Frage an Oskar Lafontaine von Helmut W. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Lafontaine,
wenn die Linken an der Regierung wären, wäre ein Währungsexperiment wie "Wörgl" für Sie denkbar?
Wenn Sie es für denkbar halten, würde der Widerstand aus Wirtschaft und Politik vielleicht unüberwindbar sein. In dem Fall müßte der Kapitalismus erst an seinem System scheitern. Gründe: Zinssystem mit eingebauter Geldverteilung immer schneller von unten nach oben. (Bezug auf Buch "Das Geldsyndrom von Helmut Creutz, weiter Hinweis auf DLF Interview mit dem Autor abgedruckt auf: www.Geldreform.de unter "Audios") Die Folge dieser Umverteilung sind wirtschaftliches Auseinanderdriften der Bevölkerung und später Gewalt in jeder Form als Folge. Der regelmäßige Hinweis der EZB in ihren statements auf die steigende Geldmenge (ca. 10-11 % gegenwärtig) zeigt, daß die Verantwortlichen das Problem durchaus erkannt haben. Nicht deutlich gesagt wird, daß die Banken selbst mittels Schöpfung von Giralgeld diese Entwicklung anstoßen. (Kreditgewährung) Das geschieht, weil sonst längst der Geldkreislauf und damit die Wirtschaft zusammengebrochen wäre. Grund: Das Geld verschwindet zu großen Teilen aus dem Kreislauf wenn es erst einmal bei den 10 -15 % Vermögenden angekommen ist . (über den Zinseszinsmechanismus siehe Autor H. Creutz) Es vagabundiert dann weltweit auf den Finanzmärkten in geradezu astronomischen Summen.
Mit Hinweis auf die steigende Geldmenge droht die EZB dann dann mit höheren Zinsen wegen der Inflationsgefahr. Diese Gefahr ist stark übertrieben wenn man weiß wo das meiste Geld landet. Jedenfalls nicht im deutschen Wirtschaftskreislauf, der es dringend benötigt und wo es tatsächlich konjunkturunterstützend wirken könnte.
Ich hoffe, daß die nächsten Wahlergebnisse die etablierten Parteien schocken und wünsche Ihnen viel Erfolg.
Viele Grüsse
Helmut Witt
Sehr geehrter Herr Witt,
In Wörgl war um 1932 die örtliche Zement- und Zellulosefabrikation stark zurückgegangen und die Arbeitslosenquote bedrohlich angestiegen. Die Gemeinde hatte einerseits beträchtliche Steuerausfälle, andererseits hohe Lasten durch Unterstützungsleistungen an Arbeitslose. Die Kasse war leer, und ein Ende war nicht abzusehen. Ab Anfang Juli 1932 gab die Gemeindeverwaltung als Lohn der Gemeindeangestellten eigene sogenannte Arbeitswertscheine aus, den Wörgler Schilling. Die Scheine gab es in Nennwerten von 1,2 und fünf Schilling. Bis zum Ende der Aktion im August 1933 waren insgesamt Scheine im Wert von etwa 34.500 Schilling ausgegeben worden. Maximal wurden 12.000 Schilling gleichzeitig emittiert. Die Arbeitswertscheine waren umlaufgesichertes Freigeld. Ideenlieferant war dabei die Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells. Monatlich musste eine Marke zu einem Prozent des Nennwertes der Note gekauft und in ein dafür vorgesehenes Feld auf der Vorderseite des Geldscheins geklebt werden, um ihn gültig zu erhalten. Das Geld war durch Hinterlegung von Schillingen der Gemeinde bei der örtlichen Raiffeisenkasse gedeckt und gleichwertig an Schillinge gekoppelt. Mit diesen Scheinen konnten Gemeindesteuern bezahlt werden. Einheimische Geschäftsleute nahmen das Geld in Zahlung.
Das Experiment glückte. Geldkreislauf und Wirtschaftstätigkeit wurden – allerdings im Einklang mit dem allgemeinen Trend im Land – wiederbelebt. Überall in Wörgl wurde gebaut und investiert. Noch heute zeugt unter anderem eine Straßenbrücke mit der Aufschrift "mit Freigeld erbaut" davon. In den vierzehn Monaten des Experiments nahm die Arbeitslosenquote in Wörgl von 21 auf 15 Prozent ab, während sie im übrigen Land weiter anstieg. Die positiven Auswirkungen führten dazu, dass der Modellversuch in der Presse als das "Wunder von Wörgl" gepriesen wurde. Das Interesse daran stieg derart, dass über hundert weitere Gemeinden in Österreich dem Beispiel folgen wollten. Auch im Ausland und in Übersee fand die Aktion starke Beachtung und Nachahmer. Aus Frankreich reiste der Finanzminister und spätere Ministerpräsident Daladier nach Wörgl, und in den USA schlug der Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher der amerikanischen Regierung – wenn auch vergeblich – vor, ein Wörgl-ähnliches Geld mit Namen Stamp Scrip zur Überwindung der Wirtschaftskrise einzuführen. Allerdings erhob die Österreichische Nationalbank gegen die Wörgler Freigeld-Aktion vor Gericht erfolgreich Einspruch, weil allein ihr das Recht auf Ausgabe von Geld zustand. Das Experiment von Wörgl und alle weiteren Planungen wurden verboten. Unter Drohung von Armeeeinsatz beendete Wörgl das Experiment im September 1933. Da bald darauf der Zweite Weltkrieg ausbrach, gerieten das Modell und sein Erfolg weitgehend in Vergessenheit.
Seit 2001 verzeichnet auch Deutschland einen Zuwachs an regionalen Initiativen zur Etablierung von Komplementärwährungen. Wie Sie sicher wissen ist eine Komplementärwährung (frz. complément = Ergänzung) eine Währung, die den Charakter einer Komplementarität hat. Sie ist die Vereinbarung innerhalb einer Gemeinschaft, etwas zusätzlich neben dem offiziellen Geld als Tauschmittel zu akzeptieren. Diese zusätzliche Währung kann sowohl eine Ware, eine Dienstleistung oder eine geldäquivalente Gutschrift sein. Sie wird in dem Sinne als "Geld" aufgefasst, dass sie die ursprüngliche und eigentliche Funktion des Geldes als "Tauschmittel" erfüllt. Komplementärwährung kann auch eine ausländische, stärkere Währung sein. So übt der US-Dollar diese Funktion in weiten Teilen der Welt mit schwacher einheimischer Währung aus.
Die Konvertierbarkeit zum Euro und die Verwendung der Umtauschgebühren werden unterschiedlich gehandhabt. In der Region Chiemgau werden zusätzlich soziale Projekte mitfinanziert, wobei die Teilnehmer des Gutscheinrings darüber entscheiden können, welches Projekt sie unterstützen wollen. Seit September 2003 haben sich die Projekte vernetzt und im Februar 2006 in Traunstein den Dachverband Regiogeld e.V. mit Sitz in Magdeburg gegründet. Ziel ist es, neue Projekte bundesweit anzustoßen und alle Einzelprojekte untereinander konvertierbar zu machen. Diskutiert wird dabei über noch offene Rechtsfragen, die Entwicklung geeigneter Software und einer Qualitätssicherung.
Insofern können Komplementärwährungen einen Beitrag zur Geldwertstabilität und regionalem Wirtschaftswachstum leisten.