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Otto Fricke
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Frage von Thomas S. •

Frage an Otto Fricke von Thomas S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Fricke!

Auf die von H. R. am 31.03.2012 gestellten Fragen
zum Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)...

http://www.abgeordnetenwatch.de/otto_fricke-575-37569--f332740.html#

...reagieren Sie am 28.06.2012 mit einem Hinweis auf eine Antwort, welche Sie
Herrn Hausschildt auf dessen am 31.01.20 12 gestellte Frage gegeben haben.

Ich zitiere aus der von Ihnen benannten Antwort, Zitat Herr Fricke:

"Der ESM dient dabei zur kurzfristigen Stabilisierung von in Not geratenen Staaten zur Bewahrung der Stabilität in der Eurozone insgesamt und der Fiskal-Vertrag soll gewährleisten, dass es in Zukunft nur noch tragfähige Staatshaushalte in der Eurozone und damit letztlich keine Notfälle für den ESM mehr geben wird."

http://www.abgeordnetenwatch.de/otto_fricke-575-37569--f325224.html#q325224

Aktuell sind fast alle Staaten der EU verschuldet.
Deutschland macht da mit einer Verschuldung von von 2. 102. 096. 099. 008 Euro
(= ca. 2.102 Mrd. €) am 28.06.2012 - 15:05 Uhr keine Ausnahme

http://www.staatsverschuldung.de/schuldenuhr.htm

Frage 1:

Was verstehen Sie unter " tragfähigen" Staatshaushalten in der Eurozone?

Frage 2:

Die Schuldenmacherei, die wir seit Jahrzenten erleben müssen?

Frage 3:

Was halten Sie von diesen Aussagen?

Zitat Herr Dr. Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland:

"Dass die bisherige europäische Rettungspolitik die Krise nicht eindämmen konnte, ist offensichtlich. Zudem zeigt der Nachtragshaushalt des Bundes erstmals, welche direkten finanziellen Belastungen auf die Steuerzahler zukommen werden. Zugleich können die Abgeordneten ihre Augen nicht vor den erheblichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des ESM verschließen.

Die Bundestagsabgeordneten sollten den Mut finden, für eine nachhaltige Lösung der europäischen Schuldenkrise zu stimmen und den ESM ablehnen. (...)"

http://www.steuerzahler.de/Jedes-Nein-zum-ESM-zaehlt/46046c54579i1p637/index.html

Mit freundlichen Grüßen, Thomas Schüller

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Schüller,

für Ihre Fragen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie zum Fiskalpakt bedanke ich mich. Es freut mich sehr, dass Sie meine anderen Antworten zum Themenbereich, in denen ich ganz grundsätzlich zu ESM und Fiskalpakt Stellung bezogen habe, offenbar bereits zur Kenntnis genommen haben. Gerade deshalb versuche ich selbstverständlich gerne, die für Sie noch offenen Fragen möglichst konkret zu beantworten.

Lassen Sie mich dabei zuerst auf meine persönliche Vorstellung von tragfähigen Staatshaushalten eingehen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Verschuldungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, die in unterschiedlicher Intensität von fast allen Staaten der Eurozone betrieben wurde, verstehe ich selbstverständlich nicht unter dem Begriff eines tragfähigen Haushaltes.

Mit dem Begriff des tragfähigen Staatshaushalts meine ich vielmehr eine Haushaltsführung, bei der Einnahmen und Ausgaben strukturell in einem mindestens ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Zumindest in jenen Fällen, wo ein Staat bereits eine gewisse Verschuldung aufweist, sollten die Einnahmen die Ausgaben idealer Weise sogar übersteigen, um die Schulden des Staates kontinuierlich wieder abbauen zu können. Dabei kann eine Schuldentragfähigkeit auch bei einer bestehenden Neuverschuldung gegeben sein, sofern dieser glaubhafte Strukturreformen gegenüberstehen, die einen Abbau des Haushaltsdefizits in Aussicht stellen. Strukturelle Ausgeglichenheit meint dabei übrigens, dass einmalige oder befristete Einnahmen nicht als reguläre bzw. kontinuierliche Geldquellen mit einberechnet werden dürfen. Schließlich stehen sie dem Staat nur ein einziges Mal zur Verfügung und sind für langfristige Planungen daher ungeeignet. Ein gutes Beispiel für derartige Einzeleinnahmen waren etwa die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen, die Deutschland im Jahre 2000 einmalig etwa 50 Milliarden Euro in die Staatskasse spülten. Ein durchaus erfreulicher Betrag, mit dem man jedoch nur ein einziges Mal rechnen konnte.

Soweit zu meinem Idealverständnis ausgeglichener Staatshaushalte. In der Realität sind wir von einer derartigen Situation natürlich vielerorts noch sehr weit entfernt. Selbst Deutschland, das innerhalb der Eurozone wohl am wenigsten direkt von der Staatsschuldenkrise betroffen ist, hat es – unabhängig von den jeweiligen Konjunkturzyklen – leider bereits seit 1969 nicht mehr geschafft, einen strukturell ausgeglichenen Staatshaushalt vorzulegen. Ganz im Gegenteil war es sogar Deutschland, das als erster Staat der Eurozone die gemeinsam vereinbarten Maastrichter Stabilitätskriterien gebrochen und die eigene Staatsverschuldung unerlaubter Weise über den Grenzwert von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert hat. Eine Entscheidung, für die die damals amtierende, rot-grüne Bundesregierung keinerlei Sanktionen erfahren hat und die aus heutiger Perspektive als historischer Fehler bezeichnet werden muss. Schließlich war damit der Damm erstmals gebrochen und die eigentlich im Euro angelegte Stabilitätskultur von deutscher Seite aus hinterfragt. Die Bundesrepublik wurde so zum Negativbeispiel dafür, dass der Maastrichter Stabilitätskatalog einfach außer Acht gelassen und übermäßige Verschuldung betrieben werden konnte. Ein Negativbeispiel, dem viele Eurostaaten folgten.

