozialen und familiären Entwicklung bestmöglich zu fördern. Dies bedeutet aber auch einen notwenigen Mehrbedarf an personellen Ressourcen, besonders bei den Schulsozialarbeitern.

Ich fordere eine reelle (bereinigte) Verbesserung der personellen Ausstattung von (Ganztags)schulen mit Lehrern, Schulsozialarbeitern und Erziehern. Die Verantwortlichkeit hierfür sehe ich ausdrücklich beim Land Bremen, da Bundesseits keine Aufstockung geplant ist.

Punkt 6 - Kein Kind zurück lassen:

Weiterführend ist bisher unzureichend geregelt, wie Schülerinnen und Schüler mit zusätzlichem Förderbedarf in den unterrichteten Fächern mit Nachhilfe versorgt werden können. Unser Ziel ist es aber, dass kein Kind zurückgelassen wird und alle Kinder einen Schulabschluss erlangen. Das ist wichtig, damit Schulabgänger nicht sofort in das Sozialleistungssystem geraten. Eine Verfügbarkeit sowie einheitliche Regelung von zusätzlicher Förderung ist bisher jedoch nicht an allen Schulen etabliert. Diese müssen sowohl für privat finanzierte Nachhilfe als auch für über den sogenannten „Bildungsgutschein“ der Bundesregierung finanzierte Nachhilfe aber vorliegen. Es dürfen keine Verfügbarkeits- und Qualitätsunterschiede zwischen Schulen und zwischen privat und amtlich finanzierter Nachhilfe entstehen. Dies ist insofern zentral, als dass insbesondere Kinder von arbeitslosen Eltern von Armut und einer Verstetigung von Bildungsferne bedroht sind. Auf Grund der uneinheitlichen Prozedere an Schulen sowie der aufwändigen Beantragung von Nachhilfe steht diese Kindern aus armen Familien oft nicht in gleichem Maße Förderung offen, wie dies Kindern aus reicheren Elternhäusern täte, die sich spontan einen privaten Anbieter suchen könnten. Hier bedarf es also wiederum einer Schnittstellenposition in den Schulen, die sich mit den jeweiligen Richtlinien der Beantragung und Förderung durch den „Bildungsgutschein“ auskennt und Lehrer sowie Eltern in der Beantragung beraten und begleiten kann; dies ist bisher nicht an jeder Schule gegeben. Stattdessen stehen die Schulen allein mit dem Mehraufwand.

Ich fordere, dass alle Schulen eigene Regelungen für die Bereitstellung von Nachhilfe sowohl in der Schule als auch durch private oder öffentliche Institutionen erarbeiten. Es dürfen dabei keine Unterschiede in der Nachhilfe bzgl. Qualität und Verfügbarkeit zwischen privat und amtlich finanzierter Nachhilfe existieren. Die Behörde wie auch jede Schule müssen dafür Sorge tragen, dass Schüler, bei denen ein Bedarf ermittelt wird, umgehend Nachhilfe erhalten. Dazu ist zu prüfen, inwiefern den Schulen zusätzliche Kapazitäten bereitgestellt werden können.

Punkt 7 - Unkomplizierte Hilfemaßnahmen:

Auch andere Fördermaßnahmen wie bspw. bei einer Ermittlung von sonderpädagogischem Förderbedarf, einer Hilfe durch das REBUZ (Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren), einer LRS-Therapie, bei Dyskalkulie, bei logopädischen Schwierigkeiten, usw. bedarf es schnellerer und koordinierter Einleitungsprozedere (auch in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt), sodass umgehend Hilfen für eine betroffene Schülerin oder einen betroffenen Schüler bereitsgestellt und so das Kindeswohl sichergestellt werden kann.

Ich fordere daher den Bürokratieabbau zur Verfahrensvereinfachung in genannten Situationen sowie unkomplizierte und schnelle Bereitstellungsmöglichkeiten von Hilfen für unsere Schülerinnen und Schüler. Dazu gehört auch ein intensiver Ausbau der REBUZe (Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren), sodass den Schulen bei Bedarf möglichst schnell Fachpersonal für eine Fördermaßnahme zur Verfügung gestellt werden kann.

Ich bin davon überzeugt, dass nur weitere Investitionen und genannte Verbesserungen im Bildungsbereich eine Verbesserung für unsere Schülerinnen und Schüler und somit eine Verbesserung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft erzielt werden können. Ich habe einen zusätzlichen Katalog an Punkten (auch in Detailfragen), die ich im Bildungsbereich verbessern möchte. Diesen Katalog können Sie auf meiner facebook Seite einsehen unter: https://www.facebook.com/patrickoeztuerk

Ich hoffe, dass ich Ihre Frage beantworten konnte und bedanke mich für Ihre Interesse.

Mit freundlichen Grüßen,
Patrick C. Öztürk, MdBB
Bremerhavener Kandidat für die Bremische Bürgerschaft LISTE 1 - PLATZ 13