Frage an Pascal Kober von Lukas N. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Kober,
während der aktuellen Covid-19-Pandemie stehen gerade die armen Menschen in unserem Land aufgrund gestiegener Lebensmittelpreise, des Ausfalls von Mittagsverpflegung an Kitas und Schulen, des Mehrbedarfs für angemessene Schutzkleidung und der eingeschränkten Tätigkeit sozialer Einrichtungen wie Tafeln oder Mittagstischen vor besonderen finanziellen Herausforderungen.
1) Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu der von mehreren Seiten erhobenen Forderung, die Hartz-IV-Regelsätze temporär um 100€ zu erhöhen?
2) Werden Sie sich ggf. im Rahmen Ihrer Ausschusstätigkeit für ein entsprechendes Gesetzesvorhaben einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr N.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage vom 14.05.2020. Die FDP war die erste Partei im Deutschen Bundestag, die auf den besonderen Unterstützungsbedarf von Menschen in der Grundsicherung hingewiesen hat und mit einem konkreten Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen ist. Mit Nachdruck haben wir die besondere Situation von Menschen in der Grundsicherung gegenüber den Regierungsfraktionen und dem Bundesminister zum Ausdruck gebracht.
Wir fordern eine auf die Dauer der Krise zeitlich befristete Anpassung der Höhe von Grundsicherungsleistungen für drei Personengruppen: für Menschen mit Behinderung (dauerhaft voll erwerbsgeminderte Personen) im Sozialhilfebezug, für Menschen, die auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sind, und für Familien mit Kindern und insbesondere die Alleinerziehenden, die Grundsicherung für Arbeitssuchende (Hartz IV) beziehen. Für diese drei Personengruppen fordern wir eine für die Dauer der Auswirkungen der Corona Krise befristetete Erhöhung der Leistungen durch die sogenannte Mehrbedarfsregelung (§21 (6) SGB II).
Für Menschen mit Behinderung im Sozialhilfebezug, für Menschen, die Grundsicherung im Alter beziehen und für Eltern und ihren Kindern im Grundsicherungsbezug soll diese in Höhe von 15 Prozent des Regelsatzes befristet festgeschrieben werden. Für Alleinerziehende und ihre Kinder im Grundsicherungsbezug fordern wir eine Erhöhung der Leistungen in Höhe von 20 Prozent des Regelsatzes für den genannten Zeitraum.
In dieser schwierigen Lage ist es geboten, zielgenau diejenigen zu unterstützen, die von der Krise besonders schwer betroffen sind. Dabei halten wir eine prozentuale Anpassung über den Mehrbedarf für die bessere Alternative als eine pauschale Erhöhung der Regelsätze um 100 Euro, wie sie etwa von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen wurde. Unser Ansatz ist differenzierter und berücksichtigt dabei besser die unterschiedliche Lebensverhältnisse und finanziellen Bedarfe, beispielsweise älterer Kinder im Vergleich zu jüngeren Kindern oder die Situation Alleinerziehender. Vor allen Dingen aber dürfte er eher den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Regelsätzen von 2010 entsprechen, da er keinen Betrag „ins Blaue hinein“ schätzt, sondern durch eine prozentuale Erhöhung die bestehende Regelsatzsystematik fortschreibt.
Wir haben unsere Forderung mehrfach an Bundessozialminister Hubertus Heil herangetragen und ihn aufgefordert, auf die besondere Situation der genannten Gruppen in der Grundsicherung zu reagieren. Bisher jedoch ohne Erfolg. Ich halte dies für falsch, denn ich betrachte mit Sorge, dass für die Bezieher von Grundsicherungsleistungen bewährte Strategien zur Bewältigung ihrer Alltagssituation durch die krisenbedingten Maßnahmen in Zuge der Corona-Krise zunehmend wegfallen sind. So machten es die Restriktionen und empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen im öffentlichen Leben besonders mobilitätseingeschränkten Personengruppen schwerer, günstige Geschäfte zu erreichen oder Preisvergleiche in verschiedenen Läden durchzuführen. Die Preise für Nahrungsmittel sind gestiegen und es ist von höheren Ausgaben für bestimmte Hygieneartikel und für Atemschutzmasken auszugehen, deren Anwendung und Tragen in allen Bundesländern empfohlen bzw. Pflicht ist.
Hinzu kommt, dass derzeit das über das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket finanzierte Essen in Kitas und Schulen wegfällt, welches für einen nicht unerheblich Teil von Kindern im Grundsicherungsbezug die wichtigste Hauptmahlzeit des Tages darstellt. Die von dem Minister durchgesetzten Mittagessenslieferungen halten wir in der Umsetzung für sehr aufwendig. Die Sozialverbände teilen unsere Einschätzung und berichten, dass die Umsetzung stockt. Eine Unterstützung über den Mehrbedarf wie wir sie vorgeschlagen haben, wäre deutlich einfacher und zielgerichteter gewesen.
Außerdem machte das Kinderhilfswerk schon zu Beginn der Krise darauf aufmerksam, dass in zahlreichen Familien die Mittel für das Lernen zu Hause fehlen. Hierzu gehören Übungsbücher und weitere Materialien, aber auch finanzielle Mittel für Lernplattformen und technische Geräte für den Online-Unterricht. Wo ein schwieriges Familienumfeld hinzukommt, drohen Kinder in den Wochen der Schulschließung abgehängt zu werden, insbesondere wenn es nach Wiederöffnung der Schule in einem höheren Lerntempo weitergeht. Deshalb muss der Unterricht zu Hause und eine förderliche Lernumgebung gerade für Kinder aus sozial schwächeren Haushalten unterstützt werden, um die Folgen der Schulschließungen abzufedern. Denn nach wie vor sind die Schulen nicht für alle Schüler geöffnet und es wird dauern, bis ein normal geregelter Schulablauf wieder stattfinden kann. Die erforderliche Beschaffung von Materialien und der Zugang zu in Teilen kostenpflichtigen digitalen Lernangeboten dürfen deshalb nicht am Geld scheitern. Zwar ist es erfreulich, dass die Bundesregierung durch das Bildungsministerium mittlerweile Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um bedürftige Kinder beim Zugang zu Geräten für den Online-Unterricht zu unterstützen. Diese Mittel sind allerdings auch über zwei Monate nach den Schulschließungen noch nicht bei allen bedürftigen Kindern angelangt.
Gerade weil die Krisenpolitik der Bundesregierung die genannten Gruppen in der Grundsicherung kaum berücksichtigt, werden wir uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass diese Menschen entsprechend ihrer Bedarfe besser unterstützt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Pascal Kober