Der grundsätzliche Missstand, der das Fehlverhalten der deutschen Bundesregierung damals erst erlaubte, liegt in zweierlei Punkten: Erstens fehlt es innerhalb der Eurozone bisher an einer unabhängigen Instanz, die die Staatshaushalte der Eurostaaten regelmäßig, eigenständig und kritisch auf die Einhaltung der Maastrichter Stabilitätskriterien überprüft. Zweitens fehlte es außerdem an automatischen und verbindlichen Sanktionsmechanismen für jene Staaten, die den Stabilitätskatalog nicht eingehalten haben. Genau hier soll der europäische Fiskalpakt nun strukturelle Abhilfe verschaffen.

Nach Vorbild der deutschen Schuldenbremse wird mit ihm geregelt, dass der allgemeine Staatshaushalt der Eurostaaten ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen muss. Konkret bedeutet dies, dass die Neuverschuldung eines Staates im Regelfall keinesfalls mehr als 0,5 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts betragen darf (bzw. bis zu 1 Prozent bei Staaten, deren Gesamtschuldenstand erheblich unter der Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt). Außerdem verpflichten sich alle beteiligten Staaten dazu, ihre Staatsverschuldung nachhaltig abzubauen und ihren Plan dazu regelmäßig mit der Europäischen Kommission abzustimmen. Beide Ziele müssen – ebenfalls nach Vorbild der deutschen Schuldenbremse – in den nationalen Verfassungen aller beteiligten Staaten verankert werden und automatische Korrekturmechanismen für den Fall einer Zielabweichung enthalten. Außerdem wird die Einhaltung des Fiskalpakts zukünftig regelmäßig überprüft und für den Fall einer Vertragsverletung treten automatische Sanktionsmechanismen in Kraft.

Der Fiskalpakt ist in meinen Augen daher ein wichtiges Instrument, um die zentralsten der bisher bestehenden strukturellen Konstruktionsfehler, die bei Schaffung des Euro entstanden sind, zu beseitigen. Er schreibt erstmals für alle Eurostaaten auf Verfassungsebene strukturell ausgeglichene Staatshaushalte vor und bietet gleichzeitig einen klar skizzierten Weg zum Schuldenabbau. All dies sind Ziele, die ich im Sinne der Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung ausdrücklich begrüße.

Gleiches gilt im übrigen für den ESM, dem ich – ebenso wie dem Fiskalpakt – am 29. Juni 2012 im Deutschen Bundestag zugestimmt habe. Dem entsprechend können Sie sich vorstellen, dass ich vom Zitat des Steuerzahlerbundes, auf das Sie verlinken, nicht sonderlich viel halte. Natürlich sind es schön klingende Worte, die der sonst sehr von mir geschätzte Herr Däke in seiner Pressemitteilung formuliert. Doch, ebenso wie bei fast allen anderen Kritikern der Eurorettungsschirme, bleibt er leider jegliche Alternativlösung schuldig.

Wenn er davon spricht, dass wir Bundestagsabgeordnete den Mut finden sollten, für eine „nachhaltige Lösung der europäischen Schuldenkrise“ zu stimmen, so wüsste ich von ihm schon gerne, was genau er unter einer nachhaltigen Lösung versteht. Eine schlichte Ablehnung des ESM ohne zuvor ein tatsächliches und detailliertes Gegenkonzept zur Lösung der Krise aufzuzeigen, ist in meinen Augen jedenfalls keineswegs mutig, sondern allerhöchstens töricht.

Alle mir bisher bekannten Gegenvorschläge, vom Austritt Deutschlands aus dem Euro über Eurobonds und unbegrenzte Rettungsschirme, sind – nach meiner persönlichen Abwägung – gegenüber dem ESM die deutlich schlechtere Alternative für die deutschen Steuerzahler.

Schließlich hätte eine simple Ablehnung des ESM Konsequenzen für die gesamte Eurozone, die für mich heute völlig unabsehbar sind. Dem gegenüber ist eine Zustimmung zum Vertragswerk mit einem konkret begrenzten – zweifellos hohen – finanziellen Risiko für Deutschland verbunden. Gleichzeitig hat der ESM in Kombination mit dem Fiskalpakt meiner Meinung nach den großen Vorteil, dass er eine realistische Chance bietet, die Krise langfristig zu überstehen und der Eurozone auch danach noch dauerhaft die dringend notwendige Stabilität zu sichern. Gegenüber den unabsehbaren Konsequenzen einer Nicht-Lösung, wie sie Herrn Däke vorschlägt, muss ich dem ESM daher vor dem Hintergrund meiner politischen Verantwortung den Vorzug geben. Auch, wenn ich mir natürlich gewünscht hätte, dass ein solches Instrument niemals notwendig geworden wäre.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten und meine Position ausreichend darlegen.

Es grüßt Sie herzlich aus Berlin
Ihr Otto Fricke

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