Frage an Oswin Veith von H.-J. F. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Veith,
bei der letzten Abstimmung zur weiteren finanziellen Unterstützung für Griechenland haben Sie mit "Ja" abgestimmt.
Wie begründen Sie Ihre Zuversicht, dass die Hilfen den erwarteten Erfolg bringen und wie sieht ein Erfolg aus?
Sehr geehrte Frau oder geehrter Herr Fiedler,
vielen Dank für Ihre Anfrage, gerne begründe ich Ihnen im Folgenden, warum ich mit „Ja“ gestimmt habe.
Rückblick: Im Jahr 2014 war die griechische Wirtschaft nachhaltig gewachsen. Der Staatshaushalt ohne Zinszahlungen zeichnete sogar einen Überschuss aus. Griechenland hatte die Trendwende endlich geschafft. Die bis dato ergriffenen Reformen zeigten Erfolg. Es schien möglich, dass das Land im Jahr 2015 sogar wieder Kredite am freien Markt aufnehmen könnte. Selbst der IWF sah zu diesem Zeitpunkt die Schuldentragfähigkeit des Landes gegeben. Doch am Ende des Jahres kam es zu Neuwahlen und in Folge dessen zu einer neuen Regierung mit Alexis Tsipras an der Spitze. Die neue Regierung versprach mit den Geldgebern neu zu verhandeln. Das Ergebnis ist bekannt: Abbruch der Verhandlungen durch die griechische Seite in letzter Sekunde und ein Referendum, das keine neue Perspektive aufzeigte.
Diese ziellose Politik der ersten 6 Monate kostete den griechischen Steuerzahler geschätzte 54 Milliarden Euro. Dieser von einigen Autoren sogenannte Tsipras-Effekt ist die Folge von Bankenschließungen, Konsumzurückhaltung, Investitionsstopp und Marktturbulenzen. Diese Verluste entsprechen einem Drittel der Wirtschaftsleistung und führten umgehend zu einem starken Anstieg der Verschuldung gemessen am gesunkenen Bruttoinlandsprodukt. Ich teile daher den Pessimismus einiger Bürgerinnen und Bürger nur bedingt, die Griechenland prinzipiell außer Stande sehen, die bestehenden Schulden selbst über einen langen Zeithorizont zu tilgen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt und die griechische Regierung gleichzeitig die Steuereinnahmen steigert. Angesichts von möglichen Effizienzsteigerungen durch Verbreiterung der Steuerbasis und besserer Durchsetzung und Kontrolle der bereits erhobenen Steuern erscheint mir dies durchaus möglich. In diesem Sinne ist auch die Ankündigung der EU-Kommission positiv zu bewerten, insgesamt 35 Milliarden Euro zu mobilisieren, um in den kommenden Jahren Investitionen in Griechenland zu mobilisieren.
Voraussetzung hierfür sind allerdings weitere Reformen. Bisher haben wir die Hilfspakete mit Reform- und Zielvorgaben versehen. Auch in Ländern wie Irland, Portugal und Spanien wurde das Prinzip Solidarität gegen Reformen erfolgreich angewendet. Im Falle der Regierung Tsipras bestehen zu Recht Zweifel, ob sie tatsächlich vertragstreu ist. Es war daher notwendig und richtig, dass Bundeskanzlerin Merkel und Bundesfinanzminister Schäuble in Brüssel gut verhandelt und durchgesetzt haben, dass die Regierung in Athen Vorleistungen für die Aufnahme von Verhandlungen erbringen muss. Das Ergebnis lautet: Hilfe nur gegen Reformen. Solidarität nur gegen Eigenverantwortung. Genau das half schon Zypern, Irland, Portugal und Spanien aus der Krise und zeigt, die gemeinsame Politik in Europa zur Bewältigung der Schuldenkrise funktioniert.
Am Mittwoch hat das griechische Parlament wie vereinbart den ersten Schritt getan: die Verabschiedung eines umfangreichen Reformpaketes mit Gesetzen zu dem auch eine Reform der Mehrwertsteuer und des Rentensystems gehören. Weitere Reformen müssen am 22. Juli im Parlament verabschiedet werden. Eine zusätzliche Absicherung: die Einrichtung eines Treuhandfonds, in den Griechenland Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro einbringen muss. . Darüber hinaus ist es gelungen, den IWF im Boot zu behalten. Trotz des Zahlungsausfalls wird der IWF zusammen mit der EU-Kommission und der EZB die Einhaltung der Reformzusagen der griechischen Regierung vor Ort wieder kontrollieren. Auch diese Kontrolle schafft ein Stück weit Vertrauen.
Es ist daher richtig, wenn zum Beispiel der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder von einem Reformprogramm spricht und dies in Abgrenzung zu den zurückliegen Hilfsprogrammen tut. Die vereinbarten, umfangreichen Vorleistungen als auch die Sicherstellung der Kontrolle vor Ort mit den Vertretern des IWF schaffen bei mir das Vertrauen, dass die notwendigen Reformen auch in Angriff genommen werden.
Sollten die Griechen die umfangreichen Vorleistungen wie zugesagt erbringen und alle Euroländer der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen, kann nun über den bereits gestellten Antrag Griechenlands auf Stabilitätshilfen durch den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) verhandelt werden. Der Finanzierungsbedarf wird auf 82 bis 86 Milliarden Euro für die kommenden 3 Jahren geschätzt. Alle Einzelheiten und vor allem die konkrete Summe werden erst am Ende der Verhandlungen feststehen. Klar ist, dass der Deutsche Bundestag über die Annahme des Ergebnisses zu entscheiden hat. Wir werden also erneut zusammentreten, bevor ESM-Stabilitätshilfen zur Auszahlungen kommen.
Um Griechenland bis zum Abschluss der Verhandlungen zahlungsfähig zu halten, haben die Finanzminister eine Brückenfinanzierung vorgeschlagen, der der Deutsche Bundestag heute zugestimmt hat. Dabei geht es vor allem um die Deckung dringender externer Verbindlichkeiten. Diese Finanzierung wird durch Mittel aus dem EU-Haushalt und nicht verwendeten Gewinnen der Europäischen Zentralbank abgesichert. Letztere wäre unter normalen Bedingungen anteilig dem Bundeshaushalt zugeflossen, was nun nicht passiert. Der deutsche Anteil beläuft sich hier auf 532 Millionen Euro.
Einige sehen in der Hilfe für Griechenland deutsche Steuergelder versickern und eine unerlaubte Staatsfinanzierung durch die „Hintertür“. Hierzu muss gesagt werden, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel nicht bereit war, zum Beispiel dem IWF nachzugeben und über einen Schuldenschnitt auch nur zu sprechen. Richtig so! Denn alles andere wäre tatsächlich der Einstieg in eine Transferunion gewesen und ein Verstoß gegen geltendes Recht mit fataler Signalwirkung an die genannten Länder, die sich bereits durch harte Reformen am eigenen Schopf aus der Misere befreit haben.
Bisher habe ich nur über Geld gesprochen. Teile der Öffentlichkeit tun das leider ausschließlich. Wir sind aber kein Zusammenschluss von Buchhaltern. Die politische Dimension bzw. auch die Idee Europas durch Kompromisse einen friedlichen Ausgleich der Völker auf unserem Kontinent zu erreichen, gerät dabei völlig ins Hintertreffen. Für mich hat diese Dimension bei meiner heutigen Entscheidung jedoch eine große Rolle gespielt. Auch wenn ich das Glück habe, in meinem Leben von Kriegen jeder Art verschont geblieben zu sein, hatten Generationen von Europäern dieses Privileg nicht. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Deutschland und Frankreich noch Erbfeinde. Es verging kaum eine Tag auf dem Kontinent ohne Blutvergießen. Die Europäische Union und der Euro als Ausdruck eines immer tiefer gehenden Friedensbündnisses zwischen den europäischen Völkern haben es für uns undenkbar werden lassen, dass die Auseinandersetzungen, die letztlich zum Ersten und Zweiten Weltkrieg führten, sich wiederholen könnten. Doch die Entwicklungen in der Ukraine haben mir wieder vor Augen geführt, dass Geschichte nicht linear und unumkehrbar ist. So wie es uns gelungen ist, mit der kriegerischen Tradition unseres Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg zu brechen, so muss es auch gelingen, den gewonnen Frieden in Europa zu bewahren. Dazu bedarf es zum einen der Vertragstreue und der Fähigkeit zum Kompromiss. Beides ist die Grundlage für Vertrauen und Solidarität in der von uns geschaffenen Union der europäischen Völker.
Nun wird man sagen, dass der ungeordnete Austritt Griechenlands ja nicht den Austritt aus der EU oder gar deren Zerbrechen zur Folge hat. Kurzfristig gesehen, stimmt das. Doch was bedeutet der sogenannte GREXIT für die griechischen Bürgerinnen und Bürger? Was bedeutet das für das politische System in Griechenland, wenn über Nacht die Privatvermögen gerade der kleinen Leute und des Mittelstands de facto entwertet werden? Erhebliche soziale Verwerfungen wären die Folge und eine noch stärkere Neigung zu radikalen Parteien.
Alle diejenigen, die nun entgegenhalten, dass das nicht unser Problem sei, liegen falsch. Denn Griechenland wäre weiterhin EU-Mitglied. Eine wie auch immer geartete griechische Regierung würde in Brüssel weiterhin am Verhandlungstisch sitzen und wahrscheinlich alles blockieren, was sich nicht zum finanziellen Vorteil Griechenlands auswirken würde. Die Europäische Union wäre gelähmt. Die notwendige Kompromissbereitschaft und Verantwortung für die Union als Ganzes dahin.
Als Bürger und Steuerzahler kann ich den Unmut bis hin zur Verweigerung weiterer Zahlungen nachvollziehen. Als Bundestagsabgeordneter muss ich jedoch meiner Verantwortung für unser Land gerecht werden und eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen treffen. Dazu gehört auch die politische Dimension miteinzubeziehen, bei der wesentlich mehr auf dem Spiel steht, als das man es mit Geld aufwiegen könnte. Nur wenn es Europa gut geht, geht es auch Deutschland gut.
Trotzdem darf Griechenland kein Fass ohne Boden werden. Solidarität muss mit Gegenleistungen und dem Willen verbunden sein, sich auch durch unbeliebte Reformen aus der selbstverschuldeten Krise herauszuarbeiten. Einer Transferunion in Form eines Schuldenschnitts darf nicht Tür und Tor geöffnet werden. Die in Brüssel getroffene Vereinbarung spiegelt diese Punkte wider. Sie sollen nun in ein weiteres Hilfspaket überführt werden. Zweifellos bestehen hier viele Unwägbarkeiten und Risiken. Ich möchte an dieser Stelle auch nichts beschönigen. Die griechische Regierung hat einen ersten Schritt zur Wiederherstellung des nötigen Vertrauens getan. Mit der heutigen Entscheidung geben wir der griechischen Regierung die Chance, die notwendigen Maßnahmen zu unternehmen, um Mitglied der Eurozone zu bleiben und weiteren Schaden von der Europäischen Union abzuwenden.
Mit freundlichen Grüßen
Oswin Veith